Tübingen · Podium

Die Freiheiten des Fliegens regulieren

Eine Diskussion über Flugscham gab’s im Tübinger Rathaus.

26.09.2019

Von Hannah Möller

Zeichnung: Sepp Buchegger

Zeichnung: Sepp Buchegger

„Wie könnt ihr es wagen?“, fragte Klimaaktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel am Montag. „Ihr habt meine Träume und meine Kindheit gestohlen mit euren leeren Worten.“ Gretas Worte hallten in der Podiumsdiskussion „Flugscham – zwischen Fernweh und Klimanotstand“ nach, die am Dienstagabend im Tübinger Rathaus stattfand.

Die leitende Frage des Abends: Wer trägt die Verantwortung? Die Politik? Oder jeder Einzelne? Die vier Gäste auf dem Podium waren sich zumindest in einem Punkt einig: Im Flugverkehr müsse sich etwas bezüglich des Klimaschutzes ändern. Selbst Walter Schoefer, Sprecher der Geschäftsführung des Stuttgarter Flughafens, stimmte seinen Diskussionspartnern zu: „Da bin ich ganz nah bei Ihnen.“ Doch er erklärte auch, dass Fliegen ein „Grundbedürfnis“ der heutigen globalisierten Gesellschaft sei. Für ihn sei es schwer vorstellbar, dass die Menschen ganz aufs Fliegen verzichten. Die Forschung solle sich verstärkt mit CO2-neutralen Technologien auseinandersetzen.

Moderator Thorsten Flink, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Tübingen, fragte seine Gäste auf dem Podium, wann sie zum ersten Mal mit dem Thema Fliegen in Berührung gekommen sind. Die Antworten machten es deutlich: Der Großteil der Deutschen saß laut Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft schon einmal in einem Flugzeug: 2018 waren es 87 Prozent. Doch dass auch das Thema Flugscham viele bewegt, bewies das Interesse der Zuhörer – der Ratssaal war an diesem Abend mit mehr als 50 Gästen gut gefüllt.

Der Flugverkehr werde mitsamt den Passagierzahlen weltweit immer weiter zunehmen, sagte Flink. Allein in Deutschland habe es 2018 einen Anstieg um 4,2 Prozent gegeben. Wie soll also mit der Diskrepanz umgegangen werden: zwischen steigenden Wachstumsraten in der Flugbranche und den mahnenden Stimmen, das Reiseverhalten endlich klimafreundlicher zu gestalten?

Maya Ihle von „Fridays for Future“ in Tübingen sieht das Problem vor allem bei den Vielfliegern, den Dienstreisen und den Kurztrips. Urlauber, die fünf Mal im Jahr an einem anderen Strand liegen müssen, jettende Manager, die den Globus schon fünf Mal umrundet haben, und Menschen, die übers Wochenende nach Rom fliegen: Diese Menschen müsse man in die Verantwortung ziehen. „Ein globaler Austausch kann auch ohne Fliegen gelingen“, so Ihle. Geschäftskonferenzen könne man auf digitalem Wege über Skype oder Whatsapp führen. „Wir von ,Fridays for Future‘ machen das auch so.“ Doch es reiche nicht aus, die Verantwortung jedem Einzelnen zu überlassen: „Wir brauchen politische Maßnahmen.“ Schoefer hingegen konterte: Regulationen von oben könne er sich nicht vorstellen. Auf individueller Ebene solle man entscheiden, was der Einzelne für den Klimaschutz tun kann. „Jeder möchte doch selbst über sein Leben entscheiden.“

Und überhaupt, wie sähen denn diese politischen Maßnahmen überhaupt aus, fragte er. Stefan Baumeister, der sich in der Initiative „myclimate“ für den Klimaschutz engagiert, forderte einen gerechten Preis für CO2. Kohlendioxid–Emissionen müssten seiner Meinung nach durch Steuern teurer gemacht werden.

Auch Lena Riesenegger vom internationalen Netzwerk zu Flugverkehr und Klimawandel „stay grounded“ machte weitere Vorschläge zur Verringerung des Flugverkehrs: Das Bahnnetz solle ausgebaut werden, so dass innerdeutsche Flüge gestrichen werden können. Der Ausbau von Flughäfen solle gestoppt werden, so Riesenegger, Subventionen verhindert und Kerosinpreise erhöht werden. Ihle glaubt zwar nicht daran, dass das 2-Grad–Ziel, das auf der Weltklimakonferenz 2010 beschlossen wurde, erreicht wird. Aber mit fester Stimme sagte sie: „Resignation ist keine Alternative. Wir von ,Fridays for Future‘ machen trotzdem weiter.“

Zeichnung: Sepp Buchegger

Zeichnung: Sepp Buchegger

Zukunftsmusik der Luftfahrttechnik

Elektrische Flugzeuge, die weniger oder keine Emissionen in die Atmosphäre pusten, wurden zwar schon entwickelt, doch die Forschung ist noch weit davon entfernt, diese Technologien massentauglich einzusetzen. Das Unternehmen Airbus entwickelte den elektrisch angetriebenen Prototypen „E-Fan“: 2015 überquerte der Zweisitzer den Ärmelkanal innerhalb von 36 Minuten. Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Siemens und Rolls-Royce weiterentwickelt. Der „E-Fan X“ soll mit einem Hybrid-Antrieb ausgestattet werden. Das heißt, eine von vier Turbinen des Testflugzeugs bekommt einen Elektromotor. Der Erstflug des für 80 Personen ausgelegten Flugzeugs wurde jedoch von 2020 auf 2021 verschoben.

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Erstellt:
26.09.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 01sec
zuletzt aktualisiert: 26.09.2019, 01:00 Uhr

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