Wirtschaft · Antiquariate

„Die Geisterschmiede“ im Prenzlauer Berg – Geist im Drive-In

Krise – welche Krise? Trotz zahlreicher Geschäftsauflösungen behaupten sich einige Antiquariate wie die „Geisterschmiede“ erfolgreich gegen den Trend. Das Rezept ist eine besondere Kundennähe.

27.11.2021

Von Boris Kruse

Bücher als Gefährten: Markus Reinhardt in seinem Antiquariat „Die Geisterschmiede“  Foto: Boris Kruse

Bücher als Gefährten: Markus Reinhardt in seinem Antiquariat „Die Geisterschmiede“ Foto: Boris Kruse

Berlin. Es kommen bei diesem unscheinbaren Laden unweigerlich Gedanken an die großen Romane und Erzählungen, die vom Zauber der Bücher handeln. An Carlos Ruiz Zafóns „Der Schatten des Windes“ zum Beispiel, und an Umberto Ecos „Der Name der Rose“. Oder auch an das labyrinthische Schreiben von Jorge Luis Borges. Die Bücher türmen sich in dem Antiquariat „Die Geisterschmiede“ im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg bis unter die Decke. Nur ganz schmale Schneisen sind noch freigeblieben; manche von ihnen gerade einmal so breit, dass wohl nur die Betreiber Gerhard Kütbach und Markus Reinhardt sich dort noch hineinzwängen mögen, ohne sich zu sorgen, einer der Stapel könnte einstürzen.

Auf 70 Quadratmetern schlummern hier im Berliner Norden Schätze aus Literatur, Philosophie und Geschichte, etliche großformatige Kunstbände, aber auch zerlesene Schmöker von den Bestsellerlisten und Krimis, die hier für geringe Preise gehandelt werden. Zigtausende weitere Schwarten warten im Lager auf Interessenten.

Alles Ladenhüter in einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihre Privatbibliotheken ausmisten und lange Texte am Bildschirm lesen? Keineswegs, sagt Markus Reinhardt (54): „Wir wachsen eigentlich von Jahr zu Jahr.“ Und er meint es nicht nur in Bezug auf die Höhe der Büchertürme. Der schmale Laden an der Prenzlauer Allee lebt von der Laufkundschaft, das ist sein Erfolgsgeheimnis: Günstige Krimis und Bestseller, die Reinhardt deutlich sichtbar nach vorne auf die Stapel packt oder in Kisten auf den Gehweg stellt. „Es geht Richtung Publikumsantiquariat“, erklärt Reinhardt, „schnell, wie im Drive-In“. Überwiegend seien es Frauen, die so immer wieder nach neuem, preisgünstigen Lesefutter suchen.

Die Corona-Pandemie habe ihr Übriges getan – die Menschen lesen wieder mehr. Auch die Kids kommen neuerdings verstärkt in seinen Laden: „Wir haben hier wieder viele 15-Jährige, die sind wie wir damals“, sagt der passionierte Vielleser mit Blick auf seine eigene Jugend: „Die Tauchen in Bücher ab und legen das Smartphone ganz gezielt mal bei Seite.“ Nun ist der Prenzlauer Berg aber auch ein spezielles Pflaster. Überproportional viele gut verdienende Akademiker ziehen dort ihre Kinder groß. Die bringen oft einen beachtlichen Horizont mit und sind dem Medium Buch gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen.

Es mag kurios erscheinen, aber gerade die Kunden, die man auf Anhieb mit diesem Laden in Verbindung bringen würde, spielen kaum noch eine Rolle: „Die bibliophilen Sammler sind ganz wenige. Die gibt es fast nicht mehr.“ Nur etwa fünf Prozent der Kunden, schätzt Markus Reinhardt.

Zum Buchhandel ist der gebürtige Westberliner Markus Reinhardt als junger Student gekommen. Damals, vor rund 35 Jahren, hat er mit dem Straßenhandel vor Universitäten begonnen. Sein Wirtschaftsstudium hat er dann nicht mehr zu Ende gebracht. Kompagnon Kütbach konzentriert sich seit einigen Jahren auf den Online-Handel, und Reinhardt schmeißt den Laden.

Dafür ist er mehrmals in der Woche unterwegs, um Nachschub zu organisieren. Meist sind es Privatleute, die ihre über viele Jahrzehnte angesammelte Privatbibliothek entschlacken oder auflösen wollen. Bei solchen Komplettauflösungen ist der erfahrene Antiquar aber vorsichtig geworden, denn nur weniges davon lässt sich noch zu Geld machen: „Wenn die alles loswerden wollen, rufe ich meistens jemanden vom Trödelmarkt.“ Die berüchtigten vielbändigen Werkausgaben von Klassikern hat er zwar auch in seinem Angebot, sie spielen aber im Geschäftsalltag kaum noch eine Rolle – und ruhen daher überwiegend im Lager.

Die schwierigen Umstände auf dem Buchmarkt setzen natürlich auch der „Geisterschmiede“ zu, und nicht nur die: In 14 Jahren am jetzigen Standort hat Reinhardt mit sieben Hauseigentümern zu tun gehabt, die Mieten steigen kontinuierlich. Er ist dennoch optimistisch, dass das Geschäft ihn bis zum Rentenalter trägt. Und das, obwohl Prognosen den Antiquaren insgesamt keine rosige Zukunft attestieren. Er vertraut darauf, dass er mit seinem Service punkten kann. „Die meisten Antiquariate sind zu schwerfällig.“

Von seiner Gabe, Kundenwünsche zu erfüllen, gibt Markus Reinhardt beim Besuch des Journalisten dann gleich noch eine Kostprobe ab. Als der Gast ihn auf ein ganz bestimmtes Buch von Clemens J. Setz anspricht, windet Reinhardt sich auch schon flink wie ein Höhlenwesen durch die engen Gänge. Er taucht hinter einem der Bücherberge ab, woraufhin dieser sachte zu beben beginnt. Ein Rascheln ist zu vernehmen – und schon kommt Reinhardt mit genau diesem Buch wieder hervor.