Kindertagesbetreuung in Reutlingen

Die Ernüchterung bleibt

Stadt, Freie Träger und Elternvertreter suchen gemeinsam nach Lösungen. Aktuell fehlen in Reutlingen über 200 Plätze und mehr als 30 Erzieher.

29.11.2017

Von Uschi Kurz

de Marco

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Der Anker, die zentrale Vormerkung für einen Betreuungsplatz, brachte es an den Tag: In Reutlingen fehlen aktuell 200 Kindergartenplätze. Um auf den Missstand hinzuweisen und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, hat der Gesamtelternbeirat Reutlinger Kindergärten und Kindertagesstätten (Gerk) bei der Stadtverwaltung einen sogenannten „Bürgerantrag“ eingereicht. Aus ihm ging ein interfraktioneller Antrag hervor, der am vergangenen Freitag im Rathaus zu einer vierstündigen Anhörung führte. Einziges Thema: „Ausbau der Kindertagesbetreuung.“ Das Ergebnis stellten Stadtverwaltung und Gerk am Montag vor.

„Wir wollten alle Fraktionen am Tisch haben“, erklärte Gerk-Vorstand Claus Mellinger. Die Anhörung habe für Klarheit, aber auch für Ernüchterung gesorgt: „Wir schieben eine Bugwelle vor uns her.“ Denn obwohl die Stadt mit Hochdruck neue Kapazitäten schafft, wird sich der Engpass kurzfristig nicht beheben lassen. Im Gegenteil: Mit dem neuen Jahrgang, der aus der Kleinkindbetreuung der bis zu Dreijährigen herauswächst, wird sich die Situation eher noch verschärfen.

Bis Ende 2018 werden wohl nur die Eltern, die jetzt auf der Warteliste stehen, einen Platz für ihre Kinder bekommen. Selbst die 114 zusätzlichen Plätze, die von der Stadt in bestehenden Einrichtungen geschaffen wurden, können nur zum kleinen Teil belegt werden, „weil wir das Personal gar nicht haben“. Man habe bei der Anhörung durchaus gespürt, so Mellinger, dass die Stadt Verantwortung übernehmen wolle, aber: „Die Ernüchterung bleibt.“

Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn räumte in dem Gespräch ein, dass man momentan lediglich Mangelverwaltung betreibe. Das gehe nicht nur der Stadt, sondern allen freien Trägern auch so. Als Grund für den Mangel nannte er, dass deutlich mehr Zuzüge von Familien mit Kindern verzeichnet wurden als in den Jahren zuvor – aber auch, dass es wieder geburtenstärkere Jahrgänge gebe. Dem Bedarf wolle man mit Neu- und Anbauten, aber auch der Aufstockung bestehender Einrichtungen Rechnung tragen. Insgesamt, so sah es die Planung aller Träger vor, sollten bis Ende 2021 rund 700 neue Plätze geschaffen werden. Doch einige Projekte sind nach hinten gerutscht. Manche werden erst 2021 fertig.

Mal sind es die Nachbarn, die gegen die verdichtete Bebauung Einsprüche erheben – wie beispielsweise beim Neubau des evangelischen Kinderhauses in der Beethovenstraße als Ersatz für das Kinderhaus in der Brenzstraße, das abgerissen wird. Dann wiederum sorgt der verschärfte Brandschutz für höhere Kosten und Verzögerungen wie bei der Sanierung des katholischen Kinderhauses St. Franziskus in der Schubartstraße. Auch dort, wo der Zeitplan eingehalten wird, können manche Räume gar nicht bespielt werden, „weil das Personal fehlt“. Schon jetzt könnten 7 Prozent der Stellen nicht besetzt werde. „Der Arbeitsmarkt ist total leergefegt.“

Deshalb ärgert sich Hahn auch tierisch über eine Plakataktion (siehe Bild) seiner Stuttgarter Kollegen, die in Reutlingen um Erzieherinnen buhlen: „Das ist Kannibalismus.“ Gleichzeitig bricht er eine Lanze für den krisensicheren Erzieherberuf. Die Arbeitsbedingungen hätten sich deutlich verbessert und auch die Bezahlung sei besser als ihr Ruf: „Die meisten Handwerksberufe haben ein geringeres Bruttoeinstiegsgehalt.“ Um den Personalmangel zu beheben, hat die Stadt Reutlingen jetzt eine Stelle nur für die Akquise geschaffen.

Mellinger nimmt in diesem Zusammenhang auch die Wirtschaft in die Pflicht, die schließlich auch von der Betreuung der Kinder ihrer Mitarbeiter profitiere: „Die betriebliche Kindertagesbetreuung in Reutlingen hat noch Luft nach oben.“Bild: de Marco

Das zentrale Anmeldeverfahren Anker

Mit der Anlaufstelle Kindertagesbetreuung, kurz Anker, hat die Stadtverwaltung das Anmeldeverfahren bei allen städtischen und privaten Einrichtungen vereinfacht. Seit 2013 können die Eltern bei der zentralen Stelle drei Wünsche abgeben, dann wählen die Träger von der Anmeldeliste aus. Vorher mussten sich Interessierte bei allen Kitas einzeln anmelden, Mehrfachvergaben waren die Folge. Die Servicestelle Anker, so Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn, habe sich bewährt. Für Unmut sorge aber bisweilen die Vergabe, die sich freilich an gesetzlichen Vorgaben orientiere. Bevorzugt behandelt werden müssten Familien in besonderen Lebenslagen wie etwa Alleinerziehende. Nächster Anmeldetermin ist der 11. Februar 2018.

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Erstellt:
29.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 29.11.2017, 01:00 Uhr

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