Stuttgart/Sindelfingen

Cold Case: „Das ist der Drecksmörder“

Der Kronzeuge im Prozess um einen Frauenmord vor 25 Jahren findet alte Bilder des Angeklagten und ist sich sicher, den Täter vor sich zu haben.

11.03.2021

Von DOMINIQUE LEIBBRAND

Seit September läuft der Prozess gegen den 70-jährigen Hartmut M. in Stuttgart. Foto: Marijan Murat

Seit September läuft der Prozess gegen den 70-jährigen Hartmut M. in Stuttgart. Foto: Marijan Murat

Stuttgart/Sindelfingen. Im Fall der 1995 in Sindelfingen getöteten Stuttgarter Künstlerin Brigitta J. zieht sich die Schlinge allmählich enger um den Hals des Angeklagten Hartmut M. Am Mittwoch, dem mittlerweile 20. Verhandlungstag am Stuttgarter Landgericht, zitierte der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann aus brisanten E-Mails des wohl wichtigsten Zeugen des Verfahrens, Dennis B., die dieser dem Gericht jüngst hat zukommen lassen.

Der mittlerweile pensionierte US-Navy-Pilot hatte den Mord an Brigitta J. hautnah miterlebt und auch kurz Kontakt zum später flüchtigen Täter gehabt. Mitte Februar war er ausführlich befragt worden und hatte die Situation eindrücklich und detailreich geschildert. Wie er an jenem Abend des 14. Juli 1995 gemeinsam mit einem Kollegen an Täter und Opfer vorbeigefahren war. Wie sie die beiden zunächst für ein streitendes Paar gehalten hatten, dann aber gemerkt hätten, dass die Frau in ernster Gefahr sei. Wie sie gewendet hätten und der Täter sogar noch ans geschlossene Fenster gekommen sei und etwas für die US-Amerikaner Unverständliches auf Deutsch gesagt habe, bevor er mit einem Auto davongefahren sei.

Bislang nur mit Maske gesehen

Mehrfach war Dennis B. in den Jahren nach der Tat für Befragungen nach Deutschland gereist. Doch mit dem jetzt Angeklagten Hartmut M. war er nie direkt konfrontiert worden. Erst Anfang 2020 war man mittels eines DNA-Abgleichs auf den wegen Erpressung und Totschlags vorbestraften Ex-Topmanager gestoßen. Angesichts eines alten Fotos des Angeklagten hatte B. bei seiner Befragung vor Gericht gesagt, er sehe große Übereinstimmungen. Offenbar war ihm dabei nicht richtig bewusst, dass er es mit Hartmut M. zu tun hatte. Jedenfalls heißt es in den Mails, die er dem Gericht über einen pensionierten Kriminalbeamten hat zukommen lassen, der im Fall Brigitta J. zur Sonderkommission gehört und zu dem er losen Kontakt gepflegt hatte, er habe M. bislang nur mit Maske gesehen. Vor Gericht sei sein Blick nicht gezielt auf M. gelenkt worden.

 



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Im Nachgang dieser Befragung, so erfährt man aus den Mails, hatte B. dann selbst recherchiert und war auf ein Foto des Angeklagten aus dem Jahr 2007 gestoßen, das bei dem Prozess im Fall der getöteten Anhalterin Magdalene H. aufgenommen worden war. Bei dessen Anblick verschlug es B. offenbar die Sprache. Hartmut M. passe zu 100 Prozent auf seine Beschreibung jenes Mannes, der Brigitta J. „abgeschlachtet hat“. Wörtlich zitierte der Richter weiter: „Das ist verdammt nochmal der Drecksmörder.“

Ihm sei bewusst, dass diese Identifizierung 25 Jahre nach der Tat vor Gericht vielleicht kein besonders starker Beweis sei, beim Anblick des Fotos sei er aber „buchstäblich vom Stuhl aufgesprungen“, schreibt B., wohl um zu untermauern, wie sicher er sich gefühlsmäßig ist.

In den Mails nennt B. zudem einen Honda CRX als „Auto, das mit hundertprozentiger Sicherheit dem Wagen ähnelt, mit dem der Täter damals weggefahren ist“. Hartmut M. hatte zu jener Zeit ein solches Modell in Schwarz gefahren und war deshalb auch kurzzeitig ins Visier der Ermittler geraten. Ein aus heutiger Sicht wackliges Alibi hatte ihn aber gerettet. B. hatte indes immer einen hellen Kastenwagen als Fluchtauto beschrieben, vor Gericht hatte er aber auch deutlich gemacht, dass er vor allem auf Täter und Opfer geachtet habe. Ob das von ihm jetzt aus dem Netz gezogene Foto eines Autos, das ebenfalls den Mails beigefügt ist, tatsächlich einen Honda CRX zeigt, zieht die Verteidigung indes in Zweifel. Kommende Woche soll der 68-Jährige erneut per Videoschalte befragt werden.

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Erstellt:
11.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 11.03.2021, 06:00 Uhr

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