Auszeichnung

Der Ronaldo der Backstube

Früher wurde er belächelt, jetzt erhält er die höchste Ehrung der Branche. Wie Jochen Baier aus Herrenberg zum „Welt-Bäcker des Jahres“ wurde.

27.08.2018

Von DAVID NAU

Bäcker Jochen Baier in seinem Geschäft. Foto: David Nau Foto: David Nau

Bäcker Jochen Baier in seinem Geschäft. Foto: David Nau Foto: David Nau

Herrenberg. Versucht man, den Werdegang von Jochen Baier zu beschreiben, landet man unwillkürlich bei historischen Vorbildern. Mit 45 Jahren hat der Bäcker- und Konditormeister Baier bereits alles erreicht, was in seiner Branche zu erreichen ist. Er wirkt wie das Wunderkind des deutschen Bäckerhandwerks.

Mit knapp 20 Jahren hatte er bereits seine Ausbildung als Bäcker und als Konditor in der Tasche, in beiden Kategorien gewann er im Jahr seiner Gesellenprüfung auch gleich noch den deutschen Meistertitel. „Das hat es vorher noch nicht gegeben und hinterher auch nicht mehr“, sagt Baier mit leichtem Stolz in der Stimme. Seither ist er so etwas wie der Shootingstar unter den Bäckern.

Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Bäcker-Nationalmannschaft, bewertete als Jurymitglied in der ZDF-Sendung „Deutschlands beste Bäcker“ die Leistungen des Nachwuchses und ist seither eng mit dem Fernsehkoch Johann Lafer befreundet. In diesem Jahr, mit gerade mal 45 Jahren, zeichnet die Internationale Bäcker- und Konditorenvereinigung den Mann aus Herrenberg als „Welt-Bäcker des Jahres 2018“ aus. Es ist die höchste Auszeichnung, die seine Branche zu bieten hat.

Spricht man Baier auf seine imposante Karriere an, dann ist er hin und her gerissen. Einerseits erzählt er ausführlich und gerne von seinen Erfolgen, präsentiert die Bäckerhemden der Nationalmannschaft und seine Trophäen im Café in Herrenberg hinter Glas. Andererseits gibt er sich schwäbisch-bescheiden und sagt: „Der Weltfußballer Ronaldo hat diesen Titel auch nicht ohne sein Team gewonnen.“ In der Tat ist Baiers Team wichtig für den Erfolg, denn der Meister steht selbst schon seit Jahren nicht mehr regelmäßig in der Backstube. Er ist damit beschäftigt, die 110 Mitarbeiter und die drei Standorte seines Unternehmens zu koordinieren und immer wieder neue Rezepte zu entwickeln.

Denn auch der Weltbäcker des Jahres hat mit denselben Problemen zu kämpfen, wie die anderen Bäckereien in Deutschland. Die Konkurrenz der Edekas, Rewes, Aldis und Lidls wächst immer schneller. Mit Kampfangeboten, die ein handwerklicher Betrieb niemals erreichen kann, machen sie die Preise kaputt. Dort bekommt man ein Brötchen für unter 20 Cent, bei Baier kostet das handgemachte 65 Cent.

Zustande kommen die Preise der Discounter vor allem durch die Industrialisierung der Produktion. „Da werden Brezeln von Maschinen geschlungen und nicht mehr vom Bäcker“, sagt Baier. Außerdem legt der Bäckermeister Wert auf gute Zutaten – und die haben eben ihren Preis. Das Getreide für seine Brote und Brötchen wird von einem Bauer bei Balingen (Zollernalbkreis) angebaut. Baier verwendet ausschließlich Mehl aus Demeter-Anbau. Nicht wegen der anthroposophischen Philosophie, „sondern weil die Qualität da gerade hoch genug ist.“

Vor Hightech schreckt der Bäckermeister aber dennoch nicht zurück. Vor zwei Jahren hat er in einem Industriegebiet am Rande Herrenbergs ein großes Backhaus mit angeschlossenem Café bauen lassen. Wer dort hineingeht, empfängt der Eindruck eines hippen Szenelokals in Berlin: Helle Holztische, kleine Deckenstrahler und ganz viel Glas. Eine große Glasfront erlaubt den Gästen einen unverstellten Blick direkt in die Backstube, die mit den romantischen Vorstellungen eines kleinen Handwerksbetriebs nichts mehr zu tun hat. 8,50 Meter hoch und ausgestattet mit zahlreichen Maschinen, erinnert sie eher an eine Fabrikhalle.

„Wir setzen Maschinen dort ein, wo sie unsere Bäcker entlasten“, sagt Baier. Eine Maschine portioniert jeden Tag tausende Teigbällchen und rollt sie zu langen Stangen. Am Ende der Maschine übernehmen dann die Bäcker und formen jede Stange mit der Hand zu einer Brezel.

Eine andere Maschine hilft Baier dabei, seine Backwaren so frisch wie möglich an den Kunden auszuliefern. In ihr werden die zu 70 Prozent im Steinofen fertig gebackenen Produkte im Vakuum zu Ende gebacken und gleichzeitig abgekühlt. Das verbessert die Frischhaltung und die Kruste der Brötchen und Brote und erhöht den Radius von Baier. Er liefert zum Beispiel bis ins Edelhotel Traube Tonbach in Baiersbronn im Schwarzwald.

Für Baier ist das Backen, und ganz besonders das Brotbacken, mehr als nur ein Beruf. Es ist seine Leidenschaft. Während er durch die Backstube führt, philosophiert er über Croissants, Sauerteig und die perfekte Brezelform. „Backen ist hoch emotional, jeder hat eine gewisse Bindung zu Brot“, sagt Baier. Dazu fällt ihm direkt eine passende Anekdote ein: Für eine Grillparty seines Freundes Johann Lafer steuerte er jüngst Brote bei. Am Ende des Abends kam ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank zu ihm und legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter. „Er hat gesagt: Ihr Brot schmeckt genauso gut wie das, das mein Großvater früher gebacken hat“, erzählt Baier.

So viel Anerkennung bekam der Bäcker nicht immer. Er erlebte in seiner Jugend, dass das Bäckerhandwerk nicht den besten Ruf hat. Viele seiner ehemaligen Schulkameraden rümpften die Nase, als sie hörten, dass er eine Bäckerlehre macht. Er sei stolz, nun zu zeigen, dass man auch mit einer Handwerkslehre einiges erreichen könne.

Sogar offenbar mehr als erwartet. Zurück im Café zeigt er noch einmal auf die drei Vitrinen, in denen er seine bisherigen Trophäen ausgestellt hat. Eine vierte hat er beim Bau des neuen Backhauses nicht einbauen lassen – mit dem Welt-Bäcker-Titel hat er nicht gerechnet.