Baugesetz

Der Flächenfraß-Paragraph

Der Landesnaturschutzverband warnt nach schlechten Erfahrungen davor, die erleichterte Bebauung am Ortsrand wieder per Gesetz zu ermöglichen.

17.04.2021

Von Raimund Weible

Naturschützer Gerhard Maluck vor neuen Wohnhäusern in Baindt. In vielen ländlichen Gebieten wurde der Paragraph 13b ohne Not genutzt. Foto: Raimund Weible

Naturschützer Gerhard Maluck vor neuen Wohnhäusern in Baindt. In vielen ländlichen Gebieten wurde der Paragraph 13b ohne Not genutzt. Foto: Raimund Weible

Baindt/Stuttgart. Gerhard Maluck schaut über eine Reihe von neuen Einfamilienhäusern hinweg ins Schussental. „Das ist der klassische Fall“, sagt der pensionierte Forstdirektor aus Bergatreute (Kreis Ravensburg). Die lockere Bebauung grenzt an einen Grünzug an, der vom Altdorfer Wald im Osten bis zu den Höhen jenseits der Schussen reicht. „Geigensack“ ist der Name dieses Baugebiets am nordwestlichen Rand der Gemeinde Baindt, ein Ort mit etwas über 5000 Einwohnern im Kreis Ravensburg.

Gebaut wurde der Geigensack nach den Regeln des Paragraphen 13b des Bundesbaugesetzes. Das bedeutet privilegiertes Bauen. Der Paragraph wurde geschaffen, um die Bebauungsplanverfahren zu beschleunigen, als Soforthilfe gegen die Wohnungsnot. Die 2017 in Kraft getretene und Ende 2019 ausgelaufene Regelung erlaubte den Kommunen, bis zu vier Hektar große Bebauungspläne für Wohngebiete am Ortsrand ohne formelle Umweltprüfung, ohne ökologischen Ausgleich und mit reduzierter Bürgerbeteiligung auszuweisen.

Gedacht war dies für die Ballungsregionen mit großem Mangel an Wohnungen und hohen Mieten. Vorgesehen war, den raren Baugrund effektiv auszunutzen. Es sollten rasch Mehrfamilienhäuser entstehen, damit viele Menschen eine Wohnung finden. Doch in der Hauptsache wurde der Paragraph 13b in ländlichen Gebieten angewandt.

Beispielsweise in Baindt. Dort trieb man die Sache auf die Spitze. Der Geigensack ist nur eines von sechs 13b-Baugebieten. Auf der anderen Straßenseite, in südöstlicher Richtung, ist auf 4,7 Hektar Grünfläche und Acker ein Wohngebiet namens „Bühl“ mit lockerer Bebauung ausgewiesen, ebenfalls in aussichtsreicher Lage. Einfamilienhäuser entstehen oder entstanden auch auf vier anderen Arealen. „Baindt dehnt sich nach allen Richtungen aus“, sagt Maluck. Der Forstmann gehört dem Landesnaturschutzverband (LNV) an.

Als der Gemeinderat von Baindt am 3. Dezember 2019, also kurz vor Toresschluss, den Aufstellungsbeschluss für das Baugebiet „Lilienstraße“ fasste, richtete das Regierungspräsidium Tübingen einen geharnischten Brief an das planende Büro Sieber in Lindau. Da nunmehr der sechste Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren auf den Weg gebracht werden soll, heißt es in dem Schreiben, habe die höhere Raumordnungsbehörde Zweifel, „ob ein solches Vorgehen noch der Intention des Gesetzgebers bei der Einführung des § 13b in das Baugesetzbuch entspricht“.

Das Instrument der beschleunigten Planung dürfe nicht zur vorsorglichen Ausweisung von neuen Baugebieten führen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Baindt kaum ein dringender Wohnraumbedarf bestehe, formulierte die Behörde weiter. „Ein verantwortungsvoller Umgang der Gemeinden mit dem Instrument ist aus unserer Sicht unabdingbar“, heißt es. Das Schreiben blieb aber ohne Folgen.

„Es wurden nach Gusto neue Baugebiete geschaffen“, wettert der LNV. So sei Oberschwaben, wie der LNV-Vorsitzende Gerhard Bronner sagt, ein „Hotspot des Flächenverbrauchs“ geworden. Aber auch in anderen ländlichen Gebieten werde der „Flächenfraß-Paragraph“ angewandt, etwa in Walddorfhäslach (Kreis Reutlingen) oder Haigerloch (Zollernalbkreis). Mühlingen im Landkreis Konstanz mit gerade 2500 Einwohnern wies wie Baindt sechs Baugebiete nach dem vereinfachten Verfahren aus, „ein weiteres Extrembeispiel“, sagt Bronner.

„Nachweis des Bedarfs? Fehlanzeige!“ bemängelt der LNV. Der Nachhaltigkeitsstrategie zufolge müsste in Baden-Württemberg der Flächenverbrauch auf maximal drei Hektar pro Tag begrenzt bleiben. Tatsächlich werden pro Tag fünf Hektar versiegelt. „Diese Fehlentwicklung“, so Bronner, „würde sich bei der Neueinführung des Paragraphen 13b noch beschleunigen.“

Tatsächlich hat die Union im Bundestag vor, den 13b wieder aufleben zu lassen. Die Bundesregierung präsentierte im Herbst 2020 einen Entwurf für das Baulandmobilisierungsgesetz, in dem die Regelung wieder aufgenommen worden ist. Die grün-schwarze Landesregierung stellte sich nicht ausdrücklich dagegen, wohl aus Gründen des Koalitionsfriedens, denn Wohnungsbauministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) macht sich stark für den 13b. „Die Rückmeldungen der Städte und Gemeinden im Land bestätigten den großen Mehrwert des Instruments“, heißt es aus ihrem Haus. Es leiste einen wichtigen Beitrag dazu, „schnell dringend benötigten Wohnraum zu schaffen“, sagte Hoffmeister-Kraut. Sie ist überzeugt davon, dass die Kommunen weiter verantwortungsvoll davon Gebrauch machen würden.

Bei der ersten Beratung im Bundesrat enthielt sich das Land der Stimme. Nach einer Experten-Anhörung im Februar stehen nun der jeweils zweite Durchgang in Bundesrat und Bundestag an. Der LNV hätte sich mehr Widerstand der Landesregierung gewünscht: Durch die lasche Haltung werde auf grobe Weise gegen grüne Beschlüsse verstoßen.