Corona-Proteste

Das „Who is Who“ der Querdenker

Viele bekannte Akteure der Bewegung kommen aus Baden-Württemberg. Was haben sie gemeinsam? Wie finanzieren sie sich? Und gegen wen laufen Ermittlungen? Eine Übersicht.

23.09.2021

Von JULIA HORN

Die Anwältin Beate Bahner verklagte die Regierung. Foto: Michael Reichel

Die Anwältin Beate Bahner verklagte die Regierung. Foto: Michael Reichel

Tausende Menschen auf den Straßen, Banner mit der Aufschrift „Wir sind das Volk“ oder „Stoppt den Machtmissbrauch“: In Berlin kommen seit vergangenem Frühjahr immer wieder Anhänger aus der Querdenker-Szene zusammen, um gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Unter ihnen viele aus dem Südwesten Deutschlands. „Ein Großteil derer, die bei Polizeikontrollen aufgefallen sind, kommt aus Baden-Württemberg“, sagt Josef Holnburger, der die Bewegung als Politik- und Datenwissenschaftler seit ihrer Entstehung beobachtet. Zufall ist das nicht: Stuttgart ist der Gründungsort von „Querdenken-711“, der größten Gruppe der Bewegung und Veranstalter der Demos in Berlin. Ihr Initiator ist Michael Ballweg – der „Kopf von Querdenken“.

Der Stuttgarter selbst nennt sich in einer Pressemitteilung „Gründer von Querdenken-711 Stuttgart und Gründer der Querdenken-Bewegung“. Der Anführer sei er aber nicht. Die „überparteiliche Bürgerbewegung“, wie er Querdenken nennt, sei eine Organisation ohne Spitze. Trotzdem ist es Ballwegs persönliches Konto, auf das Anhänger sogenannte Schenkungen überweisen sollen. „Es handelt sich um ein eigens eingerichtetes Konto auf meinen Namen für alle Aktivitäten zur Wiederherstellung unserer Grundrechte“, teilt er mit.

Wo landen die Spenden?

Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter in Baden-Württemberg, sieht das kritisch. Er betont, dass es einen Unterschied gibt zwischen Schenkungen und Spenden. Tatsächlich dürfen letztere nur an anerkannte Spendenempfänger gehen, erklärt Rechtsanwalt Christian Solmecke. Dazu zählten gemeinnützige Vereine oder Stiftungen. Die Querdenker seien nicht berechtigt. Deswegen nehmen sie Schenkungen an – diese dürfen auch Privatpersonen empfangen. Eine Transparenzpflicht gibt es, anders als bei Spenden, nicht. „Die Leute wissen nicht, was mit ihrem Geld passiert“, sagt Blume.

Der HNO- Arzt Bodo Schiffmann ist nach Tansania geflohen. Foto: Ufuk Arslan

Der HNO- Arzt Bodo Schiffmann ist nach Tansania geflohen. Foto: Ufuk Arslan

Ebenfalls wegen rechtlich fragwürdiger Spendensammlungen in die Schlagzeilen gekommen ist Bodo Schiffmann. Der aus Sinsheim stammende Arzt hat den Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ sowie die Protestparteien Widerstand 2020 und Wir 2020 mitgegründet (und wieder verlassen). Nach der Hochwasser-Katastrophe im Juni sammelte er 700?000 Euro für die Flutopfer. Wie viel Geld bei ihnen tatsächlich angekommen ist, ist bis heute unklar.?Auf eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung hat Schiffmann bis Redaktionsschluss nicht reagiert.

Fest steht, dass die Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen ihn ermittelt – wegen des Verdachts, Spendengelder zweckwidrig verwendet zu haben. Außerdem läuft ein Verfahren, weil der HNO-Arzt Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben soll, ohne die Patienten vorher zu untersuchen. Hinzu kommt der Verdacht, Schiffmann habe Impfärzte mit dem KZ-Arzt Josef Mengele verglichen. Aktuell befindet sich der Mediziner in Tansania. Seine Praxis in Sinsheim musste er aufgeben – unter anderem, weil ihm die Räume gekündigt worden waren.

Ebenfalls das Land verlassen hat Samuel Eckert, „ein wichtiger Akteur im christlich-fundamentalistischen Bereich der Bewegung“ , sagt Blume. Er begleitete Schiffmann auf seiner „Corona-Info-Tour“ durch Deutschland. Zuvor war er mehrere Jahre Mitglied der Siebenten-Tags-Adventisten in Baden-Württemberg. Die Freikirche hat sich aber „mit aller Entschiedenheit“ von dem nun in der Schweiz lebenden Unternehmer distanziert, heißt es in einer Pressemittlung.

