Motiv Habgier: Anschlag auf BVB-Spieler offenbar geklärt

Der mutmaßliche BVB-Attentäter arbeitete in Tübingen - Durchsuchungen in Rottenburg

Nach dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund hat die Polizei am Freitagmorgen in Tübingen auf der Morgenstelle einen 28 Jahre alten Deutsch-Russen als Tatverdächtigen festgenommen. Auch in Rottenburg lief am Morgen ein Polizeieinsatz.

21.04.2017

Von dpa/tol

Tübingen. Am frühen Freitagmorgen nahm ein Spezialeinsatzkommando in der Tübinger Schnarrenbergstraße einen 28-Jährigen fest. Er soll der Mann sein, der vergangene Woche einen Anschlag auf die Spieler des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund verübt hat. Laut Bundesanwaltschaft scheint der mutmaßliche Täter wohl auf einen Kursverlust der BVB-Aktie gesetzt zu haben, um dadurch einen Millionengewinn einstreichen zu können. An islamistischen oder anderen extremistischen Hintergründen bestünden erhebliche Zweifel.

Festnahme in Tübingen, Durchsuchung in Rottenburg

Der Mann war gegen 6 Uhr auf der Morgenstelle von einem Spezialeinsatzkommando festgenommen worden. Zeitgleich liefen Durchsuchungen - unter anderem in Rottenburg. Dort sperrte die Polizei einen Teil des Fasanenwegs mit mehreren Mannschaftswagen ab. Beamte des Bundeskriminalamtes und der Kripo waren an der Durchsuchung beteiligt.

Entgegen anderslautender Meldungen in Medien soll er nicht am Universitätsklinikum beschäftigt sein. Ein 28-jähriger Mitarbeiter mit dem Namen Sergej W. „ist nicht am Uniklinikum Tübingen beschäftigt“, sagte die stellvertretende Pressesprecherin Claudia Löwe. Die Polizei meldete sich bislang jedenfalls noch nicht beim UKT - dafür viele Journalisten.

Nach TAGBLATT-Recherchen arbeitet der Mann seit etwa zehn Monaten auf der Tübinger Morgenstelle. Er war beim Unternehmen MVV Energie Mannheim angestellt. Der Energieversorger betreibt das Heizkraftwerk auf der Morgenstelle. Dort arbeite der 28-Jährige als Elektriker. Das bestätigte der Pressesprecher Roland Kress: „Wir arbeiten selbstverständlich von Anfang an auf das Engste und umfassend mit den zuständigen Behörden zusammen.“

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur liefen am Freitagmorgen Polizeiaktionen gegen insgesamt vier unterschiedliche Objekte in Baden-Württemberg.

Ermittler gehen von Einzeltäter aus

Die BVB-Spieler waren am Abend des Anschlags mit ihrem Bus vom Mannschaftshotel zum Champions League-Hinspiel gegen den AS Monaco abgefahren. Drei Sprengsätze waren dem Generalbundesanwalt zufolge über eine Länge von zwölf Metern in einer Hecke entlang der Fahrstrecke des Mannschaftsbusses angebracht. Die Sprengwirkung der mit Metallstiften bestückten Sprengsätze sei auf den Bus ausgerichtet gewesen. Ein Metallstift sei noch in einer Entfernung von 250 Meter aufgefunden worden. Die Zündung sei nach derzeitigem Erkenntnisstand für jeden Sprengsatz separat über eine funkausgelöste elektrische Schaltung erfolgt. Zur Art des verwendeten Sprengstoffs lägen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor.

Anhaltspunkte für mögliche Gehilfen und Mittäter bei dem Anschlag gebe es bislang nicht, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke Köhler. Die Ermittlungsbehörde behalte diese Frage aber weiter im Blick.

Herkunft und Art des beim Anschlag verwendeten Sprengstoffs sind den Angaben der Bundesanwaltschaft noch nicht ermittelt. Da bei der Explosion der gesamte Sprengstoff umgesetzt worden sei, seien die Untersuchungen „etwas komplexer und etwas aufwendiger“, sagte Köhler. Die Kriminaltechniker müssten zum Beispiel Bodenproben untersuchen.

Dem Verdächtigen Sergej W. wird versuchter Mord, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Der Mann hat laut Bundesanwaltschaft die deutsche und die russische Staatsangehörigkeit.

