Gesellschaft

Der Berater-Boom

„Coaching“ klingt gut – besser als „Therapie“ jedenfalls. Doch in der Branche, die Lebensoptimierung verspricht, tummeln sich viele Scharlatane.

22.01.2021

Von DPA

Berlin. Erfolgreicher im Job sein, ein paar Kilos verlieren, den Traumpartner finden. Viele Menschen fragen sich, wie sie ihr Leben verbessern können. Nicht selten geraten sie in die Hände von Lebensberatern, auch bekannt als Coaches, die mit der Glückssuche Geld verdienen.

„Coaching boomt“, sagt Sarah Pohl. Sie arbeitet als Leiterin der Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen (Zebra) in Freiburg im Breisgau. Die Gründe sieht sie in einer Gesellschaft, die sich ständig optimieren will; manche sehen darin ein Lifestyle-Produkt. Gleichzeitig ersetzt damit der ein oder andere eine Therapie: Worte wie „Therapie“ oder „Therapeut“ schreckten oft ab, vermuten die Zebra-Berater – Coach klinge besser.

Immer häufiger erhalten Pohl und ihr Team Hinweise auf dubiose Scharlatane: „In letzter Zeit melden sich einige, die auf windige Erfolgsberater reingefallen waren, die das Blaue vom Himmel versprochen hatten.“ Pohl erzählt gern die Geschichte eines Mannes, der von einem Coach berichtete, der ihm 30?000 Euro abgenommen hatte. Der sogenannte Prepper habe ihm Überlebenstrainings und Kurse verkauft, mit denen er Millionär werden und in Krisenzeiten überleben könne.

Problematisch wird es, mahnt Pohl, wenn Versprechungen mit der Erzählung „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ gemacht werden oder Berater ihre Methode als exklusiv anpreisen. „Wir erleben häufig, wie Berater eine Selbstüberschätzung an den Tag legen, wenn sie sagen, sie könnten mit jedem Menschen arbeiten und jeder Person helfen, ohne eine Ausbildung zu haben.“ Der Job ist kein geschützter Beruf – jeder kann beraten oder Berater werden.

Coachings fördern nicht selten tief sitzende Probleme zutage. Nach einem Termin, bei der eine Frau Probleme ihrer Beziehung erörtern wollte, habe sie erzählt, sie sei vom Vater missbraucht worden. Sie könne sich nicht mehr erinnern, aber sich nun einige Probleme erklären.

„Bei manchen stark emotionalisierenden Techniken können bei sensiblen Personen Traumata und Psychosen ausgelöst werden“, sagt Siegfried Greif. Der 77-Jährige ist einer der ersten deutschen Coaching-Forscher. Der habilitierte Psychologe, der bis zum Ruhestand an der Uni Osnabrück lehrte, hält nichts von Scharlatanen, die etwa einen Burn-out mit Atemtechniken behandeln wollen. „Die meisten Coaches haben Berührungsprobleme mit der Wissenschaft“, sagt er. „Das ist für mich als Psychologen grausig, was manche Coaches für selbstgebastelte Theorien über Menschen haben.“

„Wie der Wilde Westen“

Bei psychischen Erkrankungen kann mit falscher Beratung viel falsch gemacht werden, sagt die Bundespsychotherapeutenkammer. „Psychische Erkrankungen, die nicht erkannt und nicht richtig behandelt werden, können sich erheblich verschlimmern“, sagt Sprecher Kay Funke-Kaiser. Menschen, die sich in psychisch schwierigen Phasen befinden, sollten sich an qualifizierte Therapeuten oder Fachärzte wenden.

Aufgrund der Fülle an Angeboten gebe es zunehmend Coaches, die wieder neue Angebote generieren, sagt Marketing-Professorin Sabine Kuester von der Uni Mannheim. „Oft sind diese Coaches dubios. Ich wäre bei ihnen generell vorsichtig.“ Der Markt sei „ein bisschen wie der Wilde Westen“. dpa