Städtepartnerschaft

Das umständliche Wahlverfahren schreckt ab

Ann Arbor kurz vor den Midterm Elections in den USA: es ging nicht nur um Senatoren und Abgeordnete, sondern auch um Bürgermeister, Richter, die Leiter der Schulbehörde und mehrere Anträge zur Regionalpolitik.

16.11.2018

Von Susanne Bächer (Mitwirkung: Eva Zeller, Cornelia Stoll und Gerhard Waschin)

Die Tübinger Gruppe vor dem Capitol in Washington (hintere Reihe): Roger Gill, Eva Zeller, Christoph Melchers, Suzanne Heinisch, Bernhard Heinisch, Christine Walter, Gerhard Waschin, Hansjörg Schanz, Berndt Rüdiger Paul; (vordere Reihe): Kristiane Göpel, Friederike Scholvin, Gabriele Forst, Carolyn Melchers, Cornelia Stoll, Susanne Bächer. Privatbild

Die Tübinger Gruppe vor dem Capitol in Washington (hintere Reihe): Roger Gill, Eva Zeller, Christoph Melchers, Suzanne Heinisch, Bernhard Heinisch, Christine Walter, Gerhard Waschin, Hansjörg Schanz, Berndt Rüdiger Paul; (vordere Reihe): Kristiane Göpel, Friederike Scholvin, Gabriele Forst, Carolyn Melchers, Cornelia Stoll, Susanne Bächer. Privatbild

Wie werden die Amerikaner knapp zwei Jahre nach Präsident Donald Trumps Amtsantritt wählen? Das war die Frage, die eine 15-köpfige Reisegruppe aus Tübingen interessierte, die sich Ende Oktober auf den Weg in die amerikanische Partnerstadt Ann Arbor machte. Anlass waren die Midterm Elections, also die Zwischenwahlen am 6. November. Bei diesen werden ein Drittel der Senatoren und alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses gewählt.

Zunächst standen zwei Tage Washington auf dem Programm, wo die Tübinger nach Stadtrundfahrt und Besuch im neuen Museum of African American History and Culture mit dem Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung über die anstehenden Wahlen diskutierten. Und sie hatten die Chance, im Capitol mit Mitarbeitern von Senatoren und Abgeordneten zu sprechen. Diese gehörten alle der Demokratischen Partei an; die Republikaner hatten auf entsprechende Anfragen nicht reagiert. Die Gesprächspartner betonten die große Bedeutung der Wahlen; es gab Anzeichen für eine höhere Wahlbeteiligung als in früheren Zwischenwahlen. Aber keiner wagte eine Vorhersage. Es schien, als ob die Anhänger von Trump sich bestätigt fühlten („Jetzt erst recht!“) und auch seine Gegner mehr Menschen mobilisieren konnten als zuvor.

Seltsam geformte Wahlkreise

Amerika scheint in zwei Lager geteilt. Deren Gegnerschaft hatte sich in den Tagen der Reise verschärft: In Pittsburgh überfiel ein Mann eine Synagoge und tötete elf Menschen. Trumps Äußerung dazu sinngemäß: Der Überfall war nur möglich, weil kein bewaffneter Mann die Menschen in der Synagoge beschützt hat. Als Trump einige Tage darauf nach Pittsburgh fuhr, um sein Mitgefühl zu bekunden, weigerte sich der Bürgermeister, ihn zu empfangen.

In Ann Arbor führten die Tübinger ihre Gespräche fort. Die Universitätsstadt – 120 000 Einwohner, 45 000 Studierende – wählt traditionsgemäß demokratisch. Dass es eigentlich nur zwei Parteien zur Auswahl gibt, ist nicht der einzige Unterschied zum deutschen System: Die Amerikaner müssen selbst aktiv werden und sich registrieren lassen, wenn sie wählen wollen; ein etwas umständliches Verfahren, das auch Menschen abschreckt. Bei den Wahlen ging es nicht nur um Senatoren und Abgeordnete, sondern auch um etwa zwei Dutzend weitere Entscheidungen: um Bürgermeister, um Richter, um die Leiter der Schulbehörde und weitere Posten. Außerdem sollten die Wähler über mehrere Anträge abstimmen. Einer davon betraf das so genannte Gerrymandering. Dabei geht es um die Einteilung der Wahlkreise, die in den verschiedenen Staaten von der jeweils herrschenden Partei vorgenommen wird – und zwar so, dass sie selbst davon profitiert. Nach dem Prinzip „The winner takes it all!“. Seltsam geformte Wahlkreise kommen dabei heraus. Die Antragsteller schlugen nun ein anderes Verfahren zur Wahlkreiseinteilung vor.

