Blüten in Frost und Schnee
Das verspätete Winterwetter muss keine Katastrophe sein für Kirschen oder Äpfel
In den klassischen Agrar-Dreiklang – alles erfroren, alles verhagelt, Massenernte! Alles nichts wert – wollen Obstbau-Experten im Kreis nicht einstimmen. Wenn ihnen Schnee und Frost auch Sorge machen.
Kreis Tübingen. „Wir sind noch optimistisch“, sagt Stefan Grüter vom Demeter-Obstgut auf dem Bläsiberg bei Tübingen. Ein anderes Wetter als das jetzige mit auch mal morgendlichem leichten Minus und Schneefall auf die Blüten wäre ihm natürlich lieber. Ob die Arktik-Lüfte die Ernte vermiesen, kann er aber noch nicht sagen.
Ähnlich zurückhaltend reagiert Kreisobstbauberater Joachim Löckelt und Gerold Maier vom Kreisverband der Obst- und Gartenbauvereine. „Das Ergebnis werden wir erst in ein paar Tagen sehen“, sagt Maier. „Momentan was zu sagen, ist ein bisschen eine schwierige Sache.“ Er hat keine Lust, ein Klagelied anzustimmen, nur um später erklären zu müssen, wie es zu einem üppigen Herbst kommt.
Die Lage sei objektiv nicht einfach einzuschätzen. Es gab zwar Frost, aber nur sehr schwachen, der sich vielleicht in Kronenhöhe gar nicht ausgewirkt habe. Es waren keine zehn Grad Minus nach lauen Tagen zuvor. Da reagieren die Obstblüten schnell, werden braun und fallen am nächsten Tag ab. Bei Kirschen, deren Blüte vielerorts fast durch war, bevor es kalt wurde, daure es noch etwa zehn Tage, dann lasse sich erst der Fruchtansatz sehen. Ist er braun, war die Blüte ein Ausfall. „Wenn der Blütenboden dann grün ist, wird alles gut“, sagt Löckelt.
Ähnliches gelte für die Zwetschgen. Bei Birnen und Äpfeln spielt es eine Rolle, um welche Sorte es sich handelt – und auch wo sie wachsen. „In kalten Lagen haben manche Äpfel noch nicht mal angetrieben“, erklärt Löckelt. „Die kann ich jetzt sogar noch schneiden.“ Ein bisschen Schnee oder Frost juckt die Blüten da gar nicht.
Im Obstbau würden ja bewusst Sorten mit unterschiedlichen Blühterminen gepflanzt. Die frühblühenden Jakob-Fischer-Äpfel etwa seien wohl schon bestäubt. Bei von Natur aus relativ spät austreibenden Sorten wie dem Rheinischen Bohnapfel, eine Spitzensorte für Apfelsaft, müsse sich niemand Gedanken machen, weil die Blüten noch geschützt von Hüllblättern sind. „Da sind ja noch nicht mal die roten Köpfe zu sehen. Bei Spätblühern besteht keine Gefahr.“
Aber auch dann ist noch Hoffnung. Über der ganzen Blütenpracht der Obstbäume werde leicht vergessen, dass die Fülle sehr, sehr großzügig kalkuliert sei, erklärt Löckelt. Wenn nur fünf Prozent der Apfelblüten zu einem Apfel ausreifen, dann reiche das schon für einen Vollertrag. „Wenn jetzt also 30, 40 Prozent kaputt gehen, dann heißt das nicht, dass wir nichts ernten.“
Löckelt hat dieser Tage sogar ein echtes Hoffnungszeichen ausgemacht. Honigbienen, sonst zuverlässige Bestäuber der Obstbäume, blieben bei den Tieftemperaturen zwar in ihrem Kasten. Wo es aber Hummeln gebe, seien die durchaus unterwegs. „Ich hab sogar eine bei fünf Grad im Schneetreiben fliegen sehen.“