„Der war unheimlich billig“

Interview mit Schauspieler Moritz Bleibtreu

Autor, Produzent, Regisseur, Hauptdarsteller: Der Schauspieler Moritz Bleibtreu hat beim Thriller „Cortex“ viele Rollen. Ganz so geplant war das nicht.

21.10.2020

Von Dieter Oßwald

Moritz Bleibtreu spielt im Film „Cortex“ den von Albträumen geplagten Hagen. Foto: Gordon Timpen/Warner Bros./dpa

Moritz Bleibtreu spielt im Film „Cortex“ den von Albträumen geplagten Hagen. Foto: Gordon Timpen/Warner Bros./dpa

Ob als chaotischer Cannabis-Pizza-Lieferant in der Kiffer-Kultkomödie „Lammbock“ oder als skrupelloser Wirtschaftsanwalt in der Verfilmung des Martin-Suter-Romans „Die dunkle Seite des Mondes“: Der Schauspieler Moritz Bleibtreu ist seit Jahren für sein vielseitiges Rollenspektrum bekannt. Am Donnerstag kommt mit dem Thriller „Cortex“ das Regiedebüt des 49-Jährigen in die Kinos, für das er nicht nur das Drehbuch verfasst hat, sondern auch noch die Hauptrolle spielt. Die Handlung dreht sich um den von Alpträumen geplagten Hagen, der zunehmend Schwierigkeiten hat, Traum und Realität zu unterscheiden. Ein Seitensprung seiner Frau (Nadja Uhl) setzt eine Kette verstörender Ereignisse in Gang.

Herr Bleibtreu, wie gut haben Sie letzte Nacht geschlafen?

Moritz Bleibtreu : Die Klassikerfrage zum Film! (Lacht) Ich schlafe eigentlich ziemlich gut. Beim Einschlafen holpert es bisweilen, weil manchmal noch zu viel Kopfkino läuft. Danach schlafe ich jedoch meistens bis zum Morgen problemlos durch.

Es gibt also keine autobiografischen Elemente in dieser Albtraum-Geschichte?

In der Traumgeschichte weniger, Überschneidungen gibt es bei der Frage von Identitäten. Als Schauspieler gehört es schließlich zu meinem Beruf, immer wieder so zu tun, als wäre ich ein anderer. Ich muss mich ständig in der Identität fremder Figuren finden. Wobei es vielen Menschen vertraut ist, eine Person vorzugeben, die er oder sie gar nicht ist oder sein will. Für diesen Zustand bietet „Cortex“ eine Spiegelfläche.

Sie sind zugleich Hauptdarsteller, Autor, Produzent und Regisseur. Wie groß ist der Albtraum, so sein Regie-Debüt zu stemmen?

Das ist dem Zufall geschuldet gewesen. Nachdem ich das Buch geschrieben hatte, wollte ich auch Regie führen. Es ist schlau, zudem Produzent zu sein, weil kreative Entscheidungen einfacher getroffen werden können. Den Hauptdarsteller wollte der Regisseur allerdings definitiv nicht haben. Unerfahren wie ich war, hatte ich das Drehbuch geschrieben, ohne einen Schauspieler im Kopf zu haben. Beim Casting fand sich niemand, der hundert Prozent gepasst hätte. Vier Wochen vor Drehbeginn fehlte mir der Hauptdarsteller. Da sagte mein Produktionspartner: „Mensch, nimm doch den Moritz Bleibtreu, der spielt das bestimmt ganz gut.“ Dagegen habe ich mich aber erst mal mit Händen und Füßen gewehrt. Letztlich habe ich mich aber überzeugen lassen.

Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Es war keine ganz blöde Entscheidung. Erstens hat er das gar nicht so schlecht gespielt, der Bleibtreu. Zweitens war der unheimlich billig. Drittens schadet es nicht, wenn der Hauptdarsteller ein bisschen einen Namen hat. Insofern hat sich das gut ergeben, wobei es überhaupt nicht so geplant war.

Wie kam es gerade zu dieser Geschichte?

Das Genre des BodySwitch-Films mochte ich schon immer. Allerdings wollte ich es nie auf die amüsante Art betrachten, sondern mich dem Thema von der psychologischen Seite nähern. Für mich stand die Frage im Raum, sind wir wirklich die Personen, die wir vorgeben zu sein? Wir entschließen uns irgendwann im Leben, unser eigenes Ich zu definieren. Aber ich denke, dass dieses Ich nur eine vage Vorstellung von dem ist, was man sein möchte. Dass wir bis zu einem bestimmten Grad in einer Welt leben, in der viele gar nicht das Leben führen, das sie wirklich wollen. Der Film beschäftigt sich mit der Frage ,Was wäre, wenn die Vorstellung, jemand anderes zu sein, Wirklichkeit wird??.

Zwei ihrer Darsteller räumen ein, dass sie Probleme hatten, das Drehbuch zu verstehen. Wie komplex darf ein Film sein ?

Das sind Fragen, über die ich mir so gar keine Gedanken gemacht habe. Ich wollte keinen Film machen, der bewusst kompliziert ist. Aber ich habe großen Spaß an komplexeren Geschichten und einer ausgetüftelten Erzählweise. Ich habe versucht, eine Geschichte zu schreiben, die ich selbst spannend finde. Das Mitdenken und das Verwirrspiel sollten Teil des Erlebens, des Spaßes und der Spannung bei diesem Film sein. Ich habe mich gar nicht mehr so sehr darum geschert, ob und wie man das versteht. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint das beim Publikum besser zu funktionieren, als ich erhofft hatte.

Rigorose Filme wie „Cortex“ sind im deutschen Kino Raritäten. Eigentlich wäre das die ideale „Netflix“-Ware. . .

Die Angst ist groß, dass mein erster Kinofilm als Autor und Regisseur auch mein letzter sein wird. Ich weiß, dass ein Film wie „Cortex“ es auf der Leinwand in Deutschland heutzutage sehr schwer haben wird. Wahrscheinlich werden solche Stoffe künftig komplett zu Streamingdiensten abwandern und nicht mehr im Kino laufen. Aber ich versuche, mich so frei wie möglich davon zu machen. Auch als Schauspieler habe ich mein Leben lang versucht, den Publikumsgeschmack links liegen zu lassen. Natürlich freue ich mich, wenn Filme viele Zuschauer haben. Aber ich habe nie irgendetwas für einen Publikumserfolg getan, sondern immer nur Geschichten erzählt, die ich selbst spannend finde.

Sind Sie durch den Film zum Traumexperten geworden?

Ich habe mich in das Thema eingearbeitet, aber natürlich verfolge ich keinen wissenschaftlichen Anspruch. Wobei die Wissenschaft bis heute auffallend wenig weiß über das Phänomen Schlafen und Träumen, das jeden Menschen ganz elementar betrifft. Faszinierend finde ich Mythen, wie jene, wonach man im Traum nie sterben kann. Wissenschaftler mögen das bezweifeln, aber als Geschichtenerzähler gefällt mir die Vorstellung.

Zur Person

Moritz Bleibtreu kommt 1971 als Sohn der Schauspieler Monica Bleibtreu und Hans Brenner in München zur Welt. Populär wurde er Ende der 90er durch Filme wie „Knockin‘ on Heaven’s Door“ und „Lola rennt“, Auch in Hollywood-Filmen hat Bleibtreu mitgespielt („München“, „World War Z“).

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Erstellt:
21.10.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 48sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2020, 06:00 Uhr

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