Vier weitere Plätze

Der Verein Ceres feierte 30-jähriges Bestehen und eröffnet neue Wachkoma-WG

Annette Saur kann es immer noch kaum fassen: Nach anderthalb Jahren ist ein junger Mann aus dem Koma erwacht. Voller Freude berichtete die Ceres-Vorsitzende bei der Feier zum 30-jährigen Bestehen des Vereins in der Bahnhofstraße 8 davon. Im Nachbarhaus wird diese Woche eine weitere Wachkome-WG eröffnet.

21.06.2016

Von Gabi Schweizer

Grün wie die Hoffnung: Dass das Nachbargebäude des Haus Ceres nun auch eine WG für Wachkoma-Patienten beherbergt, verrät schon die Farbe. Bei der Jubiläumsfeier am Sonntag konnten Gäste sich die neuen Räume anschauen, diese Woche ziehen die ersten Bewohner ein. Bilder: Schweizer

Grün wie die Hoffnung: Dass das Nachbargebäude des Haus Ceres nun auch eine WG für Wachkoma-Patienten beherbergt, verrät schon die Farbe. Bei der Jubiläumsfeier am Sonntag konnten Gäste sich die neuen Räume anschauen, diese Woche ziehen die ersten Bewohner ein. Bilder: Schweizer

Mössingen. „Apallisches Durchgangssyndrom“ lautete die Diagnose, als der junge Mann vor anderthalb Jahren in die Wachkoma-WG des Vereins Ceres einzog. Lange schien es, als würde er dort bleiben. „Da kommt nichts mehr“, so fasste Annette Saur zusammen, was eine solche Krankheit im Regelfall bedeutet: „Aber jetzt spricht er und haut richtige Böller raus.“ Plappert nach, singt Gassenhauer, interagiert: Seine Nichte habe er bereits mit Namen verabschiedet. Bald wird der 30-Jährige eine Reha beginnen. Umso fröhlicher kündigte Annette Saur bei der Jubiläumsfeier am Sonntagmorgen an, nun sei es Zeit zu feiern: „Steinlach Stompers, spielt los!“

Seit vier Jahren ist in dem auffällig grün gestrichenen ehemaligen Forsthaus in der Bahnhofstraße eine Wachkoma-WG eingerichtet, die erste in Baden-Württemberg, wie Oberbürgermeister Michael Bulander in seinem Grußwort betonte. Acht Menschen haben dort einen Wohn- und Pflegeplatz in häuslicher Atmosphäre gefunden. „In Fachkreisen wird seither viel und oft vom Mössinger Modell gesprochen“, wusste Bulander. Landrat Joachim Walter lobte das große Engagement der Vereinsmitglieder.

Annette Saur erinnert sich gut daran, wie ihre Mitstreiter/innen vor einigen Jahren selbst Wände herausrissen und Fenster abschliffen, um beim Haus-Umbau Kosten zu sparen. Und nicht nur das: 200 000 Euro Kredite trugen die Vereinsmitglieder – viele von ihnen Angehörige von Wachkoma-Patienten – damals aus privatem Geld zusammen.

In der Zwischenzeit sind unterm Dach von Ceres zwei weitere WGs gegründet worden: in Nürtingen-Raidwangen (fünf Plätze) und in Esslingen-Aichwald (drei Plätze). Und der Mössinger Standort wächst. Der Verein hat das Nachbargebäude angemietet und umgebaut, in dem zuletzt der Wäscheladen Body Fahion untergebracht war, davor ein Musikgeschäft. Etliche Monate war das Gebäude leer gestanden, dann entschloss Ceres sich, dort eine weitere Wohngemeinschaft für vier Menschen einzurichten. Bis auf letzte Details war diese am Sonntag fertig renoviert. „Mehr ins Futuristische“ solle das Design dieses Mal gehen, erklärte Annette Saur beim Rundgang durch die weißen Räume mit den schlichten weißen Tischchen und den milchigweißen Schränken. Im Gemeinschaftsraum und dem angrenzenden Zimmer wölbt sich darüber eine schwarze Decke samt Heizkörper, der einst in luftiger Höhe installiert wurde, um Platz zu sparen. „Wir machen noch einen LED-Sternenhimmel hin“, stellte Saur in Aussicht. Zudem kann sie sich hier einen knallroten Ohrensessel gut vorstellen. In den nächsten Tagen wird noch eine Küchenzeile eingebaut. Zwei Anmeldungen gibt es bereits für die neue WG. Dass weitere Nachfrage besteht, bezweifelt Saur nicht.

Einer der künftigen Bewohner war kürzlich Anlass für eine kleine Demonstration vor dem Mössinger AOK-Gebäude: Die Krankenkasse hat noch keine Eins-zu-Eins-Betreuung für ihn bewilligt. Die sei aber zwingend, betonte Saur noch einmal: „Wenn der Alarm losgeht, haben Sie zwei Minuten.“ Was, wenn in jenen zwei Minuten, die über Leben und Tod entscheiden, gerade ein anderer Patient versorgt wird? Die Verhandlungen laufen noch.

In Mössingen und der Region ist der Verein inzwischen fest verankert. Beim Jubiläumsfest brutzelten die Mitglieder des Liederkranz Belsen Würstchen. Über einen Sanitätshaus-Mitarbeiter ist der Kontakt zur Reservistenkameradschaft Tübingen zustande gekommen. Die Männer servierten nun Kaffee und Kuchen und sind dafür verantwortlich, dass man im Garten noch gemütlicher sitzen kann: Sie haben eine Terrasse angelegt und werden noch eine zweite pflastern.

Vereinsvorsitzende Annette Saur in einem der vier neuen Zimmer.

Vereinsvorsitzende Annette Saur in einem der vier neuen Zimmer.

30 Jahre Ceres

Der „Ceres e.V. – Verein zur Hilfe für Cerebralgeschädigte“ wurde am 23. Juni 1986 in Tübingen gegründet. Heute hat er bundesweit rund 350 Mitglieder, etwa zwei Drittel von ihnen leben in der Region Neckar-Alb. Seit 1993 gibt es die Ceres-Stiftung. Ceres bemüht sich, Therapie und Pflege von Cerebralgeschädigten zu verbessern. Ziel ist ein möglichst selbstbestimmtes Leben in häuslicher Umgebung, wo auch Angehörige sich einbringen können. Im Haus Ceres in der Mössinger Bahnhofstraße leben acht Menschen mit Schädel-Hirnverletzungen. Hinzu kommen nun vier Plätze im Nachbarhaus.