Corona

„Das geht allen an die Substanz“

Was das Virus anrichten kann, sieht Edgar Dax täglich als Pfleger auf einer Covid-Station in Ludwigsburg. Er warnt vor der dritten Welle – und wünscht sich für seinen Beruf mehr Anerkennung.

27.03.2021

Von DOMINIQUE LEIBBRAND

Liebt seinen Beruf, aber nicht die Rahmenbedingungen: Pfleger Edgar Dax. Foto: Dominique Leibbrand

Liebt seinen Beruf, aber nicht die Rahmenbedingungen: Pfleger Edgar Dax. Foto: Dominique Leibbrand

Ludwigsburg. Edgar Dax arbeitet Anfang 2020 gerade einmal ein paar Wochen auf der Infektionsstation im Klinikum Ludwigsburg, als das Corona-Virus die Welt in den Würgegriff nimmt. Normalerweise behandelt der Pfleger Menschen, die mit Magen-Darm-Viren, Hepatitis oder Tuberkulose kämpfen. Jetzt wird die Abteilung zum reinen Covid-Auffanglager. Die Patienten, die kommen, haben häufig hohes Fieber, sind schlapp, ringen nach Luft. Manche sterben.

Gut ein Jahr später. Edgar Dax und seine Kollegen kämpfen mit der dritten Welle. Nach ein paar Tagen Urlaub ist der 61-Jährige seit Anfang der Woche wieder auf Station. „Der Wiedereinstieg war heftig“, sagt er. „Anders als in früheren Phasen der Pandemie haben wir jetzt gerade relativ viele Patienten mittleren Alters, denen es schlecht geht.“

Wegen der Mutationen sei das Virus jetzt aggressiver. „Es ist schon zu befürchten, dass diese Welle schlimmer wird.“ Der Erholungseffekt ist dahin. „Wir sind Tempo ja gewöhnt. Aber das Tempo, das uns gerade abverlangt wird, ist zermürbend.“ Eine Kollegin habe es richtig ausgedrückt: „Das geht allen an die Substanz.“

Der Familienvater aus Winnenden im Rems-Murr-Kreis klingt erschütterter, als ihm wahrscheinlich lieb ist. Denn Jammern ist eigentlich nicht sein Ding. Er ist ein positiver Typ, der nicht zuspitzt, kein Drama kreiert.

Den Stress kann er jetzt aber nicht mehr im Fitnessstudio, bei einer Auszeit in einem Café oder im Fußballstadion abschütteln. Die drei Kinder, der Mischlingshund Simba und Gespräche mit Freunden gäben ihm dennoch Kraft und Halt, erzählt Dax bei einem Spaziergang durch seinen Heimatort. „An einem gewissen Punkt versuche ich, das Negative auszublenden, mich auf die schönen Dinge zu freuen.“

Krasser Personalmangel

Pflegekraft ist der zweite Beruf des 61-Jährigen. Erst mit 36 hat er umgeschult, vorher war er Kaufmann. Die Entscheidung habe er nie bereut, sagt Dax. „Der Beruf macht mir großen Spaß. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“ Das Problem seien die Rahmenbedingungen. Die schlechte Bezahlung, der krasse Personalmangel. „Jungen Leuten kann ich diesen Beruf nicht guten Gewissens empfehlen.“

Beim Blick in den Dienstplan steigt bei Dax häufig der sowieso schon zu hohe Blutdruck. Der Krankenstand in seinem Metier sei hoch, das sei bei der Arbeitsbelastung auch kein Wunder, sagt der gebürtige Österreicher. Innerhalb von Stunden müsse dann Ersatz organisiert werden. Oft besteht der aus Praktikanten oder Pflegeschülern. Oder Kollegen, die eigentlich frei haben.

Pro Schicht ist Dax im Schnitt für acht, neun Patienten zuständig. Das sei zu bewältigen, wenn die Leute einigermaßen selbstständig seien, also selbst essen und zur Toilette könnten. Schwierig werde es, wenn man viele Patienten hat, die viel Unterstützung brauchen, etwa Lähmungen haben, gewickelt oder regelmäßig umgelagert werden müssen. Kommt zu multiplen Vorerkrankungen Corona obendrauf, wird es haarig. „Eine Schicht kann entspannt sein oder die Hölle.“ Vorher wisse man das nie.

Die sowieso knapp bemessene Zeit müssen Dax und seine Kollegen seit Corona noch besser einteilen. Sie müssen die Schutzkleidung ständig wechseln. Über die reguläre Kluft kommt noch ein Schutzmantel, dazu zwei Paar Handschuhe, eine FFP2-Maske und ein Visier für die Augen.