Auch Kommunalpolitik spielte eine Rolle bei dem Besuch der Tübinger in Ann Arbor. An einem Abend fand ein so genanntes Panel statt, eine Veranstaltung, an der auch der Bürgermeister und drei Stadträte aus Ann Arbor teilnahmen. Die Tübinger Stadträte Berndt Rüdiger Paul und Susanne Bächer zeigten thesenartig auf, wie Tübingen Stadtplanung betreibt, Flüchtlinge unterbringt und beim Klimaschutz vorgeht. Die Vertreter aus Ann Arbor nannten ihre wichtigsten Themen. Ann Arbor hat im Vergleich zu Tübingen sehr viel Fläche; typisch für amerikanische Städte des mittleren Westens gibt es bis weit vom Stadtzentrum entfernt aneinandergereihte Einfamilienhäuser mit Garten. Dennoch kommen täglich viele Tausend Pendler von außerhalb mit dem Auto in die Stadt, die vor allem an der Uni und an den Kliniken arbeiten.

Ann Arbor hat in den letzten 15 Jahren Tausende neuer Arbeitsplätze gewonnen, aber die Einwohnerzahl hat kaum zugenommen. Verdichtung ist auch dort ein umstrittenes Thema. In einer der oben genannten lokalen Abstimmungen ging es um die Frage, ob ein derzeitiger Parkplatz neben der Bibliothek in der Stadtmitte eine Grünfläche werden oder bebaut werden soll. Die Idee der Regionalstadtbahn fanden einige der Gesprächspartner aus Ann Arbor anregend. Und „Tübingen macht blau“ ebenso.

Flüchtlinge werden geschützt

Was Flüchtlinge anbetrifft, zählt Ann Arbor zu den so genannten „sanctuary cities“. Diese bieten Flüchtlingen – vor allem den sogenannten Illegalen aus Mexiko und anderen zentralamerikanischen Staaten – Schutz vor Abschiebungen und unabhängig von ihrem Status Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Ann Arbor begibt sich damit in Opposition zur Landesregierung und zum „Federal Government“ in Washington. Ann Arbor würde gegebenenfalls auch in Konflikt mit der Federal Police, also der US-amerikanischen Bundespolizei, gehen. Die Tübinger Gruppe konnte zudem mit Mitarbeitern einer „sanctuary church“ sprechen, die Flüchtlinge unterstützt.

Die deutschen Besucher wunderten sich, dass in der Stadt kaum Wahlplakate zu sehen waren. Nur in einigen Vorgärten steckten Schilder, die für bestimmte Kandidaten warben. Aber der Aufruf „Vote!“ hing an vielen Stellen. Wählen zu gehen ist eben nicht selbstverständlich in den USA.

Die Tübinger sprachen auch mit ehrenamtlich engagierten Menschen, die andere bei der Ausübung ihres Wahlrechts unterstützen, ihnen helfen, sich registrieren zu lassen, und ihnen die über zwanzig Wahlentscheidungen erklärten, die zu fällen waren. Die Gruppe wandte sich vor allem an Frauen und Erstwähler.

Bei einem anderen Treffen berichteten zwei (ebenfalls vom Volk gewählte) Leiter der Schulbehörde in Ann Arbor, dass die öffentlichen Schulen immer weniger Zuwendungen bekommen, aber immer größere Aufgaben bewältigen müssen. So sind sie auch dafür zuständig, dass die Schüler täglich mehrere Mahlzeiten bekommen – etwa ein Viertel von ihnen lebt in Armut.

Ein Tagesausflug führte die Tübinger nach Detroit, einst Zentrum der amerikanischen Autoproduktion. Dort konnten sie Quartiere mit zerfallenden Häusern sehen, aber auch solche, die mit großem ehrenamtlichem Engagement wiederbelebt wurden. Auch in Detroit bestand Gelegenheit, mit Vertretern aus Politik und Kommunalverwaltung zu sprechen.

In Ann Arbor waren die 15 Tübinger bei Familien untergebracht, von denen viele schon einmal in Tübingen waren.

Seit 53 Jahren besteht die Partnerschaft

1824 waren schwäbische Einwanderer an der Gründung von Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan beteiligt. Die schwäbischen Wurzeln waren ein Grund für die Partnerschaft mit Tübingen, die am 27. November 1965 geschlossen wurde. Beteiligt daran waren auch das Deutsch-Amerikanische Institut in Tübingen und der Schwabenverein Ann Arbor. Der Verein „Freunde der Städtepartnerschaft Tübingen-Ann Arbor“ wurde 2005 von Carolyn Murphey Melchers gegründet. Sie stammt aus Ann Arbor, lebt seit über 40 Jahren in Tübingen und vermittelt seitdem zwischen beiden Städten. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Tübinger/innen für die Städtepartnerschaft zu interessieren. Ein Stammtisch bietet alle zwei Monate Informationsmöglichkeiten und bezieht auch Studierende aus Ann Arbor ein.

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Erstellt:
16.11.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 15sec
zuletzt aktualisiert: 16.11.2018, 01:00 Uhr

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