Motiv soll Geldgier gewesen sein

Wie viel Geld der Verdächtige im Fall des Anschlags auf den BVB-Mannschaftsbus maximal an der Börse hätte gewinnen können, ist noch nicht klar. Das werde derzeit noch berechnet, sagte Köhler. Der 28-Jährige habe drei verschiedene Derivate auf die Aktie von Borussia Dortmund erworben - die meisten davon am Tag des Angriffs selbst.

Unklar ist auch, wie viel Geld der Mann investiert hat. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hat der Tatverdächtige für den Kauf der Derivate einen Verbraucherkredit in Höhe von mehreren zehntausend Euro aufgenommen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) erklärte: „Der Täter hat nach meinem jetzigen Stand 79 000 Euro investiert, um entsprechende Aktienoptionsscheine zu kaufen.“ Nach „Spiegel“-Informationen soll sich der 28-Jährige einen Verbraucherkredit über 40 000 Euro besorgt haben.

Sicher ist aber: Je tiefer die Aktie des Fußballvereins gefallen wäre, desto höher wäre der Gewinn für den Verdächtigen ausgefallen. Der BVB war im Jahr 2000 als erster deutscher Sportverein an die Börse gegangen.

Der Kauf der Derivate wurde den Angaben zufolge über einen Online-Anschluss des Mannschaftshotels abgewickelt, in dem der Tatverdächtige bereits am 9. April - zwei Tage vor der Tat - ein Zimmer im Dachgeschoss bezogen habe - mit Blick auf den späteren Anschlagsort.

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zeigte sich befremdet über das mögliche Tatmotiv. „Dass man offensichtlich versucht hat, durch den Anschlag Kurs-Gewinne zu realisieren - das ist natürlich Wahnsinn“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Wir werden jetzt im Rahmen unserer Möglichkeiten die Sicherheitsvorkehrungen noch mal dramatisch nach oben schrauben“, fügte er an.

Die Ermittler hatten zunächst versucht, Schlüsse aus drei gleichlautenden Bekennerschreiben zu ziehen, in denen ein radikal-islamistisches Motiv für den Anschlag behauptet wird. Die Schreiben waren am

Tatort gefunden worden. Nach eingehender Prüfung hat die Bundesanwaltschaft an einem radikal-islamistischen Hintergrund aber erhebliche Zweifel. Auch ein rechtsextremistisches Bekennerschreiben weist nach Angaben der Behörde Widersprüche und Ungereimtheiten auf. Es deute derzeit nichts daraufhin, dass es vom Täter stamme.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnete die Schreiben als „besonders perfide Art, mit der Angst der Bevölkerung zu spielen“. Wenn sich der Verdacht der Ermittler bestätige, habe der Täter versucht, sich als Terrorist auszugeben, sagte er. Das zeige, dass es richtig sei, in alle Richtungen zu ermitteln.

Der 28-Jährige hat sich nach seiner Festnahme laut Bundeskriminalamt zunächst nicht zur Tat geäußert. Auf eine entsprechende Frage des ZDF-„heute journals“ sagte BKA-Präsident Holger Münch am Freitagabend: „Nein, er hat sich nicht eingelassen.“ Die Ermittler seien ihm schon „sehr früh“ auf die Spur gekommen, nachdem sie einen Hinweis auf auffällige Käufe von Optionsscheinen bekommen hätten. Die Festnahme dauerte nach Münchs Angaben dann aber noch, weil die Ermittler den Anfangsverdacht erst noch erhärten wollten, um genügend Beweismaterial für die erfolgreiche Beantragung eines Haftbefehls zu haben.

Der Verdächtige war noch am Freitag dem Haftrichter vorgeführt worden, der den Haftbefehl erließ.

Polizeiaktion im Rottenburger Fasanenweg: Die Polizei und das Bundeskriminalamt durchsuchten am Freitag ein Haus. Dazu sperrten sie die Straße mit mehreren Mannschaftswagen. Bild: Schweizer

Polizeiaktion im Rottenburger Fasanenweg: Die Polizei und das Bundeskriminalamt durchsuchten am Freitag ein Haus. Dazu sperrten sie die Straße mit mehreren Mannschaftswagen. Bild: Schweizer