Hilfe für Flüchtlinge in Seenot

Der Rottenburger Friedhold Ulonska beteiligt sich an einer Rettungsmission vor der afrikanischen Küs

Der ehemalige Tagblatt-Redakteur Friedhold Ulonska ist leidenschaftlicher Segler. Doch was er im April vorhat, ist auch für ihn neu. Eine Woche lang wird er auf der Sea-Eye im Mittelmeer vor der libyschen Küste unterwegs sein, um Bootsflüchtlingen in Not zu helfen.

02.04.2016

Von Frank Rumpel

Die Sea-Eye (hier im Hafen von Brest) ist ein ehemaliger Fischkutter, der von einem Verein umgerüstet wurde und am 20. April mit Friedhold Ulonska an Bord von Sizilien aus zur Seenotrettung von Flüchtlingen vor der libyschen Küste aufbricht. Bild: Buschheuer

Die Sea-Eye (hier im Hafen von Brest) ist ein ehemaliger Fischkutter, der von einem Verein umgerüstet wurde und am 20. April mit Friedhold Ulonska an Bord von Sizilien aus zur Seenotrettung von Flüchtlingen vor der libyschen Küste aufbricht. Bild: Buschheuer

Rottenburg. Auf einiges kann man sich vorbereiten, auf anderes nicht. Friedhold Ulonska fährt als erster Offizier auf der Sea-Eye mit, ist also zweiter Mann an Bord nach dem Kapitän, einem pensionierten Arzt. Nautisch, sagt der 58-jährige Ulonska, „ist das sicher völlig unproblematisch“. Die Sea-Eye, ein ausgedienter, 26 Meter langer Fischkutter, der fast 60 Jahre lang vor Rügen Dienst tat, bevor er ausgemustert und für sein neues Leben umgerüstet wurde, legt am 20. April von Sizilien ab. Von dort aus geht es einmal quer übers Mittelmeer, bevor die Sea-Eye dann zwischen der 12- und der 24-Meilen-Zone (also etwa 20 bis 40 Kilometer) vor der libyschen Küste auf- und abfährt.

Und dort warten die eigentlichen Herausforderungen dieses ehrenamtlichen Einsatzes. An Bord sind acht Menschen, viele davon ohne Seeerfahrung. „Das wird sicher psychisch und physisch anstrengend“, sagt Ulonska, der in Norddeutschland und damit am Meer und mit Booten aufwuchs. Das Hobby ruhte einige Jahre, als er des Studiums wegen nach Tübingen kam, eine Ergenzingerin heiratete, nach Rottenburg zog und eine Familie gründete. Vor knapp 20 Jahren trat er der Studentischen Seglergemeinschaft in Tübingen bei, mischt seit einigen Jahren bei der Ausbildung mit und übernahm immer wieder auf kommerziellen Segeltörns das Steuer. So kam er viel herum, war in der Nord- und Ostsee, im Nordatlantik und im Mittelmeer unterwegs und weiß deshalb, dass es eng und anstrengend werden kann, wenn man als Mannschaft mehrere Tage und Nächte auf See verbringt. „Manche Leute muss man da auch zu ihrem Glück zwingen“, sagt Ulonska und zählt dazu etwa regelmäßiges Schlafen und Essen.

Auf die Einsätze kann man sich nur bedingt vorbereiten

Denn wenn sie ein Flüchtlingsboot sichten, das vielleicht überfüllt ist, das halb Verdurstete oder gar Tote an Bord hat, müssen möglichst alle fit und auf ihrem Posten sein. „Wie das dann sein wird, kann man sich nur theoretisch ausmalen“, sagt Ulonska. Sicher gibt es ein vorab besprochenes Prozedere, das genau festlegt, was gemacht wird – und was nicht. Man fährt beispielsweise nicht direkt an ein solches Boot heran. Die Gefahr, dass das Flüchtlingsboot kentert und Menschen ertrinken, sagt Ulonska, sei viel zu groß, weil in einer solchen Situation häufig alle auf eine Bootsseite stürzen. An Bord nehmen können sie ohnehin niemand, weil die Sea-Eye dafür einfach zu klein ist. Die bleibt deshalb grundsätzlich auf Abstand, lässt zwei Schnellboote zu Wasser und verteilt erstmal Rettungswesten und Wasser an die Flüchtlinge. Allenfalls Schwerverletzte können auf einer Krankenstation der Sea-Eye versorgt werden.

