Landgericht Ravensburg verhängt lange Haftstrafe

Ofterdinger Supermarkt-Erpresser muss zwölfeinhalb Jahre ins Gefängnis

Im Prozess um vergiftete Babynahrung verurteilt das Landgericht Ravensburg den angeklagten Ofterdinger am Montagabend wegen versuchten Mordes.

22.10.2018

Von Pascal Tonnemacher

Der angeklagte mutmaßliche Supermarkt-Erpresser (M) wird in den Gerichtssaal begleitet. Foto: Marijan Murat/Archiv dpa

Der angeklagte mutmaßliche Supermarkt-Erpresser (M) wird in den Gerichtssaal begleitet. Foto: Marijan Murat/Archiv dpa

Die letzten Minuten des Prozesses um vergiftete Gläschen mit Baby-Brei glichen einem Drama. Schon bevor die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg den 54-Jährigen, der zuletzt in Ofterdingen gelebt hatte, zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilte, standen dem die Tränen in den Augen. Weil er sich nicht in der Lage fühlte, seine geplanten, ausführlichen letzten Worte vorzutragen, wollte er einen Befangenheitsantrag stellen. Da der offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg war, hinderte sein Verteidiger ihn daran. Es wäre einer von mehreren Anträgen der Verteidigung an diesem Tag gewesen, allesamt wurden sie von der Kammer abgelehnt.

Es ging um 11,75 Millionen Euro

Gescheitert ist die Verteidigung auch größtenteils mit ihrer Argumentation, die eine Verurteilung wegen versuchten Mordes verhindern sollte. Die Schwurgerichtskammer ist der festen Überzeugung, dass der 54-Jährige im September 2017 die fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung in fünf Supermärkten in Friedrichshafen platziert hat. Anschließend habe er vergeblich versucht, 11,75 Millionen Euro von den Unternehmen zu erpressen. In der Erpresser-E-Mail drohte er auch damit, weitere vergiftete Gläser in Umlauf zu bringen, wenn die Unternehmen nicht auf seine Forderungen eingehen sollten.

Richter: Es war versuchter Mord

Das Gericht sah sowohl den versuchten Mord in fünf Fällen als auch die versuchte besonders schwere räuberische Erpressung als erwiesen an. Dafür sei die E-Mail des Erpressers von entscheidender Bedeutung. Darin schrieb der 54-Jährige, dass Menschen sterben müssten, wenn man seine Forderungen nicht erfülle. „Das war kein Bluff, das war todernst gemeint“, sagte der Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer.

Durch das Abstellen der Gläser gab der Angeklagte das Geschehen laut Gericht komplett aus der Hand. „Dass es nicht zum Verkauf kam, ist dem Glück und der hervorragenden Polizeiarbeit zu verdanken“, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Maier. Am Tötungsvorsatz habe die Kammer deshalb keine Zweifel. Da spiele es auch keine Rolle, dass der Mann die Gläser ganz hinten im Regal abgestellt haben will.

Der 54-Jährige ist außerdem vielfach vorbestraft und Bewährungsbrecher. „Wir haben es mit einem rechtsfeindlich eingestellten, unbelehrbaren Angeklagten zu tun“, sagte Maier.

Versuchter Mord sei es, weil zum einen das Mordmerkmal der Habgier durch die immens hohe Geldforderung erfüllt sei. Das Merkmal der Heimtücke liege zum anderen darin, dass durch das farb- und geruchlose Ethylglykol der natürliche Abwehrmechanismus eines betroffenen Kleinkinds außer Kraft gesetzt wird. Außerdem habe er damit, zeitlich überlappend, die räuberische Erpressung möglich gemacht.

Gutachter: voll schuldfähig

Die Schuldfähigkeit wurde nach Ansicht des Gerichts von einem psychiatrischen Gutachter nachvollziehbar festgestellt. Statt einer 2016 attestierten Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet der Angeklagte laut Gutachten an einer narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitsstörung. Diese sei jedoch nicht stark genug ausgeprägt, um ihn in seinem Willen beeinträchtigt zu haben.

Der Verteidiger hatte argumentiert, durch seine Erpresser-E-Mail sei der Angeklagte faktisch vom Versuch des Mordes zurückgetreten. Er habe keinen Tatentschluss gefasst und alles dafür getan, dass niemand zu Schaden komme. Das sah das Gericht völlig anders: Vielmehr habe der Ofterdinger in seiner Mail ja explizit Menschen mit dem Tod bedroht und weitere Konsequenzen angekündigt.

Der Verteidiger sah die persönliche Tragödie des Angeklagten, die Verzweiflung nach der Trennung von seiner Frau und dem Verlust seiner Reinigungsfirma als ursächlich für die Tat an. Er plädierte auf sieben Jahre Haft für die versuchte besonders schwere räuberische Erpressung. Der Angeklagte schloss sich dem an.

Größte Soko seit Jahren

Der Fall des Ofterdinger Supermarkterpressers löste eine der größten Fahndungen der letzten Jahre aus: In der eilig einberufenen Sonderkommission „Apfel“ waren 220 Polizeibeamte im Einsatz, die Hunderten Hinweisen aus der Öffentlichkeit nachgingen. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt hatte die Polizei das Bild einer Überwachungskamera veröffentlicht, auf dem der Mann mit der markanten Brille recht gut zu erkennen war. Ein Hinweis kam aus dem Raum Nürnberg, wo der Mann gelebt hatte, bevor er nach Ofterdingen zog, wo er dann im September 2017 festgenommen wurde.

Ofterdingen: Polizei fasst mutmaßlichen Erpresser
© ST 01:29 min
Die Polizei verhaftete am Freitag einen 53-Jährigen in Ofterdingen. Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass er der seit Tagen intensiv gesuchte Supermarkterpresser ist. In seiner Wohnung fanden sie laut Polizeiangaben ein Fläschchen mit jenem Frostschutzmittel, mit dem mehrere Gläschen Babynahrung in einem Supermarkt am Bodensee versetzt worden waren. Video: Schneck/Bleeser

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Erstellt:
22.10.2018, 22:12 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 22.10.2018, 22:12 Uhr

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