Tübingen

Kinobranche: Die Blockbuster fehlen als Magnet

Bei den Vereinigten Lichtspielen Tübingen tauchen vorerst nur die Vorführsäle im Museum aus dem Corona-Lockdown auf – selbstverständlich mit ausreichend Abstand und mit 100 Prozent Frischluft aus der Lüftungsanlage.

06.07.2020

Von Dorothee Hermann

Da heißt Geschäftsführer Martin Reichart noch persönlich sein Kinopublikum willkommen. Auch wenn dieses Foto vom letzten Herbst stammt, als sich während der Französischen Filmtage im Tübinger Kino Museum die Besucher drängten.Archivbild: Ulrich Metz

Da heißt Geschäftsführer Martin Reichart noch persönlich sein Kinopublikum willkommen. Auch wenn dieses Foto vom letzten Herbst stammt, als sich während der Französischen Filmtage im Tübinger Kino Museum die Besucher drängten.Archivbild: Ulrich Metz

Das Kino hat es schwer in der Pandemie, auch in Tübingen. Aufgrund der Abstandsregeln ist die Zahl der Sitzplätze begrenzt. Etliche Besucherinnen und Besucher trauen sich noch nicht wieder ins Kino, weil es ein geschlossener Raum ist. Andere haben etwas dagegen, wenn sie beim Kartenkauf ihre persönlichen Daten hinterlegen und bis zum Kinosessel einen Mund-Nasen-Schutz tragen sollen, berichtet Martin Reichart, Geschäftsführer der Vereinigten Lichtspiele Tübingen, der Kinos Museum und Blaue Brücke.

Trotz vielversprechender Neustarts wie „Richard Jewell“ von Clint Eastwood über einen Wachmann, der vom FBI zu Unrecht als Bombenleger verdächtigt wird, kamen in den ersten vier Tagen zu 24 Vorstellungen 100 Besucher, so Reichart. Bundesweit sieht es ähnlich aus. „Richard Jewell“ erreichte im Schnitt 28 Besucher in vier Tagen. Bei der Action-Komödie „The Gentlemen“ waren es 23. „Mit diesen Besucherzahlen wird kein Kino in Deutschland überleben können. Das ist vernichtend“, so der Kinobetreiber. „Wenn am 15. Juli nicht das Cinelatino anlaufen würde, würde ich wahrscheinlich nochmal ganz schließen.“

Während des Cinelatino, des Tübinger Festivals des lateinamerikanischen und spanischen Films, öffnet das Kino Museum erstmals wieder die ganze Woche. Momentan ist montags bis mittwochs geschlossen. Das Schwesterkino Blaue Brücke bleibt vorläufig dicht. Zudem dräue die befürchtete zweite Welle, und dann müssten die Lichtspielhäuser ohnehin ein weiteres Mal schließen.

„Wir haben keine Planungssicherheit.“ Wann große Publikumsfilme wie „Mulan“ starten, sei ungewiss. „Wir bräuchten dringend so einen Blockbuster, als Besuchermagnet“, sagte Reichart.

„Mulan“ ist die Live-Action-Verfilmung des gleichnamigen Disney-Zeichentrick-Klassikers aus dem Jahr 1998. Als Mann verkleidet tritt Hua Mulan (Liu Yifei) in die Armee des Kaisers von China ein, um ihrem alten Vater diese Pflicht zu ersparen, denn jeder Haushalt muss einen Kämpfer stellen.

Der Actionthriller „Tenet“ von Christopher Nolan soll Mitte August anlaufen, so Reichart. „Aber niemand weiß, ob das eintrifft.“ Die Amerikaner schicken keinen Film in die europäischen Kinos, solange die amerikanischen Kinos nicht zu 80 Prozent geöffnet sind, sagte der Kinobetreiber. „So lange werden die amerikanischen Verleiher keine großen Filme starten.“ Angesichts steigender Infektionszahlen in den Vereinigten Staaten sieht es danach derzeit nicht aus: „Jeden Tag kommen neue Hiobsbotschaften aus den USA.“ Dabei würde „Tenet“ recht gut in die Zeit passen: Die Welt steht kurz vor dem Kollaps – im Film allerdings mit der Option auf Rettung.

