Dann stellt sich die Diätfrage

Der Tübinger Nils Aguilar und sein Film "Voices of Transition"

Resilienz heißt: die Welt robust machen für kommende Katastrophen. Wege zur Ernährungssicherheit, urbane Landwirtschaft und das beispielhafte Kuba hat Nils Aguilar in seinem Film "Voices of Transition" vorgestellt. Neulich war Rottenburger Premiere bei den Umweltfilmtagen im Kino Waldhorn.

14.12.2012

Von Fred keicher

"Voices of Transition"

"Voices of Transition"

Wenn wir alle Vegetarier wären, könnte die Welt 13 Milliarden Menschen ernähren. Nils Aguilar

Rottenburg. Nur zuschauen ging nicht. Aguilar schlug erstmal eine Vernetzungsübung vor. Jeder sollte sich mit jenen bekannt machen, die um ihn oder sie herumsaßen, so auf Armlänge etwa. Das waren auch im locker besetzten Waldhorn rund 60 Zuschauer/innen. Einer der Grundsätze der Bewegung: Sich vernetzen, Communities bilden.

Wenn Aguilars Film "Voices of Transition" eine Zeitansage macht, dann ist es überall danach - nicht nur nach "Peak-Oil", dem Zeitpunkt, von dem an es mit der Ölförderung bergab geht, sondern nach "Peak-Everything". "Resilience" ist angesagt, die Gesellschaften robuster machen und überlebensfähiger gegen die Krisen die da immer öfter und stärker kommen werden. Das heißt, sich abkoppeln vom globalisierten Kapitalismus, vernetzen in kleinen Gemeinschaften, weg von der konventionellen Landwirtschaft und hin zur Gemüse und Früchteproduktion mitten in der Stadt, auf Dächern, an Fassaden, in Parks.

Gebürtiger Tübinger hat Film selbst produziert

Protagonisten der Bewegung kommen in Aguilars Film zu Wort. Der gebürtige Tübinger (Jahrgang 1980) hat den 65-Minuten-Film seit 2009 selber produziert, finanziert, Regie geführt, geschnitten und geht jetzt mit ihm auf Vorstellungsreise. Letztes Jahr im Juli wurde der Film im Low-Budget-Festival in der Tübinger Shedhalle gezeigt - worauf sich prompt eine Transition Town Gruppe Tübingen-Rottenburg gründete.

Der Film arbeitet mit drastischen Gegensätzen. Hier menschenleere Landschaften, in denen chemische Produktionsschlachten geschlagen werden und Energie verprasst wird. Dort nette Menschen, die die Auswege aus der Krise kennen. Das sind zum einen die Vertreter der Waldgarten-Bewegung, hauptsächlich dissidente, aber sehr seriöse Agrarwissenschaftler aus der französischen Staatsanstalt für Landwirtschaft INRA. Zum anderen exzentrische britische Vertreter der Kleingartenbewegung. Da gibt der Gründer der Bewegung, der Permakultur-Experte Rob Hopkins die ernüchternde Einschätzung, dass wir im Moment die "nutzloseste Generation" Menschen hätten, die jemals auf Erden zugange gewesen sei, jedenfalls was ihre praktischen Fähigkeiten anginge. Und wir sehen den sympathischen alten Mike Feingold, mit roten Locken und grauem Bart, den nichts mehr erschüttern kann. Er treibt seine Äpfel durch den Muser und presst Apfelsaft. Nach einem herzhaften Schluck, verrät er: "Einige Tage lang habe ich jetzt Saft, dann Most. Wenn der Most nichts wird, ist es halt Essig. Wenn der Essig nichts wird, ist es halt ein Reiniger."

Vorbild Kuba für den Umgang mit der Krise

Wie man vorbildlich mit einer Krise umgehen kann, zeigt der Film am Beispiel Kubas. Da blieb 1991/92 schlagartig die Chemie aus der Sowjetunion aus. Heute sei die einst typische koloniale Exportwirtschaft komplett auf Selbstversorgung umgestellt. Der Film zeigt eine 10 Hektar Gärtnerei, in der 150 Gärtner ein ganzes Stadtviertel versorgen. Nur die Wände der Hochbeete sind dort noch aus Eternit.

Auf den Zusammenhang zwischen Selbstversorgung und Not hinzuweisen, vermeidet der Film. Die Geschichte agrarsozialistischer und lebensreformerischer Experimente interessiert hier nicht.

Wie er sich denn die Selbstversorgung der Megastädte der Welt vorstelle, oder einfach die von Paris, wollte Rainer Luick von der Fachhochschule für Forstwirtschaft im anschließenden Publikumsgespräch von Aguilar wissen. Für ihn stellt sich da die Diätfrage: "Wenn wir alle Vegetarier wären", sagte er, "könnte die Welt 13 Milliarden Menschen ernähren."

Dass sich Detroit zu "über 100 Prozent" selbst versorgt, berichtete Klaus Gräff von der Tübinger Transition-Town-Gruppe. Er betonte den politischen Charakter der Bewegung und ihre Orientierung am Gemeinwohl. Zehn "Wirkgruppen" gibt es in Tübingen. Für Gräff ist sehr zweifelhaft, "ob wir mit der Ökonomie, die wir haben, die Gesellschaft wandeln können". Auf die Frage, ob denn die Gruppe in Tübingen schon mal eine Kartoffel geerntet habe, reagierte er verständnislos, so als habe der Fragende wirklich gar nichts verstanden.