Nahost

Interview: „Der Nahe Osten hat für Biden keine Priorität“

Der Raketenbeschuss auf Israel und dessen Vergeltungsangriffe lassen die Rufe nach einer Vermittlung anschwellen. Aber die wichtigste Macht fällt aus.

12.05.2021

Von STEFAN KEGEL

Aus dem Gazastreifen schossen militante Palästinenser Hunderte Raketen Richtung Israel ab. Foto: MOHAMMED ABED/AFP

Aus dem Gazastreifen schossen militante Palästinenser Hunderte Raketen Richtung Israel ab. Foto: MOHAMMED ABED/AFP

Berlin. Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht nach der jüngsten Eskalation zwischen Israelis und Palästinensern kaum noch Hoffnung für eine Friedensregelung.

Frau Asseburg, warum eskaliert der Konflikt in Israel gerade jetzt?

Muriel Asseburg: Das hat zwei Gründe. Der langfristige Grund ist, dass es seit dem Jahr 2014 keine Friedensgespräche mehr gibt. Die letzten ernsthaften Verhandlungen fanden im Jahr 2008 statt. Es gibt also keine Perspektive für eine Konfliktregelung. Im Gegenteil: Die Besatzung und die de facto Annexion von Gebieten im Westjordanland und in Jerusalem wird zementiert. Als Auslöser kamen jetzt aktuell bevorstehende Zwangsräumungen palästinensischer Häuser in Ostjerusalem sowie übertriebene Polizeimaßnahmen am Damaskustor und auf dem Tempelberg zum Ende des Ramadans sowie die Feiern zum Jubiläum der Wiedereroberung Jerusalems hinzu.

Warum flogen dann gleich schon wieder Raketen?

Der Protest fing ja zunächst mit friedlichen Demonstrationen an. Und dass im Fastenmonat Ramadan schwer bewaffnete Polizei mit Tränengasgeschossen in die Al-Aksa-Moschee hineinzielten, das drittwichtigste Heiligtum des Islam – das war schon eine Provokation. Aber das rechtfertigt den Raketenbeschuss israelischer Städte natürlich nicht.

Das Muster der Auseinandersetzung ähnelt sich immer wieder. Warum ist keine Seite bereit einzulenken?

Die Führungen haben mittlerweile so unterschiedliche Interessen, dass sie kaum mehr in Übereinklang zu bringen sind, sie entfernen sich sogar voneinander. Die Bevölkerungen glauben mittlerweile gar nicht mehr daran, dass die jeweils andere Seite Frieden will und sprechen ihr sogar die Friedensfähigkeit ab. Das macht die Suche nach einem Kompromiss sehr schwierig.

Innenpolitisch ist die Lage in Israel momentan auch nicht gerade einfach.

Zurzeit haben wir weder auf israelischer noch auf palästinensischer Seite eine Regierung, die handlungs- oder kompromissfähig ist. In Israel stockt seit der Wahl die Regierungsbildung. Selbst wenn eine Regierung zustandekommt, wird sie keine Kompromisse gegenüber den Palästinensern machen können. Und auf palästinensischer Seite hat sich die Lage verschärft, nachdem Präsident Mahmud Abbas Ende April aus Angst vor einer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen die angesetzten Wahlen abgesagt hat.

Welchen Einfluss haben ausländische Kräfte auf die Entwicklung des Konflikts?

Bei der gegenwärtigen Eskalation habe ich keine Einflussnahme von außen beobachtet. Aber natürlich sind Gruppen wie die Hamas und der Islamische Dschihad von außen aufgerüstet worden, insbesondere durch den Iran.

Könnten die USA unter Präsident Joe Biden wieder als Vermittler auftreten?

Zwar ist Biden nach der Trump-Ära zum traditionellen Ansatz der Demokraten für eine Zwei-Staaten-Regelung zurückgekehrt und hat wieder Kontakte zu den Palästinensern aufgenommen. Aber er hat auch sehr deutlich gemacht, dass eine Vermittlung im Nahen Osten für ihn keine Priorität ist. Ich sehe momentan nicht, dass wir uns in Richtung einer friedlichen Konfliktregelung bewegen, weder kurz- noch mittelfristig.

Dr. Muriel Asseburg, Nahostexpertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik Foto: Marc Darchinger

Dr. Muriel Asseburg, Nahostexpertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik Foto: Marc Darchinger

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Erstellt:
12.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 23sec
zuletzt aktualisiert: 12.05.2021, 06:00 Uhr

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