Vor allem aber setzt die Sea-Eye einen Notruf an die Seenotleitstelle in Rom ab und die wiederum versucht, ein größeres Schiff, das in der Nähe ist, dorthin zu lotsen, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Nach internationalem Seerecht ist dazu jedes Schiff verpflichtet. Und wer immer die Menschen an Bord nimmt, muss sie in einen sicheren Hafen bringen. Ist einmal kein Schiff in der Nähe, schickt die Rettungsleitstelle in Rom auch mal die italienische Küstenwache los, ein aufwendiger und teurer Einsatz. „Dafür kann man sie wirklich nur loben“, sagt Ulonska.

Der gelernte Journalist, der von 1986 bis 1990 in der RoPo-Redaktion arbeitete und heute in einer Unternehmensberatung tätig ist, hat zur Vorbereitung viel mit Leuten gesprochen, die einen solchen Einsatz oder ähnliche Situationen schon erlebt haben. Er hat sich Reportagen angeschaut, sich mit den Hintergründen der Flucht beschäftigt und sich immer wieder überlegt, was er im Falle eines Falles machen wird. „Ob das reicht, weiß ich nicht. Auf See ist jeder Einsatz anders“, sagt er. So kann es zu einer Situation kommen, in der sie mehreren Flüchtlingsbooten begegnen und sich vielleicht fragen müssen, wem sie helfen, wenn sie nicht allen helfen können. Was, wenn starker Seegang herrscht, wenn Verletzte an Bord sind, der eine Einsatz noch nicht beendet ist und schon der nächste ansteht?

Im Winter ist die Überfahrt des rauen Seegangs wegen kaum zu machen, doch jetzt sind bereits wieder Flüchtlingsboote gesichtet worden. Seit die Balkanroute dicht ist, könnten wieder mehr versuchen, auf diesem Weg nach Europa zu gelangen. „Damit ist zu rechnen“, sagt Ulonska, der einfach nicht mehr nur zuschauen wollte, wie so viele Menschen auf diesen Überfahrten ertrinken. „Mein Impuls war: Da muss man was machen.“ Mit den Berichten von der Sea-Watch, dem ersten, privat finanzierten Rettungsschiff, das voriges Jahr mit Freiwilligen in See stach, wurde ihm klar, wie er sich mit seinen Qualifikationen einbringen könnte. „Das Projekt hat mich fasziniert“, sagt er. „Für mich war klar: Das will ich machen.“

Neben der Sea-Watch hatte sich inzwischen ein Regensburger Verein um den Bauunternehmer Michael Buschheuer derselben Idee verschrieben und mit Spendengeldern die Sea-Eye auf den Weg gebracht. Die liegt derzeit in Sizilien vor Anker, wo nochmals nachgebessert und Ausrüstung an Bord gebracht wird. Von dort wird sie zu ihrer ersten Fahrt aufbrechen. Acht Tage lang dauert der Einsatz vor der afrikanischen Küste. Anschließend geht es nach Malta, wo die Sea-Eye und die Sea-Watch den Sommer über ihre Basis haben. Im August wird Ulonska auch zwei Wochen auf der Sea-Watch mitfahren. Beide Male nimmt er Urlaub, investiert seine freien Tage in die Projekte. Seine Familie steht dahinter. „Wer bei uns in Europa Schutz sucht, der sollte das tun können, ohne sein Leben riskieren zu müssen“, sagt Ulonska. Mit den Fahrten der Sea-Eye und der Sea-Watch könne man zumindest ein bisschen was tun, „damit ein paar mehr überleben“.

Info Weitere Informationen zum Projekt Sea-Eye, samt Spendenkonto und Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es unter www.sea-eye.org.

Friedhold UlonskaBild: Privat

Friedhold UlonskaBild: Privat