In Baden-Württemberg scheinen besonders viele Menschen auf die Straße zu gehen, um gegen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Aus dem Südwesten Deutschlands stammen auch einige wichtige Akteure aus der Querdenker-Szene Foto: Felix Kästle

In Baden-Württemberg scheinen besonders viele Menschen auf die Straße zu gehen, um gegen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Aus dem Südwesten Deutschlands stammen auch einige wichtige Akteure aus der Querdenker-Szene Foto: Felix Kästle

Eckert nutzt jetzt seine eigene Webseite als Sprachrohr. Artikel zur „Widerlegung der Virusbehauptung“ mischen sich dort mit Bibelversen. Als Christ sieht er sich dazu verpflichtet, für „die Wahrheit“ einzustehen. Diese Wahrheit gibt er auch an Jugendliche weiter: In der Telegram-Gruppe „Youngsters Samuel Eckert“. Blume stuft dies als „gefährliche Eskalation“ ein. Er fürchtet, dass sich die Jugendlichen radikalisieren könnten. Und fordert eine stärkere Kontrolle – auch in Telegram-Kanälen.

Der Messenger-Dienst ist eines der wichtigsten Kommunikationsmittel der Bewegung, erklärt Holnburger. Über 100?000 Abonnenten folgen beispielsweise Markus Haintz. Der Ulmer Anwalt forderte auf Demos die Beendigung der Corona-Maßnahmen, die er als verfassungswidrig bezeichnete. Außerdem schloss er sich der Partei „Die Basis“ an – und trat vor kurzem wieder aus. „Wenn ich denen zu laut, zu schrill und zu extrem bin, dann sollen sie es ohne mich machen.“

Haintz ist nicht der einzige Anwalt, der in der Querdenker-Szene aktiv ist. So wurde beispielsweise die Heidelberger Anwältin Beate Bahner bekannt, weil sie im April vergangenen Jahres einen Eilantrag zur Aufhebung sämtlicher Corona-Maßnahmen stellte, der allerdings nicht erfolgreich war. Kurz darauf wurde Bahner in die Psychiatrie eingewiesen. Ein Sprecher der Polizei Mannheim erklärte, sie habe sich dabei körperlich gegen die Polizisten gewehrt. Sie selbst sagt, die Beamten hätten sie misshandelt. Ein Verfahren gegen Bahner wegen des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ist mittlerweile abgeschlossen, teilt die Staatsanwaltschaft Heidelberg mit. Ebenso die Ermittlung wegen öffentlichen Aufforderns zu Straftaten – Bahner hatte trotz des damals geltenden Kundgebungsverbots zu Demonstrationen aufgerufen. Das Verfahren wurde in beiden Fällen „nach Zahlung einer Geldauflage eingestellt“, heißt es weiter. Vor kurzem hat Bahner nun ihr neues Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel „Corona Impfung. Was Ärzte und Patienten unbedingt wissen sollten“.

Als Christ möchte er „die Wahrheit“ verbreiten: Samuel Eckert. Foto: Ufuk Arslan

Als Christ möchte er „die Wahrheit“ verbreiten: Samuel Eckert. Foto: Ufuk Arslan

Anwälte, Unternehmer, Mediziner: Die führenden Querdenker sind häufig „autoritäre Persönlichkeiten, die anführen wollen“, sagt Blume. Dafür geben sie im Zweifelsfall auch ihre bisherige Existenz auf. „Sie verdienen sehr viel Geld, lassen sich feiern, kommen vielleicht in eine Art Rausch.“ Aber: Je mehr man in eine Bewegung wie Querdenken investiere, desto schwieriger sei es, Fehler zuzugeben – oder gar auszusteigen. Die Positionen würden noch extremer, die Verschwörungsmythen obskurer werden, sagt auch Holnburger. Eine Spirale der Eskalation, die auch in Gewalt münden kann, wie jüngst eine Tat in Idar-Oberstein gezeigt hat: Dort wurde der Angestellte einer Tankstelle erschossen, weil er den Täter aufforderte, eine Maske zu tragen. Der Mord wurde in Querdenker-nahen Telegram-Gruppen relativiert und sogar bejubelt. Für Blume ist er klar ein Terrorakt.

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Erstellt:
23.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 49sec
zuletzt aktualisiert: 23.09.2021, 06:00 Uhr

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