Antisemitismus · Interview

Präsidentin des Verfassungsschutzes: „Eine brisante Gemengelage“

Der Hass gegen Israel und gegen Juden verbindet verschiedene radikale Gruppen, sagt Beate Bube, Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz.

25.05.2021

Von THEO WESTERMANN

„Der Nahostkonflikt birgt die Gefahr, dass auch extremistische Akteure im Land an Demos teilnehmen“, sagt Beate Bube. Foto: Marijan Murat/dpa

„Der Nahostkonflikt birgt die Gefahr, dass auch extremistische Akteure im Land an Demos teilnehmen“, sagt Beate Bube. Foto: Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Nach den antiisraelischen Protesten und antisemitischen Ausschreitungen in verschiedenen Städten in Baden-Württemberg sind die jüdischen Gemeinden, die Politik und Sicherheitsbehörden alarmiert. Die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, Beate Bube, spricht im Interview über die Hintergründe und Akteure der islamistisch-extremistischen Szene.

Frau Bube, hat Sie die Intensität der Proteste überrascht?

Beate Bube: Nein, das hat uns nicht überrascht. Das Demonstrationsgeschehen entsprach in etwa unseren Annahmen im Vorfeld. Bisher war es immer so, dass Auseinandersetzungen und Konflikte im Nahen Osten typischerweise zu Reaktionen der hiesigen Community führten. Der Nahostkonflikt birgt die Gefahr, dass auch extremistische Akteure im Land am Demonstrationsgeschehen teilnehmen. Gerade auch solche, die sich mit der palästinensischen Nationalbewegung solidarisieren und dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen.

Steckt da landesweite Steuerung dahinter?

Wir können das noch nicht abschließend bewerten. Für den 15. Mai , den „Nakba-Tag“, der in den Palästinensergebieten begangen wird, gingen mehrere Anmeldungen von Veranstaltungen in Baden-Württemberg und auch bundesweit von derselben Organisation aus. Doch was wir nun in den vergangenen Tagen an Mobilisierung in den sozialen Medien für die besagten Demonstrationen gesehen haben, geht weit darüber hinaus. Offenbar gab es eine Mischung aus zentraler Steuerung und spontanem Protest.

In Mannheim waren laut Augenzeugen bei der sogenannten Pro-Palästina-Demonstration Flaggen des IS, Hisbollah-Flaggen, Hamas-Flaggen zu sehen. Mischen sich hier unterschiedlichste islamistische Kreise?

Ich kann das mit den Flaggen von IS und Hisbollah in Mannheim nicht bestätigen. Wir gehen nicht davon aus, dass sie dort gezeigt wurden. Die Flaggen dieser terroristischen Gruppierungen zu zeigen, wäre strafbar und die Polizei müsste eingreifen. Möglicherweise handelt es sich auch um Verwechslungen, so wurde beispielsweise in Stuttgart eine Flagge von „Freies Kaschmir“ gezeigt, die ähnlich wie die Hisbollah-Flagge gelbe Bestandteile hat. Für eine breite Mobilisierung spricht, dass bei den Demonstrationen Flaggen der Hamas und verschiedener arabischer Staaten, aber auch solche der Türkei gezeigt wurden. Zusätzlich sehen wir eine Solidarisierung verschiedener islamistischer Akteure unterschiedlicher Herkunft, die sich einig sind in der Ablehnung Israels. In Mannheim kam das auch durch das Verbrennen einer israelischen Flagge zum Ausdruck.

Die größten islamistischen Gruppen in Baden-Württemberg kommen aus dem türkisch-stämmigen Milieu. Sind sie auch Träger der Proteste?

Die Proteste wurden überwiegend durch Akteure des palästinensischen Milieus getragen, darunter auch von Anhängern extremistisch-terroristischer Gruppen wie der„Volksfront für die Befreiung Palästinas“ und der Hamas. Aber auch türkisch-stämmige extremistische Milieus waren stark vertreten. Das reicht von türkischen Linksextremisten über die PKK bis hin zu türkischen Rechtsextremisten.

Was aber auch zu internen Konflikten führt. ?

Das ist natürlich eine brisante Gemengelage. Viele dieser Gruppen stehen auch in einem Konflikt untereinander. Das hat jüngst bei den Pro-Palästina-Demonstrationen, etwa in Stuttgart, zu Handgreiflichkeiten zwischen verschiedenen türkisch-stämmigen Gruppen geführt.

Wie bewerten Sie die Rolle der sozialen Netzwerke gerade auch angesichts des bei diesen Demonstrationen festzustellenden sehr jungen Publikums?

Wir sehen natürlich den starken Beitrag der sozialen Netzwerke, was das Kommunikationsverhalten angeht. Es gibt zwei Funktionen, die die sozialen Netzwerke übernehmen. Einmal wird damit in großer Geschwindigkeit zu Versammlungen mobilisiert, die es den Sicherheitsbehörden zunehmend schwer macht, Teilnehmerzahlen im Vorfeld exakt einzuschätzen. Zum anderen trägt das Internet zu einer Emotionalisierung und Aufheizung bei. Im Netz werden gezielt israelfeindliche und antisemitische Beiträge gepostet. Das wird auch teilweise verbrämt mit diversen Codes, die nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sind.

Der Antisemitismus ist das einigende Band zwischen Islamismus und Rechtsextremismus. Sehen sie da aktuell verstärkt Schulterschlüsse zwischen den Szenen?

Vom Schulterschluss würde ich bei den aktuellen Demonstrationen nicht sprechen wollen. Aber es gibt ganz unterschiedliche extremistische Akteure, die das gemeinsame Feinbild Israel verbindet und die schon zusammen aufgetreten sind, obwohl sie die sonstigen jeweiligen Positionen gegenseitig ablehnen.

Wie beurteilen Sie die Gefahrenlage aktuell für die jüdischen Mitbürger und jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg?

Es handelt sich hier um eine Gefährdungslage, die immer wieder auftreten und bei aktuellen Anlässen auch erhöht sein kann, wenn sich der Nahostkonflikt auf unseren Straßen spiegelt. Das Land – insbesondere die Polizei Baden Württemberg – reagiert hierauf mit erhöhtem Schutz jüdischer Einrichtungen und steht in engem Austausch mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden. Juden- und Israelfeindschaft muss darüber hinaus ganz gezielt begegnet werden – durch repressive, präventive wie auch politische Maßnahmen.