Ballett

Die Bühne dampft

Zehn Jahre Gauthier Dance: Die Tanzsparte im Stuttgarter Theaterhaus feiert das bunt und ausgelassen mit fünf Uraufführungen unter dem Titel „Big Fat Ten“.

03.03.2017

Von WILHELM TRIEBOLD

Alejandro Cerrudos spektakuläre Choreografie „They're In Your Head“. Foto: Regina Brocke

Alejandro Cerrudos spektakuläre Choreografie „They're In Your Head“. Foto: Regina Brocke

Stuttgart. Als vor mehr als zehn Jahren ein junger Kanadier bei Theaterhaus-Guru Werner Schretzmeier auftauchte, um ihn zu einer eigenen Tanztruppe zu überreden, war nicht abzusehen, dass damit dem anhaltenden „Stuttgarter Ballettwunder“ aus dem Cranko-Erbe nun das „Ballettwunderle“ vom Pragsattel folgen sollte.

Eric Gauthier, jener Kanadier mit großen Träumen, griff sich am Mittwoch zu Beginn des Jubiläumsabends „Big Fat Ten“ aus der ersten Reihe ein paar prominente Statisten, um der Aufbruchsstimmung von einst nochmal nachzuspüren. Tanzlegende Hans van Manen gab auf dem Sofa ganz entspannt den Schretzmeier, Bürgermeister Werner Wölfle einen entscheidenden Tippgeber. Und Gauthier erinnerte sich beglückt, man wollte damals „die sonnige Seite des Tanzes“ für sich entdecken, für ein neugieriges, junges Publikum gemacht – „it was magic!“

Die Magie hält bis heute an. Den mitunter etwas klamaukigen Spaßfaktor der Gründerjahre hat Gauthier Dance vielleicht bis heute nicht abgelegt, das bleibt ein Markenzeichen. Und doch wurde man, neben allem Bunten, Schrägen, Schrillen, mit der Zeit reifer, professioneller, von immer stärkeren Choreografien gefordert. Wie auch die Bedingungen besser wurden. Heute macht die Tanzsparte im Elf-Millionen-Etat des Stuttgarter Theaterhauses immerhin 2,5 Millionen Euro aus, zu jeweils zwei Fünfteln sowohl vom Land als auch mit Sponsor- und Privatgeldern gefördert. Es sollte eigentlich mehr sein, meint Gauthier.

Und hadert dennoch nicht. Denn die Aussicht auf einen „Tanzhaus“-Neubau gleich neben dem Theaterhaus, der noch dieses Jahr konkretisiert und dann mit der alternativen Tanzszene geteilt werden soll, lässt ihn hoffen. Und ließ ihn seinen Vertrag um sechs Jahre verlängern.

Und der Abend selbst? So leichtfüßig und leichtsinnig im besten Sinn, wie zum allgemeinen La-La-Land-Schwung derzeit auch bestens passend. „Die Bühne dampft!“, wusste Gauthier. Das tat sie: Zuerst mit Marie Chouinards nijinskihaft vernebelnder „Faun“-Paraphrase, in der sich Solistin Süheyla Harms beste Haltungsnoten verdiente, danach mit Nacho Duatos virtuosem Pas de deux um einen Musikus, der seine Partnerin als Cello-Korpus gebraucht. Zwei Kabinettstücke gesetzteren Alters, die Gauthier aber gerne im Programm haben wollte.

Ansonsten besteht „Big Fat Ten“ in bewährter Durchnummerierung aus lauter Uraufführungen. In Itzik Gallis „My Best Enemy“ balzen zwei Typen humorig-gelenkig um die Aufmerksamkeit einer schicken Marilyn, während mit Alejandro Cerrudos spektakulärem „They're In Your Head“ nicht nur die Bühne, sondern gleich auch der Kittel der Tänzer dampft. Johan Ingers „Sweet, Sweet“ lässt drei Grazien kraft- und effektvoll bis zum Gangnam-Style powern, bis Hausherr Gauthier in seinem „Ballet 102“ recht lustig aus dem Baukästchen des klassischen Bewegungsrepertoires auspackt. Wichtigster Satz, der eben nicht nur hier zählt: „Let's have a little fun!“

Das Beste hebt sich der Abend für den Schluss auf. Andonis Foniadakis? „Streams“ erweist sich als dionysischer Rauschzustand, ungemein energisch und vielschichtig, im Hintergrund tanzt sogar der goldene Lamettavorhang mit. Und der Ballettchef der griechischen Nationaloper bringt sogar etwas auf die Bühne, was hierzulande selten geworden ist: Pathos.