American Football: In der NFL wollen gleich drei Mannschaften nach Los Angeles umziehen

Der Traum von L.A.

In der amerikanischen Profi-Footballliga NFL steht eine große Rochade an: Gleich drei Teams wollen nach Los Angeles ziehen. Was im europäischen Fußball undenkbar scheint, ist in den USA Normalität.

30.12.2015

Von TOBIAS KNAACK

Bald nicht mehr nur direkte Rivalen in der Division, sondern vielleicht auch Partner in einem gemeinsamen Stadion - also praktisch Nachbarn in einem Doppelhaus: Die Oakland Raiders (weiß-schwarz) und die San Diego Chargers erwägen beide einen Umzug nach Los Angeles. Foto: afp

Bald nicht mehr nur direkte Rivalen in der Division, sondern vielleicht auch Partner in einem gemeinsamen Stadion - also praktisch Nachbarn in einem Doppelhaus: Die Oakland Raiders (weiß-schwarz) und die San Diego Chargers erwägen beide einen Umzug nach Los Angeles. Foto: afp

Ulm. Man stelle sich das nur mal für eine Sekunde vor: Der VfB nicht mehr in Stuttgart, sondern in einer anderen Stadt. Die Spatzen, der SSV, nicht mehr in Ulm. Der SC nicht mehr in Freiburg. Ob Nord, Süd, Ost oder West, Magdeburg oder München, Hamburg oder Homburg - egal welche Liga, egal welche Region, darin sind vermutlich alle Fußballfans vereint: Ein Umzug des Lieblingsvereins in eine andere Stadt ist für den traditionsbewussten deutschen Fußballanhänger schlicht nicht denkbar.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA, hingegen ist es gang und gäbe. Und in der amerikanischen Profi-Footballliga NFL steht demnächst wieder ein Umzug bevor - oder gleich mehrere.

Los Angeles, nach New York die zweitgrößte Stadt der USA, hat seit 1995 kein NFL-Team mehr, seit die Raiders nordwärts in Kalifornien nach Oakland und die Rams ostwärts nach St. Louis im Bundesstaat Missouri zogen. Nun könnte es eine Retoure geben - und noch mehr. Denn neben Raiders und Rams überlegen auch noch die Chargers aus San Diego (ebenfalls Kalifornien) den Umzug nach Los Angeles.

Möglich ist das vor allem, weil der US-Profi-Sport auf einem Franchise-System beruht. Ein Team gehört dort - anders als in Deutschland - in den allermeisten Fällen einem Besitzer. Hierzulande ist das etwa im Fußball mit der sogenannten 50+1-Regel ausgeschlossen, da es Kapitalanlegern nicht möglich ist, die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profiteams ausgegliedert haben.

Das System in den USA bezeichnet Christoph Breuer als viel kapitalistisch geprägter als das in Europa. Breuer ist Professor für Sportökonomie und Sportmanagement an der Sporthochschule Köln. "In Deutschland und Europa diskutieren wir das oft sehr negativ, sind sehr kapitalismuskritisch." Mit den Umzügen geht es vor allem auch um die Erschließung von (neuen) Märkten. Auf- und Abstieg gibt es nicht.

Mit dem Umzug in eine andere Stadt wittern Besitzer oft bessere Geschäftschancen. Den Ausbau von Marke und Markt treibt die NFL sogar soweit, dass es Überlegungen gibt, die Jacksonville Jaguars dauerhaft nach London überzusiedeln. Zuletzt fanden schon zwei bis drei Partien pro Saison mit verschiedenen Teams im Wembley-Stadion statt - Jacksonville richtete stets eine Heimpartie dort aus. Ein Umzug hätte vor allem einen Hintergedanken: Die Erschließung des europäischen Marktes. Andere Ausmaße also, als wenn Fußball-Bundesligisten in der Vorbereitung für Trainingslager nach Asien reisen, um dort ihre Bekanntheit zu steigern.

In den USA sind Planspiele zu Ortswechseln häufig auch mit dem Bau neuer Arenen verbunden - so auch diesmal. Die NFL setzt immer wieder neue Standards. Als offizieller Lizenzgeber kann sie das. So gilt etwa der erst zum Wechsel der Rams von Los Angeles nach St. Louis 1995 eingeweihte Edward-Jones-Dome als überholt. Zögen die Rams zurück nach Kalifornien, würde Besitzer Stan Kroenke in Inglewood im Speckgürtel Los Angeles eine neue Arena bauen lassen.

Dem gegenüber stehen Pläne, vor allem der San Diego Chargers, in Carson, ebenfalls in der Peripherie Los Angeles gelegen, zu bauen. Nach wenig ertragreichen Gesprächen mit der Stadt San Diego, zieht es das Team von Alex Spanos nordwärts im Golden State. Und auch die Oakland Raiders liebäugeln mit einem Wechsel nach LA. Sie teilen sich derzeit mit dem Baseballteam Athletics ein Stadion. Wie die Rams spielten auch die Raiders bis 1994 bereits in Los Angeles. Chargers und Raiders könnten sich ein gemeinsames Stadion vorstellen.

Ob Los Angeles mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern - 18 Millionen in der Metropolregion - den Markt bietet, gleich zwei oder gar drei neue Spitzen-Sportteams aufzunehmen, weiß Breuer nicht. Denn neben den Chancen gibt es auch Risiken in größeren Städten. Etwa, dass es mehr Konkurrenz durch Spitzen-Teams anderer Sportarten gibt - in Los Angeles mit Kings (Eishockey), Dodgers (Baseball) sowie Lakers und Clippers (Basketball) gleich vier. Nähme man noch Anaheim dazu, sind es mit Angels of Anaheim (Baseball) und Ducks (Eishockey) noch zwei mehr. Dennoch gebe es die Tendenz, in größere Ballungsräume zu gehen, sagt Breuer. Die Märkte sind hier einfach größer.

St. Louis jedenfalls kämpft darum, die Rams in der Stadt zu halten und hat einen milliardenschweren Zuschuss für einen Arenaneubau in Downtown angekündigt. Noch bis heute haben die beiden anderen Städte Zeit, den Klubs entsprechende Angebote vorzulegen. Eine endgültige Entscheidung fällt vermutlich Ende Januar. Dann müssen 24 von 32 Besitzern für einen, zwei oder drei Umzüge stimmen.

Diktiert in der NFL also der Markt alles? Es gibt eine Ausnahme: Die Green Bay Packers sind das einzige Team im gesamten US-Profi-Sport, das nicht einem Eigentümer gehört, sondern 350 000 Anteilseignern - bei knapp 105 000 Einwohnern in der Stadt. Und auch Sportökonom Breuer hat seine Zweifel, ob der Wegzug eines Teams für eine Stadt spürbare Effekte hat: Studien hätten gezeigt, dass die Ausgaben in der Stadt auch danach etwa gleichblieben. Der Grund ist denkbar profan: "Die Leute geben das Geld einfach an anderer Stelle aus."

Für Anhänger in San Diego, Oakland und St. Louis spielt das gerade keine Rolle. Am letzten Spieltag der regulären Saison am Sonntag tritt keines ihrer Teams zuhause an - und ob sie im nächsten Jahr wiederkommen, steht in den Sternen. Für einen Fußballfan unvorstellbar.