In Tübingen steht zunächst noch eine andere Rettung an: Zum Krimi um den Fortbestand des Programmkinos Arsenal sagte Reichart: „Wir haben großes Interesse, dass das Arsenal bleibt.“ Als Retter können die Lichtspiele jedoch kaum einspringen: „Aufgrund von Corona sind auch unsere Mittel begrenzt.“ Von den 35 Mitarbeiterinen und Mitarbeitern der Vereinigten Lichtspiele sind momentan 30 in Kurzarbeit. Die anderen fünf sind Minijobberinnen und Minijobber. Sie sind aktuell im Einsatz, weil sie kein Geld von der Arbeitsagentur bekommen, so Reichart. „Wir sind Kulturschaffende genau wie Theater, Oper und Vereine und brauchen eine gewisse Unterstützung.“ Falls die Pandemie und die mit ihr verbundenen Beschränkungen noch über Monate anhalten, sieht er die öffentliche Hand in der Verantwortung. „Uns wäre es natürlich am liebsten, wenn die Leute wieder ins Kino kommen.“

Er verwies auf die cineastische Strahlkraft Tübingens: „Wo gibt es das in einer Stadt mit nicht einmal 100.000 Einwohnern: So viele Kinos, die jedes Jahr ausgezeichnet werden vom Bund und vom Land?“ Neben Arsenal und Atelier sind das Studio und Kino 2 im Museum. Im Landkreis gehört das Rottenburger Kino Waldhorn in die gleiche Liga. Die Mössinger Lichtspiele werden immerhin vom Land gefördert. An Coronahilfen flossen bisher an die Vereinigten Lichtspiele 30.000 Euro vom Land sowie zweimal 10.000 Euro vom Bundesministerium für Kultur und Medien.

„Wir tun alles für die Sicherheit. Wir haben ja große Kinos.“ Die Lüftungsanlage ist wegen Corona auf 100 Prozent Frischluft eingestellt. Wenn es draußen warm ist, müsse die Luft entsprechend gekühlt werden, was den Stromverbrauch enorm in die Höhe treibt.

Besucher sollen Kinokarten idealerweise online buchen (Lastschrift möglich). „Wenn Leute im System ihren Wunschplatz auswählen, aber nicht bekommen, dann liegt das daran, dass die Plätze im Umfeld belegt sind.“ Besucher oder Besuchergruppen werden jeweils mit drei Sitzen Abstand platziert. Die Reihen davor und dahinter bleiben gesperrt. „Bis zu zehn Freunde sind auch noch zulässig“, so Reichart. Wer sich gar nicht mit dem Online-Ticketkauf anfreunden kann, bekommt auch am Snack-Schalter eine Kinokarte. Und das beliebte Soulfood für den Kinogenuss: „Es gibt Popcorn.“

Filme im Corona-Loch, Streamingdienste profitieren

Ausgebremst durch den Lockdown wurden ganz unterschiedliche Filme: Etwa „Nightlife“ über den Berliner Barkeeper Milo, der immer wieder in fremden Betten aufwacht, aber trotzdem irgendwann seine Traumfrau trifft. Oder die visuell grandiose Jane-Austen-Neuverfilmung „Emma“ und die Komödie „Die Känguru-Chroniken“: In der Zweitauswertung kommen sie nicht mehr an die Besucherzahlen heran, die sie vorher erreicht hatten, sagt Geschäftsführer Martin Reichart.

Und schließlich: Das Zuhausebleiben als Pandemieprävention brachte den Streamingdiensten enorme Zuwächse. „Auch das werden die Kinos merken. Ich glaube nicht, dass die Streaming-Abos nach der Corona-Krise alle storniert werden.“

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Erstellt:
06.07.2020, 22:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 36sec
zuletzt aktualisiert: 06.07.2020, 22:00 Uhr

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