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Der ehrenamtliche Betreuer Wilfried Wurster kümmert sich um einen dementen Heimbewohner

Demnächst gehen wir ja in Ihre Wohnung und holen noch Ihre Kleider“, sagt Wilfried Wurster zu seinem Klienten. Dieser überlegt einen Augenblick, nickt und sagt dann: „Ich bin immer noch im Gesangsverein, aber jetzt als passives Mitglied.“ Die Antwort überrascht Wurster nicht allzu sehr. Seinen Klienten, nennen wir ihn K., kennt er nun schon eine Weile.

11.01.2017

Von Philipp Koebnik

Wilfried Wurster(rechts), Ehrenamtlicher beim Betreuungsverein, mit seinem leicht dementen Klienten K. im Pauline-Krone-Heim. Bild: Metz

Wilfried Wurster(rechts), Ehrenamtlicher beim Betreuungsverein, mit seinem leicht dementen Klienten K. im Pauline-Krone-Heim. Bild: Metz

Wurster betreut K. ehrenamtlich. Dieser befindet sich im Anfangsstadium einer Demenz. Der 84-Jährige macht einen wachen Eindruck, doch wer mit ihm redet merkt schnell, dass K.s Gedanken durcheinander gehen. Ständig rutscht sein Fokus in die Vergangenheit, von der er gerne erzählt. Wurster nervt das nicht, im Gegenteil: „Es ist interessant, wenn ältere Menschen von früher erzählen.“

Viele ältere Menschen, aber auch jüngere, die etwa eine Behinderung haben, können nicht alle ihre Angelegenheiten alleine regeln. Meist werden sie von ihren Kindern oder anderen Verwandten betreut. Doch manche haben keine Kinder, oder diese leben zu weit weg – oder das Verhältnis ist gestört, der Kontakt gar abgebrochen. Für solche Menschen ist es wichtig, einen ehrenamtlichen Betreuer wie Wurster zu finden. Der wiederum erhält Unterstützung vom Betreuungsverein Landkreis Tübingen, der Ehrenamtliche an Betreuungspersonen vermittelt.

Vor einigen Tagen traf Wurster sich mit K. im Pauline-Krone-Heim, wo dieser seit fünf Monaten lebt. Es galt, die nächsten Schritte zu besprechen. Als wichtigste Aufgabe steht die Auflösung der Wohnung an. „Das muss alles korrekt abgewickelt werden“, sagt Wurster. Vor ihm liegt ein dicker Ordner, prall gefüllt mit Dokumenten.

Sein Leben lang war K. aktiv. Im Gesangsverein zum Beispiel, und als Bergsteiger. Außerdem engagierte er sich gewerkschaftlich und im Sozialverband VdK. Wurster muss nun für K. prüfen, welche Mitgliedschaften weiterhin sinnvoll sind oder beendet werden müssen. „Da gehe ich überall persönlich vorbei und regel’ das“, sagt Wurster. Vieles gilt es neu zu organisieren, um- oder abzumelden. So muss K. als Heimbewohner keinen Rundfunkbeitrag mehr bezahlen. Das Telefon musste Wurster abmelden, K.s Hausratversicherung kündigen, und der Krankenversicherung hat er die neue Anschrift seines Klienten mitgeteilt. Auch K.s Auto muss Wurster nun verkaufen: „So etwas habe ich noch nie für jemand anderen gemacht.“

In den ersten zwei Monaten gebe es viel zu tun. „Wenn alles auf die Schiene gesetzt ist, sinkt der Zeitaufwand“, sagt Wurster gelassen. Dann sei man pro Woche etwa ein bis zwei Stunden mit den Angelegenheiten eines Betreuten beschäftigt. Hinzu kommen normale Besuche, über deren Häufigkeit aber jeder selbst entscheiden kann. Einmal pro Jahr schreibt er außerdem einen Bericht für das Betreuungsgericht, in dem er grob seine Tätigkeiten auflistet und den Zustand des Betreuten beschreibt: Wird sich der Umfang der Betreuung absehbar vergrößern oder nicht verändern?

Die Aufgaben eines ehrenamtlichen Betreuers unterscheiden sich teils deutlich. Im Kern geht es darum, für einen anderen Menschen rechtlich bindende Entscheidungen zu treffen. Betreuer unterschreiben zum Beispiel im Namen des Betreuten Verträge oder erledigen dessen Geldgeschäfte. Grundsätzlich sind Betreuer nur für Bereiche zuständig, die ein Betreuungsgericht festgelegt hat. Manche verwalten lediglich das Vermögen ihres Klienten, gehen auf Ämter, oder entscheiden sogar in sämtlichen Lebensbereichen. Für ihre Arbeit bekommen die Ehrenamtlichen eine kleine Aufwandsentschädigung.

Wurster sieht die Aufgabe nicht als Last, sondern als Bereicherung. Gerne hört er Menschen zu. Er interessiert sich für ihre Lebensgeschichten – und er möchte, dass seine Klienten sich bei ihm wohlfühlen. Wichtig sei allerdings, so betont er, dass die Chemie stimmt.

Wurster ist in Altersteilzeit. Vor vier Jahren schied der 64-Jährige aus dem Arbeitsleben aus. Als IT-Fachmann befasste er sich mit vielerlei Projekten. „Da muss man organisieren, so wie ich das jetzt als Betreuer auch tun muss.“

Den Betreuungsverein lernte er kennen, als seine Mutter vor ein paar Jahren in ein Pflegeheim musste. Damals besuchte er zwei Abendkurse des Vereins, in denen alles erklärt worden sei, was man zum Thema wissen müsse. „Seitdem weiß ich, was Betreuung heißt – zuvor hatte ich davon keine Ahnung.“ Schnell stellte er fest, dass er gerne eine solche Aufgabe übernehmen würde. „Allerdings“, so sagt er, „sollte es niemand mit einer psychischen Erkrankung sein.“ Das traue er sich nicht zu. Beim Verein überlegte man gemeinsam mit Wurster, wer zu ihm passen könnte, und kam so auf K.

Für Wurster ist es wichtig zu wissen: „Wenn ich Probleme habe, stehe ich nicht alleine da, sondern kann mich jederzeit an den Verein wenden.“ Der bietet auch Schulungen an. Regelmäßig gibt es zudem Treffen, bei denen sich die Ehrenamtlichen über ihre Erfahrungen und Probleme austauschen und sich Tipps geben. Knapp 200 solcher ehrenamtlicher Betreuer gibt es derzeit im Landkreis. Der Bedarf ist allerdings größer.