Tischtennis

Die EM als Versuchslabor

Die Asse Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov verzichten auf eine Teilnahme. So kann der Verband Nachwuchskräfte für die Zukunft testen.

28.09.2021

Von Gerold Knehr

Tischtennisstar Timo Boll fehlt bei der Team-Europameisterschaft in Rumänien. Foto: Remy Gros/dpa

Tischtennisstar Timo Boll fehlt bei der Team-Europameisterschaft in Rumänien. Foto: Remy Gros/dpa

Was für ein Glück für den deutschen Tischtennis-Sport, zwei solche Asse zu haben. Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov haben bei den vergangenen zehn Europameisterschaften die Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) acht Mal zum Mannschaftstitel geführt. Was einem zu diesem Vergleich hinreißen lassen könnte: Was China in dieser Sportart global ist, nämlich der absolute Überflieger, ist Deutschland auf europäischer Ebene – zumindest beinahe.

Bei der am Dienstag beginnenden Mannschafts-Europameisterschaft in Cluj-Napoca (Rumänien) fehlen jedoch ausgerechnet diese beiden Topstars. Das ist kein Zufall, sondern hat in erster Linie mit dem überfrachteten Terminkalender zu tun. Um nach der Corona-Pandemie möglichst alles nachholen zu können, was im vergangenen Jahr ausgefallen ist, haben die Tischtennis-Verbände ins olympische Jahr zwei EM-Turniere (Einzel- und Team-EM) und die Einzel-Weltmeisterschaft im November in den USA gequetscht. Auf die möchten sich Boll und Ovtcharov konzentrieren. Zudem gibt es mit der neuen Turnierserie WTT eine neue, für viele Spieler finanziell sehr lukrative Veranstaltungsserie.

Timo Boll hat vor wenigen Monaten seinen 40. Geburtstag gefeiert, Ovtcharov ist 33. Was auf mittelfristige Sicht bedeutet: Dem deutschen Tischtennis steht ein größerer Umbruch bevor. Der wird nun im in Cluj-Napoca, einer 300 000-Einwohnerstadt der rumänischen Region Transsilvanien, schon einmal vorweggenommen. „Wenn wir die Entwicklung der Spieler hinter Dima und Timo zu Leistungsträgern und Führungsspielern der Nationalmannschaft weiter fördern wollen, müssen wir ihnen häufiger die Möglichkeit geben, Verantwortung zu übernehmen“, sagt DTTB-Sportdirektor Richard Prause. Die Europameisterschaft in Rumänien wird also zum Versuchslabor für die deutsche Tischtennis-Zukunft.

Angeführt wird das „Team der Zukunft“ vom 29-jährigen Patrick Franziska. Die deutsche Nummer drei sorgte mit Boll und Ovtcharov bei den Olympischen Spielen in Peking für Furore, erreichte das Finale gegen China und gewann letztlich Silber. „Ich bin sehr gerne Führungsspieler, in Saarbrücken kenne ich das ja, da bin ich der Oldie im Team“, sagt Franziska. Was er sich nun vorgenommen hat? „Von vorne Gas zu geben, den Jüngeren zur Seite zu stehen und zu helfen, ist mein Ding, das macht mir auch Spaß. Wir wollen uns beweisen und zeigen, dass wir auch mit dieser Mannschaft in Europa gegen jeden gewinnen können.“

Zum Team gehören noch Ruwen Filus (34 Jahre/Fulda), Benedikt Duda (28/Bergneustadt, Dang Qiu (24/Düsseldorf) und der erst 18-jährige Kay Stumper (TTC Neu-Ulm), der in den letzten Wochen mit dem Gewinn des EM-Titels in der U 19 und mit Siegen in der Bundesliga unter anderem gegen Schwedens Vize-Weltmeister Mattias Falck (Werder Bremen) auf sich aufmerksam machte. „Ich werde vor allem versuchen, so viel wie möglich zu lernen. Mir ist klar, dass ich noch nicht zu den Stammspielern gehören werde. Ich werde einfach am und abseits des Tisches versuchen, mein Bestes zu geben“, sagt Stumper.

Bundestrainer Jörg Roßkopf ist trotz des Fehlens seiner beiden Stars nicht bange. „Wenn zwei Granaten wie Boll und Ovtcharov vorne stehen, ist es natürlich einfacher. Wir wollen aber auch ohne sie die EM gewinnen. Wir haben eine Mannschaft, die stark genug ist, dieses Ziel zu erreichen.“

Ähnlich wie bei den Männern ist die Ausgangslage auch im Frauenbereich, wo in Han Ying und Shan Xiaona ebenfalls zwei erfahrene Spielerinnen fehlen. Zudem fällt Einzel-Europameisterin Petrissa Solja wegen einer Krankheit aus. So darf U-15-Europameisterin Annett Kaufmann vom SV Böblingen bei den Erwachsenen reinschnuppern. „Ich will vor allem viel lernen und die Atmosphäre aufsaugen“, hat sich das Nesthäkchen vorgenommen.

Trumpfte zuletzt stark auf: Kay Stumper (TTC Neu-Ulm). Foto: Foto: Matthias Kessler

Trumpfte zuletzt stark auf: Kay Stumper (TTC Neu-Ulm). Foto: Foto: Matthias Kessler

Mit 15 ins Nationalteam: Annett Kaufmann (SV Böblingen). Foto: Revierfoto via www.imago-images.de

Mit 15 ins Nationalteam: Annett Kaufmann (SV Böblingen). Foto: Revierfoto via www.imago-images.de

Gegner und Modus

Die deutschen Männer treten in der Gruppenphase gegen die Ukraine (Mittwoch, 18 Uhr) und Weißrussland (Donnerstag, 18 Uhr) an. Der Gruppensieger qualifiziert sich für Viertelfinale (Freitag), das Endspiel wird am Sonntag (15.30 Uhr) ausgetragen. Die Frauen haben es in der Gruppenphase mit der Slowakei (Mittwoch 15 Uhr) und Spanien (Donnerstag, 12 Uhr) zu tun. Der Gruppensieg bedeutet gleichzeitig auch die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2022.