Das Pinselohr auf Brautschau am Albtrauf

Der landesweit für Aufsehen sorgende Luchs „Friedl“ kam auch durch das Steinlachtal

Den bemerkenswertesten Ehrengast Mössingens im Jahr 2015 hat kaum einer bemerkt: Luchs „Friedl“, einer der wenigen Pinselohren in Baden-Württemberg, kam auf Partnersuche am Albtrauf vorbei.

31.12.2015

Von Eike Freese

Eines der wenigen Bilder, die von Friedl in freier Wildbahn existieren. Leider hat die Wildtier-Kamera das Motiv ein wenig überbelichtet.

Eines der wenigen Bilder, die von Friedl in freier Wildbahn existieren. Leider hat die Wildtier-Kamera das Motiv ein wenig überbelichtet.

Steinlachtal. Nein, ein SMS-Junkie ist B415 nicht. Der sympathische Zuwanderer aus der Schweiz, der seit dem Frühjahr von Naturkundlern aus Baden-Württemberg mit viel Hingabe beobachtet wird, lässt manchmal nur alle paar Tage von sich hören. Die SIM-Karte, mit der B415 seit über 250 Tagen ausgestattet ist, verschwindet immer mal wieder im Funkloch. Sicher ist nur: B415 war im Jahr 2015 auch im Steinlachtal – auf der Suche nach einer Braut mit schönem Fell.

Mit bürgerlichem Namen heißt B415 übrigens Friedl und ist ein ausgewachsenes Luchs-Männchen vom Stamme „Lynx lynx“. Den Zahlen-Code trägt die große Katze nur in Kreisen der Wissenschaft. Für die ist Friedl Forschungsobjekt und Pionier zugleich. Luchs-Freunde erhoffen sich eine Wiederansiedlung der Wildtiere in Baden-Württemberg. Platz für rund hundert Luchse sei im Land, schätzen Experten. Bislang indes ist Friedl, der aus dem schweizerischen Jura stammt, ziemlich allein unter Schwaben.

Die aktive und politisch geförderte Ansiedlung von Friedl und seinen Freunden ist zudem nicht unumstritten. Manche Jäger sehen den Konkurrenten skeptisch. Schäfer fürchten die – seltenen – Angriffe auf ihre Tiere und selbst manche Naturschützer wollen die knappen Öko-Ressourcen im Land auf wichtigere Projekte konzentrieren.

Etwas Besonderes ist Friedl allemal. Den Landkreis Tübingen besuchte der Luchs schon im Spätsommer. Auf seiner bislang mindestens 1600 Kilometer langen Brautschau folgte der große Beutegreifer vom Schwarzwald aus vornehmlich der Autobahn A 8 bis kurz vor Ulm. Dann kehrte er um und zog entlang des Albtraufs über Honau und Willmandingen auch über Mössinger Markung, bevor er sich über Salmendingen weiter in den Zollernalbkreis orientierte (siehe Karte rechts).

Viel ist über den Ablauf seiner Visite im Steinlachtal indes nicht bekannt. Das elektronische Halsband, das ihm die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg (FVA) im April umhängte, teilt einmal am Tag per SMS lediglich die Position mit. Immerhin: Im Mössinger Stadtwald verspeiste er nach Informationen von Alexander Köberle, Abteilungsleiter Forst beim Landkreis, ein leckeres Reh. „Er hat sich Zeit genommen dabei, das ist das, was wir wissen“, sagte Köberle, als er dem Mössinger Gemeinderat kurz vor Weihnachten die Bewegungen von Friedl rund um Mössingen vorstellte.

Rehe sind die bevorzugte Beute des Luchses, soviel sei zur Beruhigung mitgeteilt. Von zehn Tieren, die Friedl reißt, sind im Schnitt acht Rehe, die meisten anderen kleinere Beutetiere. Das letzte Schaf, auf das es Friedl abgesehen hatte, ließ im Frühjahr im Schwarzwald das Leben. „Rinder und Pferde werden vom Luchs lediglich beäugt, aber nie angegriffen“, sagt Luchs-Experte Micha Herdtfelder von der FVA in Freiburg. Vom Menschen halten sich Friedl und andere Pinselohren fern.

Interessant an Friedls Aufenthalt im Steinlachtal ist, dass er sich bei seinen Streifzügen recht genau an die Korridore des aktuellen General-Wildewege-Plans gehalten hat. Dieses Flächen-Konzept soll Biotope im Land so verbinden, dass sich Wildtiere einigermaßen artgerecht bewegen können. „Schön, dass sich Friedl in der Natur an die vorgesehenen Wege hält“, scherzte Mössingens OB Michael Bulander jüngst im Rathaus: „Das schaffen viele Wanderer nicht.“

Weit gekommen ist Friedl übrigens seit dem Sommer nicht. Zwar ist der Landkreis Tübingen nach Informationen von Alexander Köberle derzeit luchsfrei. Doch nach Auskunft des Stuttgarter Ministeriums für ländlichen Raum, in dem auch der Naturschutz untergebracht ist, streift er aktuell im Oberen Donautal umher. Eine hübsche Luchsfrau, so steht zu vermuten, hat Friedl bis heute weder im Steinlachtal noch sonstwo in Baden-Württemberg gefunden.

Luchs Friedl hat auf seiner Suche nach einer passenden Luchsfrau immerhin eine Strecke vom Schwarzwald bis ins mittlere Alb-Vorland zurückgelegt. Zu Fuß.

Luchs Friedl hat auf seiner Suche nach einer passenden Luchsfrau immerhin eine Strecke vom Schwarzwald bis ins mittlere Alb-Vorland zurückgelegt. Zu Fuß.

Der landesweit für Aufsehen sorgende Luchs „Friedl“ kam auch durch das Steinlachtal

Luchse im Land

Luchse sind in Baden-Württemberg ausgesprochen selten. Zumeist sind es nur einzelne Tiere, die aus der Schweiz ihren Weg über die Grenze finden. Seit Friedl also bei einer Lämmer-Jagd im April aufgespürt und mit einem Sender ausgestattet werden konnte, sind seine Bewegungsmuster für die Wissenschaft von enormem Wert. Auch Vertreter von Jagd, Naturschutz, Nutztierhaltung und die Wildtierbeauftragten bekommen seitdem regelmäßige Updates über Friedls Treiben im Land. Der Landesjagdverband ist Pate des Luchses.