Vor jedem Zimmer befindet sich eine Schleuse, in der Dax Mantel und Handschuhe gegen frische Exemplare tauschen muss. Auch das Visier müsse gereinigt werden. In der doppelten Kleidungsschicht schwitze man zudem mehr als sonst. „Mir graut es schon vor dem Sommer.“

Aufwendiger ist der Arbeitsalltag auch deshalb geworden, weil jetzt viele Anrufe von Angehörigen beantwortet werden wollen, die ihre Lieben nicht besuchen können. Auch die Patienten bräuchten mehr Ansprache, sie säßen ja isoliert den ganzen Tag in ihren Zimmern, erzählt der Pfleger. „Das ist für viele bedrückend.“ Manche seien verwirrt oder dement und verstünden gar nicht richtig, wo sie sich befinden.

Der Krankenpfleger versucht, darauf einzugehen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, sich kurz wirklich Zeit zu nehmen. Das gibt den Leuten das Gefühl, dass sich jemand kümmert.“ Also assistiert er bei Skype-Anrufen, zeigt den Leuten Fotos von Verwandten oder richtet Grüße von Angehörigen aus.

Das Dauerklingeln aus den anderen Zimmern hat er dabei immer im Ohr. „Ich habe aber gelernt, das ein Stück weit an mir abprallen zu lassen. Ich muss immer abwägen, wie dringend es jetzt ist. Und bei Alarm lasse ich natürlich alles stehen und liegen.“

Das Zeitmanagement ist ein täglicher Spagat. Denn Zeit ist auch in einem Krankenhaus Geld. Wegen der Corona-Krise werde der Druck weiter erhöht, weil viele Behandlungen, an denen die Krankenhäuser sonst verdienen, jetzt nicht gemacht werden können, befürchtet Dax.

Es sei nicht so, dass man diesen Druck bei der Arbeit ständig spüre, dennoch mache er sich Sorgen: „Je länger die Pandemie geht, desto größer wird der Druck. Und am Ende muss dann vielleicht am Personal gespart werden.“ Die Zeche zahlten die Kranken. „Mir ist klar, dass ein Krankenhaus wirtschaftlich arbeiten muss. Aber der Patient darf nicht zu kurz kommen.“

Gegen das Virus arbeiten Dax und seine Kollegen mit fiebersenkenden Mitteln an. Sie lassen die Patienten inhalieren, beziehungsweise geben ihnen extra Sauerstoff. Für manche reicht das nicht, sie müssen auf die Intensivstation ans Beatmungsgerät.

Der Pfleger freut sich über jeden, der auf seine Station zurückkommt, weil das bedeutet, dass es bergauf geht. Profi hin oder her, manche Schicksale gehen ihm nahe. Etwa wenn ganze Familien vom Virus gezeichnet werden. „Wir hatten hier Menschen, deren Eltern beide an Covid gestorben sind. Das fand ich total tragisch.“

Mit Schicksalsschlägen kennt sich der Pfleger auch privat aus. Seine Frau starb mit gerade einmal 42 an einem langjährigen Krebsleiden. Die Corona-Krise habe ihm erneut gezeigt, wie kostbar das Leben sei. „Die Krankheit ist so tückisch. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell sich der Zustand der Patienten verschlechtern kann. Eben ging es ihnen noch gut, plötzlich rauschen die Werte in den Keller.“

Der Pfleger hat es sich selbst eigentlich verboten, in sozialen Netzwerken Kommentare von Corona-Leugnern zu lesen. Manchmal kann er es sich aber doch nicht verkneifen. Dann packt ihn die Wut. „Corona ist da. Ich sehe die Schicksale jeden Tag. Wenn jemand die Krankheit verharmlost, ist das, als würde er die Betroffenen veräppeln.“

Den 61-Jährigen wird man daher auch nicht grundsätzlich auf die Corona-Politik schimpfen hören. Was ihn aber stört, ist, dass wenig dafür getan werde, das Image seines Berufsstandes aufzupolieren. Bei der Bezahlung habe sich ja nun etwas bewegt, auch die Prämien hätten vielen Kollegen geholfen. „Doch wie geht's jetzt weiter?“, fragt sich Dax. Der Personalmangel bleibe. „Da muss was passieren.“

Auch an gesellschaftlicher Anerkennung mangele es. „In der allgemeinen Wahrnehmung sind die Pfleger die, die den Hintern abwischen“, sagt Dax. Dabei sei der Job auch geistig überaus anspruchsvoll. „Wegen Corona sind wir jetzt zwar im Fokus. Aber ich frage mich, was davon bleibt.“ Von Balkonen gespendeter Applaus? Der Krankenpfleger lacht leise. Mehr Respekt für seinen Berufsstand, und zwar nachhaltig, wäre ihm lieber.

Wem es schlechter geht, der wird von der Infektionsstation, auf der Edgar Dax arbeitet, auf die Intensivstation verlegt. Im Bild: Mitarbeiter des Klinikums Ludwigsburg, die einen Patienten für die künstliche Beatmung vorbereiten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Wem es schlechter geht, der wird von der Infektionsstation, auf der Edgar Dax arbeitet, auf die Intensivstation verlegt. Im Bild: Mitarbeiter des Klinikums Ludwigsburg, die einen Patienten für die künstliche Beatmung vorbereiten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

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Erstellt:
27.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 35sec
zuletzt aktualisiert: 27.03.2021, 06:00 Uhr

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