Fußball

Der Geist im Kick

Der Weltmeister von 2014 und Buchautor Philipp Lahm hat im Literaturhaus München sein neues Werk vorgestellt. Der Ex-Bayern-München-Star zeigt sich unterhaltsam und manchmal vage.

24.02.2021

Von PATRICK GUYTON

Fußball ist ein einfaches Spiel  und doch stellt es hohe Anforderungen an Körper und Geist, sagt Ex-Fußball-Star Buchautor Philipp Lahm. Foto: Armin Weigel

Fußball ist ein einfaches Spiel und doch stellt es hohe Anforderungen an Körper und Geist, sagt Ex-Fußball-Star Buchautor Philipp Lahm. Foto: Armin Weigel

München. Als der sechsjährige Philipp Lahm im Münchner Stadtviertel Gern immer wieder auf der Straße kickte, entdeckte er im Spiel – ein Gefühl für Fairness, für Gemeinschaft, für Recht. Da wusste man noch nicht, was aus ihm mal wird. Und da wusste man auch nicht, dass Philipp Lahm im Jahr 2021 auf dem Podium des Literaturhauses München Platz nimmt und sein neues Buch vorstellt. Das Haus am Salvatorplatz ist ohne Zweifel der Hochaltar der Literaturszene in der bayerischen Landeshauptstadt.

Kick trifft auf Kultur, Tor!-eins-zu-null auf Geistesarbeit – eine spannende Aufstellung für den Abend, der am Montag live gestreamt wurde. Tanja Graf, Verlegerin und Leiterin des Literaturhauses, begrüßt den einstigen Profi-Fußballer – Weltmeister 2014, Champions-League-Sieger 2013, vielfacher deutscher Meister mit dem FC Bayern München – höchst persönlich. Als Hintergrundbild ist ein sattgrüner Rasen in Nahaufnahme zu sehen. Dunja Hayali, Moderatorin des ZDF-Sportstudios, befragt Lahm. Sie ist Fußball-versiert und liefert zugleich immer wieder tiefenscharfe gesellschaftspolitische Analysen. Aus dem Werk „Das Spiel“ liest der Schauspieler Thomas Lettow einige Kapitel, er ist Ensemblemitglied des Residenztheaters.

Fußball ist einfach, schreibt Lahm in seinem Buch. „Ein Spiel, das überall gespielt werden kann, wo es ein paar Meter ebener Erde gibt.“ Jedes Kinder versteht die Regeln, weltweit. Darin liegt die Faszination. Doch der Autor fragt auch: „Hat nicht der ganze Rummel, der um diesen Sport gemacht wird, Ausmaße erreicht, die verstören?“ Fußball als gesellschaftlicher Kitt und als ein Spiel, das „hohe Anforderungen an Körper und Geist“ stelle – das ist die eine Seite der Lahmschen Ausführungen. Die andere sind die wohl weiterhin zu wenig kritisierten Auswüchse, der Kommerz, sowie die teils reaktionär-rassistische Haltung an manchen Fußball-Orten. Zwischen diesem Gegensatz bewegt sich der ganze Abend. Nicht alle Fußballer können so reflektiert darüber sprechen wie Philipp Lahm.

Zugleich wirkt der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ungemein sympathisch und kann sehr unterhaltsam sein. Im Schnelldurchlauf charakterisiert er einige markante Trainer-Typen. Jürgen Klopp: Motivator, der auf physische Kraft setzt. Carlo Ancelotti: passte irgendwie nicht zu den Bayern. Pep Guardiola: grandioser Spieltheoretiker, „der Goldstandard“. Felix Magath: Menschenschinder mit nicht erkennbarer Spielidee.

Der Fußballspieler, der vor knapp vier Jahren im Alter von 33 Jahren seine erfolgreiche Karriere beendet hatte, sagt: „Die Schattenseiten des Fußballs stören mich zu 100 Prozent.“ Gegen Rassismus auf dem Platz und in den Fankurven wendet er sich massiv: „Unsere Gesellschaft ist vielfältig, ist bunt, und das ist auch gut so.“ Als „Champions League an Verantwortung und Anstand“ bezeichnet er jenes Drittliga-Spiel zwischen Preußen Münster und Würzburger Kickers vor einem Jahr: Als ein Zuschauer in Münster einen Spieler laut rassistisch beleidigte, riefen die Fans „Nazis raus“ und zeigten auf den Rassisten. So konnte der Ordnungsdienst ihn fassen und an die Polizei übergeben.

In anderen Bereichen bleibt Lahm jedoch vage. Zum Thema verheimlichte Depressionen und Angstzuständen bei Profis meint er, es herrsche Konkurrenzkampf. „Es geht schnell weiter, es ist wie in einem Rad.“ Sich als schwul zu outen, würde er keinem aktiven Spieler raten. Denn es herrsche „enormer Gruppenzwang in der Kabine“. Da fragt man sich: Hat der Fußball gehörig etwas verpasst, geht es in den Kabinen noch zu wie vor 50 Jahren?

Fragwürdig auch Lahms Aussage, dass bei einem Outing etwa bei Auswärtsspielen „Gefahren lauern“. Auf die wahnwitzige Kommerzialisierung des Fußballs geht er vage ein. Nur ganz wenige Spieler würden im Top-Bereich verdienen, Lionel Messi sei ein „Ausnahme-Ausnahme-Ausnahmetalent“.

Philipp Lahm muss man sich als rührigen Mann vorstellen. Er engagiert sich in seiner Stiftung für benachteiligte Kinder, er verdient Geld mit einer Pflegeprodukt-Firma. Und er leitet das Organisationskomitee für die Fußball-EM 2024 in Deutschland. Mit seiner Familie lebt er weiter in München-Gern, dort bolzt jetzt sein achtjähriger Sohn herum.

Philipp Lahm: Das Spiel. Verlag C.H. Beck. 19,95 Euro. Foto: C.H. Beck

Philipp Lahm: Das Spiel. Verlag C.H. Beck. 19,95 Euro. Foto: C.H. Beck

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Erstellt:
24.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 24.02.2021, 06:00 Uhr

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