BVB-Attentäter · Zugriff auf der Morgenstelle

Der 28-Jährige, der den Anschlag auf Spieler des BVB verübt haben soll, wurde in Tübingen verhaftet

Der Zugriff war gegen 6 Uhr am Morgen: Plötzlich war in der Schnarrenbergstraße auf der Morgenstelle alles voller Polizei. Mehrere Einsatzfahrzeuge und zahlreiche Beamte in Uniform und in Zivil schwärmten aus. Kurz zuvor hatte dort ein Spezialeinsatzkommando der GSG9 Sergej W. festgenommen – den Mann, der vergangene Woche einen Bombenanschlag auf die Spieler des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund verübt haben soll.

22.04.2017

Von Von unseren Redaktionen

Die Bundesanwaltschaft wirft ihm deshalb versuchten Mord aus Geldgier vor: Mit dem Anschlag habe er den Aktienkurs des börsennotierten Bundesligavereins drücken wollen, um dann mit Optionsscheinen auf den sinkenden Kurs abzukassieren.

Der 28-Jährige war zum Zeitpunkt der Festnahme gerade auf dem Weg zur Arbeit nach Tübingen gewesen. Denn nach TAGBLATT-Informationen arbeitete der aus Freudenstadt stammende Mann beim Heizkraftwerk auf der Morgenstelle als Elektriker. Das bestätigte der Betreiber, der Energieversorger MVV aus Mannheim. Man habe den Mann vor etwa zehn Monaten eingestellt. Mehr könne man derzeit wegen der laufenden Ermittlungen nicht sagen: „Wir arbeiten selbstverständlich von Anfang an auf das Engste und umfassend mit den zuständigen Behörden zusammen“, erklärte Pressesprecher Roland Kress. Von der Tübinger Staatsanwaltschaft und dem Reutlinger Polizeipräsidium waren gestern kaum Informationen zu bekommen. Sie verwiesen unisono auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe – die sich wegen des laufenden Verfahrens nicht weiter zu Einzelheiten äußern wollte.

Durchsuchung in Rottenburg

Offenbar fast zeitgleich zur Tübinger Festnahme stürmte die Polizei ein Haus im Rottenburger Wohngebiet Schelmen. Der Fasanenweg, wo Sergej W. angeblich zur Untermiete wohnte, ist eine ruhige Wohnstraße parallel zur Seebronner Straße und als Sackgasse angelegt. Die Polizei hatte den Fasanenweg bis etwa 10.15 Uhr mit Mannschaftswagen abgesperrt, nachdem sie das Haus Nummer 5 am frühen Morgen gestürmt hatte. Nur Anwohner durften passieren. Die Durchsuchung dauerte mehrere Stunden. Auch ein Polizeihund war dabei im Einsatz, möglicherweise auf der Suche nach Sprengstoff.

Polizei stürmte durch den Garten

Viele Nachbarn bekamen von dem Großeinsatz direkt vor ihrer Haustür zunächst gar nichts mit. Joachim Herrmann, der die Nacht im Haus seiner Eltern schräg gegenüber verbrachte, bemerkte die Polizei erst, als er gegen 8 Uhr mit dem Auto in die Stadt fahren wollte. „Die Polizisten wollten mir nicht sagen, worum es geht“, so Herrmann. „Ich dachte, dass es eine Verkehrskontrolle ist“ – der Parkplatz am offenen Ende der Sackgasse biete sich ja für so etwas an. Gesehen habe er – außer vielen Polizeifahrzeugen – „gar nichts“. Dass die Aufregung etwas mit dem Bombenanschlag auf die BVB-Mannschaft zu tun hatte, erfuhr Herrmann erst von den zahlreichen Pressevertretern, die gestern Morgen im Fasanenweg filmten und mit Anwohnern sprachen.

Umso mehr bekam die Familie mit, deren Haus direkt neben dem steht, in dem Sergej W. gewohnt haben soll. Gegen 5.15 Uhr, als Sergej W. mit seinem kleinen roten Auto zur Arbeit losgefahren war, sei die Polizei in das Haus „reingestürmt“, sagt ein ebenfalls 28-jähriger Nachbar, mit ungefähr 20 Leuten und „schwer bewaffnet“. Um hinters Haus des Verdächtigen zu kommen, seien die Beamten auch über das benachbarte Grundstück seiner Eltern gelaufen, berichtet er. „Wenn man morgens um 6 die Polizei vor der Haustür hat, ist das schon ein komisches Gefühl.“

Kontakt zu Sergej W. hatte der 28-jährige Nachbar nicht. „Wenn man den mal gesehen hat, hat er freundlich gegrüßt“, sagt er. Die Freundin des Deutsch-Russen habe er öfter gesehen, aber auch zu ihr keinen Kontakt gehabt.

Seit wann Sergej W. im Fasanenweg 5 wohnte, wusste gestern keiner der Nachbarn zu sagen. Am Briefkasten vorn an der Straße steht sein Name nicht. „Man kennt nur die Leute zehn Meter links, zehn Meter rechts und vis-a-vis“, sagte gestern ein 75-jähriger Mann, der zwei Häuser weiter zu Besuch war. „Es ist ja nicht wie auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt.“

Spur führt nach Freudenstadt

Laut Angaben der Bundesanwaltschaft war die Wohnadresse von Sergej W. in Freudenstadt. In der dortigen Heinrich-Schickhardt-Berufsschule hatte der 28-Jährige seine Ausbildung als Elektroniker gemacht und zum Abschluss der Schullaufbahn im Sommer vor zwei Jahren sogar einen Schulpreis für den Ausbildungsgang Elektroniker-Betriebstechnik bekommen. Die Familie stammt aus dem Ural.

Vor der Wohnadresse in dem langgestreckten Wohn- und Geschäftshaus beim Freudenstädter Stadtbahnhof waren am Freitag ebenfalls eine ganze Wagen-Armada des Bundeskriminalamts sowie zwei Mannschaftswagen der Polizei vorgefahren.

Die Kriminalbeamten bewachten den Zutritt zu dem Reihenhaus-Abschnitt und stellten offenkundig hinter zugezogenen Gardinen in der Wohnung des Beschuldigten umfangreiches Beweismaterial sicher. Nur Bewohner hatten, nach entsprechender Kontrolle, Zugang ins Hausinnere. Sicherheitsbeamte passierten immer wieder den Hauseingang, die Spurenfahnder waren stundenlang beschäftigt.

Ein „ruhiger Typ“

Der Hausmeister des Wohnblocks zeichnete das Bild eines „ganz ruhigen Typs“, bei dem er sich nicht vorstellen könne, dass dieser in eine solche Verbrechenstat verstrickt sein könne. Sergej W. sei äußerlich anständig aufgetreten, habe nicht viel geredet. Dass der junge Mann etwas Schlechtes im Schilde führt, darauf hätte man nicht kommen können.

Der Anschlag gegen den Mannschaftsbus in Dortmund am 11. April spricht eine völlig andere Sprache. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 28-Jährigen versuchten Mord durch Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährliche Körperverletzung vor. Die Sprengkraft der Bomben sei verheerend angelegt gewesen. Nur durch die etwas verfehlte Platzierung des mittleren der drei Detonationskörper sei der BVB einer Katastrophe entgangen.