Tübingen · Flüchtlinge

Datenschützer kritisiert Auffälligen-Liste – Palmer kontert

Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink rügt die Tübinger Stadtverwaltung, weil sie Flüchtlinge listet, die sie als gefährlich einschätzt, und nicht kooperiere. Die Verwaltung hält dagegen.

30.01.2020

Von slo

Stefan Brink, Landesdatenschutzbeauftragter. Bild: LFDI/Jan Potente

Stefan Brink, Landesdatenschutzbeauftragter. Bild: LFDI/Jan Potente

Auf der „Liste der Auffälligen“ werden Geflüchtete geführt, die die Verwaltung als potenzielle Gefahr sieht, weil sie straffällig geworden sind oder von der Verwaltung oder anderen Behörden als gewaltbereit eingestuft werden. „Wer auf der Liste steht, muss damit rechnen, in eine andere Unterkunft verlegt zu werden und bei Behördenkontakten unter besonderer Beobachtung zu stehen“, definiert die Datenschutzbehörde diese Liste.

Sie bemängelt, dass die Stadtverwaltung Tübingen auf einen detaillierten Fragenkatalog mit einer Stellungnahme geantwortet habe, die „alles andere als befriedigend“ sei. Zum Teil seien falsche Rechtsgrundlagen angegeben worden. Auch sei die Vorschrift des Landesdatenschutzgesetzes betreffend der Datenverarbeitung falsch wiedergegeben und unzutreffend bewertet worden.

Zur Frage, ob die Betroffenen über ihre Datenschutzrechte informiert worden seien, habe die Stadt auf angebliche Einschränkungen des Auskunftsrechts verwiesen, „die es so überhaupt nicht gibt“.

In einem weiteren Schreiben habe die Datenschutzbehörde die Stadt gebeten, sich auf eine Rechtsgrundlage festzulegen und das Vorliegen deren Voraussetzungen nachzuweisen. Nach Auffassung der Behörde dürfen personenbezogene Daten auch genutzt werden, wenn dies „zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten einer anderen Person erforderlich“ sei. Die Stadt habe geltend gemacht, die in der Liste erfassten Migranten stellten eine Gefahr für die Beschäftigten der Stadt dar. Auf die Frage, ob es dafür konkrete Anhaltspunkte gebe, sei die Stadt nicht eingegangen. Sie „verwies lediglich auf statistische Erhebungen über die Rückfallwahrscheinlichkeit bei Gewaltdelikten“.

Die Behörde habe den Oberbürgermeister darauf hingewiesen, dass die Stadt die gesetzliche Pflicht habe, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Daraufhin habe sie „überraschend nachrichtlich“ ein Schreiben des Oberbürgermeisters an den Innenminister des Landes erhalten, in dem sich der OB „wortreich über uns beschwerte“. Die Behörde würde immer nur weitere Fragen stellen. „Für die Fachleute in seinem Haus sei nicht mehr erkennbar, welche Antworten wir erwarteten, was wir wollten, sei rechtlich nicht zulässig und vom Aufwand nicht zu leisten“.

Der Datenschutzbehörde sei unterstellt worden, sie würde, indem sie das Vorgehen der Stadt im Hinblick auf die Beachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften prüfe, städtische Mitarbeiter gefährden. „Dies ist absurd“, heißt es in dem Bericht. Zutreffend sei vielmehr, dass der Datenschutzbeauftragte bis heute „wegen des unkooperativen Verhaltens der Stadt“ nicht in der Lage sei, konkret festzustellen, „ob das, was dort vor sich geht, legal ist“.

Die Verweigerungshaltung der Stadt sei „nicht nur unverständlich, sie gibt uns auch Anlass, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die uns nach der Datenschutz-Grundverordnung zu Gebote stehen.“ Die Sache bedürfe einer Klärung.

In einer Pressemitteilung schreibt Palmer zu der Kritik, Brink betätige sich nicht mehr als Leiter einer Behörde, sondern als Politiker. Er wolle der Landesregierung die Kommunikationskanäle mit der Bürgerschaft vorschreiben und der Universitätsstadt Tübingen nicht gestatten, ihre Beschäftigten zu schützen. „Ich schließe mich der Kritik des CDU-Innenpolitikers Armin Schuster an Herrn Brink an: Sein chronisches Misstrauen gegenüber dem Staat lässt seine Eignung für das Amt als fraglich erscheinen.“

