Fußball

Der liebe Gott kickt mit, nicht nur in Zeiten von Corona

Heiligenverehrung, Wunderglaube, Stoßgebete gen Himmel: Das Verhältnis von Sport und Christentum ist eng – und mitunter heikel.

09.04.2020

Von CARSTEN MUTH

Javier Hernandez von Bayern Leverkusen, genannt Chicharito, kniet auf dem Rasen und betet. Foto: dpa

Javier Hernandez von Bayern Leverkusen, genannt Chicharito, kniet auf dem Rasen und betet. Foto: dpa

Ulm. Manchmal hilft selbst der liebe Gott nicht. Siehe WM-Halbfinale 2014. Da schmetterten die Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft vor dem Spiel nicht nur voller Inbrunst ihre Nationalhymne als gäbe es kein Morgen mehr. Viele Kicker der Seleciao erbaten zudem Beistand von ganz oben. Sie richteten serienweise Stoßgebete gen Himmel – damit es was werde mit dem Einzug ins Finale bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Nun, das Ergebnis ist bekannt. Brasilien ging unter – so wie es noch nie unterging. Die Begegnung ging in die Fußball-Geschichtsbücher ein. Deutschland gewann mit 7:1.

Viele Fußballer, nicht nur die brasilianischen, bekennen sich zum Christentum. Sie praktizieren ihren Glauben öffentlich, halten kurz inne und bekreuzigen sich vor dem Anpfiff oder nach Torerfolgen. „Es gibt schon seit Jahrzehnten Spieler und Trainer, die ihren Glauben nicht verheimlicht haben. Die gesagt haben, es gibt eine Kraft, die außerhalb von mir ist und die mich hält und trägt.“, sagt Eugen Eckert. Der 66-Jährige ist seit 13 Jahren Stadionpfarrer in der Arena des Bundesligisten Eintracht Frankfurt und zudem Referent für „Kirche und Sport“ der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD).

„Turek, du Fußballgott“

Der Seelsorger weiß: Das Verhältnis zwischen Fußball und Christentum ist mitunter eng – und nicht selten heikel. Der himmlische Vater jedenfalls hat schon 1954 Einzug in den Sprachgebrauch der Sportberichterstattung gehalten. Damals wurde der deutsche Torwart Toni Turek zum ersten Fußballgott erkoren. Als Turek im zur Legende gewordenen WM-Finale gegen Ungarn einen Ball spektakulär über die Latte lenkte, rief Radio-Kommentator Herbert Zimmermann voller Bewunderung ins Mikrofon: „Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!“ Ein Ausruf, den in den 1950er Jahren nicht gerade wenige Menschen als blasphemisch empfunden haben.

„Die Hand Gottes“

Wie heißt es so schön, wenn Fußball-Mannschaften auf Teufel komm raus mauern? Vorne hilft der liebe Gott! „Solcher Wunderglaube auf sehr populärer Ebene“ werde vor allem von der katholischen Kirche äußert misstrauisch betrachtet, sagte der Sportwissenschaftler und Philosoph Gunter Gebauer dazu mal im Deutschlandfunk. Gebauer verwies dabei auf die göttliche Verehrung Diego Maradonas während seiner Zeit beim SSC Neapel. Jener Maradona, der im Viertelfinale der WM 1986 in Mexiko gegen England ein Tor mit der Hand erzielte – mit „der Hand Gottes“, wie der Fußballer aus Argentinien stets beteuerte.

Auf Toni Turek, den WM-Helden von Bern, folgten im Laufe der Jahre in Deutschland einige „Fußballgötter“. Erinnert sei an Alexander Meier. Die Fans von Eintracht Frankfurt werden den früheren Bundesliga-Torschützenkönig wohl zeitlebens „Alexander Meier Fußballgott“, kurz „AMFG“, nennen.

Abseits solcher göttlicher Anleihen setzen sich viele Spieler und Trainer ernsthaft mit dem Glauben auseinander, machen diesen auch öffentlich. Gerade in der gegenwärtigen Corona-Krise könne der Glaube Menschen helfen, auch Sportlern, sagt der Frankfurter Stadionpfarrer Eugen Eckert. „Denn viele Spieler und Trainer relativieren momentan die Bedeutung des Fußballs.“

„Gott Teil des Lebens“

Borussia Mönchengladbachs Coach Marco Rose oder Augsburgs neuer Trainer Heiko Herrlich etwa sind gläubige Christen. „Ich habe entschieden, dass Gott Teil meines Lebens sein soll“, sagte Rose kürzlich dem Magazin der Deutschen Fußball Liga. Ein gläubiger Christ ist auch Liverpools Teammanager Jürgen Klopp. Den Tod Jesu am Kreuz nannte der inzwischen weltbekannte Coach einmal die „eindrücklichste Geschichte aller Zeiten“. Gott lasse einen nie allein, betont Klopp: „Es gibt eine höhere Macht, die über Dinge entscheide, auch wenn die Menschen dies nicht verstehen.“

Eine Überzeugung, die Sportler wie Weltmeister Jorginho teilen. Der Brasilianer spielte Anfang der 1990er Jahre in der Bundesliga, stand unter anderem bei Bayer Leverkusen und den Bayern unter Vertrag. Während seiner Zeit in München gründete er eine christliche Gemeinde, in die er regelmäßig Mitspieler einlud. Viele hätten das Angebot angenommen. Bis auf Lothar Matthäus. Der habe die Einladungen stets ausgeschlagen, sagte der heute 55-Jährige einmal dem Magazin „11 Freunde“. „Was ich sehr schade fand.“ Denn der Glaube, betont der ehemalige Rechtsverteidiger, hätte auch das Leben von Matthäus erleichtern können.

Erbitten himmlischen Beistand: Leverkusens Javier Hernandez, genannt Chicharito (oben), und Brasiliens Superstar Neymar (unten) knien auf dem Rasen und beten. Foto: dpa

Erbitten himmlischen Beistand: Leverkusens Javier Hernandez, genannt Chicharito (oben), und Brasiliens Superstar Neymar (unten) knien auf dem Rasen und beten. Foto: dpa

Zum Artikel

Erstellt:
09.04.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 09.04.2020, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport