Vorwiegend heiter

Die Gutenachtgeschichte machte Station in Ergenzingen und lockte achtzig Hörer/innen

Im Wetterglück war die Gutenachtgeschichte unterwegs am Dienstagabend in Ergenzingen: Zum Abend hin war der Himmel blau geworden, so dass der unterhaltsame Abend wie vorgesehen im Pfarrgarten der Katholischen Gemeinde stattfinden konnte. 80 Leute, darunter ein Dutzend Männer, genossen ihn.

11.08.2016

Von Gert Fleischer

Gutenachtgeschichte im Pfarrgarten Ergenzingen. Im Sessel Vorleserin Eva Künnert. Bild: Fleischer

Gutenachtgeschichte im Pfarrgarten Ergenzingen. Im Sessel Vorleserin Eva Künnert. Bild: Fleischer

Ergenzingen. Der Garten ist schon gut eingelesen, denn dort macht das Ergenzinger Bücherei-Team seit einigen Jahren seine „Spätlese“. Das Ambiente am Dienstag war fruchtig: An der Fassade baumelten Trauben an einem langen Ast, und über den Köpfen der Zuhörerinnen reiften Äpfel – vereinzelt fiel auch mal einer runter, ohne dass es jedoch Verletzte gegeben hätte.

Das SCHWÄBISCHE TAGBLATT und die Buchhandlung Osiander als Veranstalter der Gutenachtgeschichte kooperierten vor Ort mit Ortsverwaltung und Ortschaftsrat und speziell dessen Kultur- und Integrationsausschuss. Ratsfrau Stefanie Dambacher moderierte zusammen mit Bettina Puth vom PR-Service des TAGBLATTs den Abend. Die anderen Ratsleute hatten Süßes und Salziges für die Knabberpause zubereitet. Renate Holzmann sprach die Begrüßung, ließ in der Pause die Sektkorken ploppen und gab auch andere Getränke aus.

Dambacher hatte Grundschulleiterin Corina Schulakovsky als Leserin gewinnen können. Die 45-jährige Nagolderin hat gerade ihr erstes Schuljahr in Ergenzingen hinter sich und nutzte die Gelegenheit, sich auch denen zu zeigen, die nicht wie Dambacher Kinder in der Schule haben. „Mit liegt eher das Mathematische“, sagte sie. In ihrer Freizeit liest Schulakovsky die Allgäukrimis um Kommissar Kluftinger. Als sie nach dem neuesten Werk der Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr stöberte, fiel ihr ein ganz anderes Buch der beiden Autoren in die Hand: „In der ersten Reihe sieht man Meer“.

Das war das richtige für einen entspannten Sommerabend: Die Erinnerung an einen Urlaub in Italien in den Achtzigerjahren. Mit einem Ford Sierra Fließheck, Baujahr 1982, rollte die Familie – Papa, Mama, Sohn und Tochter, pubertierend – zur Adria. Amüsant beschreiben die Autoren die Suche nach dem richtigen Liegeplatz am Strand oder die teutonischen Zweifel an der Qualität italienischer Speisen. Der 15-jährige Bub verguckt sich in das schwarzhaarige Mädel am Kiosk, lässt sich vor lauter Staunen eine verbrannte Piadina (Fladen) andrehen, und sein Vater nennt den Rucola, der drauf liegt, Löwenzahn, der bekanntlich ein Unkraut ist. „Quanta costa un Liegestuhl?“ Egal wieviel, natürlich ist er viel zu teuer. Es kommt noch schlimmer: 14 000 Lire am Tag.

Corina Schulakovsky liest keine allzu lange Passage, aber es reicht, um zu wissen: Dieser Roman liest sich nicht nur am Teutonengrill von Rimini ratzfatz runter.

Schon sind wieder Jörg und Caroline Dold dran, Vater und Tochter, beide mit einem Alt-Saxofon, die schon zu Beginn zwei Stücke gespielt haben. „Summertime“ von George Gershwin und eine Rumba von Everett Gates liegen jetzt auf dem Notenständer. Bettina Puth setzt den Spendenhut in Umlauf, und dessen Bedienung muss im katholischen Pfarrgarten nicht erläutert werden.

Nach Häppchen und Small Talk führt Stefanie Dambacher die zweite Leserin ein: Eva Künnert. Sie ist aus Ergenzingen, Mitglied im örtlichen Bücherei-Team und „Fachfrau für gute Bücher“, wie Dambacher erklärt. Künnert hat schon vor fünf Jahren bei der Gutenachtgeschichte in Ergenzingen gelesen. Nun trägt sie das vierte Kapital des Tagebuchromans „Einfach unvergesslich“ von Rowan Coleman vor.

Um eine schon mit 40 an Alzheimer erkrankte Frau, eine Lehrerin, geht es, aber nicht so, dass die Leser verzweifeln müssten angesichts der Folgen. Wie geht ein Mensch mit beginnender Demenz um, dessen Vater vom selben Leiden dahingerafft wurde? Wenn der Hausarzt Test um Test macht, um herauszufinden, was sein Patient längst weiß. Was tut ein Mensch, der im besten Alter nicht mehr unterrichten darf, der nicht mal mehr erkennt, welcher Schuh an welchen Fuß gehört, der die Haarbürste in der Hand für einen Igel hält und dem der Name der eigenen Tochter nicht mehr einfällt.

Es ist vielleicht doch nicht nur zum Lachen, wenn sich die Frau vom eigenen Mann bedrängt und bedroht fühlt, sobald er sich in Shorts auf die Bettkante setzt. Wenn sie sich aber verlaufen hat, hält sie den selben Mann, der sie immer wieder findet, für einen flammenden Liebhaber hält, den sie gerade kennengelernt hat.

Reichlich Beifall ernteten Leserinnen und Saxofon-Duo, das mit „Time to say Goodbye“ den Abend beendete. 224 Euro an Spenden erbrachte der Hut; Geld, das – wie Corina Schulakovsky mit Überraschung vernahm – für die Grundschule bestimmt ist.

Am Donnerstag steht der Ohrensessel der Gutenachtgeschichte im Bürgerhaus Buse in Bieringen. Klemens Albus, 72, der ehemalige Leiter der Schule St. Klara in Rottenburg, liest aus Hellmuth Karaseks Buch „Auf der Flucht. Erinnerungen“. Die Tierärztin Stephanie Kowalski, 29, bringt „Shantaram“ mit von Gregory David Roberts, ein Buch über die Reise eines ehemaligen Gefängnisinsassen durch Indien abseits der Hauptreisewege. Um 19 Uhr geht es los. Dominik Uhl singt und spielt Gitarre dazu. Die örtliche Narrenzunft bewirtet.

C. Schulakovsky. Bild: Aslan

C. Schulakovsky. Bild: Aslan

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Erstellt:
11.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec
zuletzt aktualisiert: 11.08.2016, 01:00 Uhr

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