Die Tübinger Stadtverwaltung führe die Informationen der Polizei, der Ausländerbehörde und der Asylbetreuung zusammen. Das erlaube Sicherheitsmaßnahmen „wie zum Beispiel ein Vieraugenprinzip bei nachweislich gewaltbereiten Asylbewerbern, die von der Stadt betreut werden“. Dieses Verfahren habe sich bewährt“, so Palmer. Der Datenaustausch mit der Stadt sei von der Polizei geprüft und für rechtmäßig befunden worden. Der städtische Datenschutzbeauftragte erkenne ebenfalls keine gesetzlichen Hindernisse. „Auch der Landesdatenschutzbeauftragte hat nie mitgeteilt, was er kritisiert, sondern die Stadt mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert, die sich größtenteils als ungeprüfte Übernahme von längst beantworteten Fragen von Asylbündnissen erwiesen“, so Palmer weiter.

Gegen dieses Vorgehen habe er sich im Oktober 2019 in einem Brief an Innenminister Thomas Strobl beschwert. Nach der Antwort des Innenministers habe der Landesdatenschutzbeauftragte „keine weiteren Aktivitäten“ gezeigt. Daher sei der Vorgang für die Stadtverwaltung erledigt gewesen.

„Wenn der Datenschutzbeauftragte Fragen und Bedenken hat, dann sollte er in einen Austausch mit der Stadt treten, der konstruktiv und beratend ist“, fordert Palmer. Wenn jemand angeblich vor Verfolgung fliehe, sich das als unwahr erweise und er stattdessen wiederholt bei der Polizei auffalle, stelle sich weniger die Frage nach dem Schutz der Daten dieses Täters als die Frage nach dem Schutz der Mitarbeiter und der Bevölkerung. Zu verlangen, dass ein Sozialarbeiter ahnungslos einem Mann gegenüber sitzen solle, der eine Woche zuvor mit dem Messer auf einen anderen losgegangen sei, sei nicht der Datenschutz, den die Bevölkerung sich wünsche.

In seiner Antwort auf die Beschwerde Palmers hatte Strobl geschrieben, dass ihm der „Informationsaustausch in Tübingen zwischen den Dienststellen der Landespolizei und den Ausländer- und Sozialbehörden“ aus seiner Sicht ein „zwar grundsätzlich geeigneter Ansatz“ zu sein scheine. Eine datenschutzrechtliche Bewertung sei ihm allerdings nicht möglich, „da offen bleibt, auf welche Rechtsgrundlage der Datenaustausch, die Auswertung der Daten und deren Speicherung in einer Datei gestützt werden“. Ferner sei Palmers Schreiben nicht zu entnehmen, „welche Kategorien von Daten zu welchen konkreten Zwecken übermittelt werden und welche Stelle die Daten empfängt, auswertet und speichert.“

Die Datenübermittlung sei nur im Einzelfall, etwa zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlich, „was grundsätzlich nur dann in Betracht käme, wenn der Polizeivollzugsdienst diese Gefahr nicht selbst abwehren könnte.“ Strobl weist bezüglich der Speicherung personenbezogener Daten auf das Polizeigesetz hin, nach dem diese Daten zur Gefahrenabwehr an den Polizeivollzugsdienst weitergereicht werden dürfen „und nicht an die Polizeibehörden“. Eine Einmischung lehnt Strobl ab, weil der Landesdatenschutzbeauftragte unabhängig sei. „Dies schließt von Rechts wegen jegliche Einflussnahme“ auf ihn aus.

Empörung bei der SPD-Landtagsfraktion

Nicht nur „fremdenfeindlich“ sei die sogenannte „Liste der Auffälligen“, sondern sie entbehre offenbar auch „jeder datenschutzrechtlichen Rechtsgrundlage“, sagte Jonas Weber, Datenschutzexperte der SPD-Landtagsfraktion, bei einer Landespressekonferenz. Dass der grüne OB sich dann aber auch noch beim CDU-Innenminister Thomas Strobl wortreich über die Nachfragen des unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten beschwere anstatt zu kooperieren, „schlägt dem Fass den Boden aus“. Aus Sicht der SPD sei es notwendig, „dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann wieder einmal versuchen sollte, Einfluss auf seinen Parteifreund zu nehmen und diesen eindringlich auf die Grundsätze unseres Rechtsstaates, die Bedeutung und das Einhalten des Datenschutzes sowie die Unabhängigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten hinzuweisen.“

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Erstellt:
30.01.2020, 14:48 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 09sec
zuletzt aktualisiert: 30.01.2020, 14:48 Uhr

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