Klosterleben

Das System kann uns mal

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Aber immer einen Ort, an dem man unter seinesgleichen sein kann. Das Horber Projekt Zukunft und sein Geschäfts- und Lebensmodell im 34. Jahr.

23.06.2017

Von TEXT: Jo Berlien|FOTOs: Karl-Heinz Kuball, Archiv, Sabina Paries, Stadtarchiv

Das System kann uns mal

Am Anfang stand die Idee von der Landkommune. Leben und Arbeiten auf einem Bauernhof in Eckenweiler bei Rottenburg. Arbeit und Freizeit nicht voneinander zu trennen, das war ein gesellschaftspolitischer Ansatz, die Utopie jener Jahre: 1983, Zeit des Umbruchs, so wie heute wieder. Damals war Ronald Reagan US-Präsident, Europa sollte per Nato-Doppelbeschluss massiv aufrüsten. Eine Form des Widerstands war das Kollektiv: gemeinsam etwas schaffen, bewegen, eine Bewegung lostreten, jeder an seinem Ort, in der Provinz. Also gründeten die Loschko-Brüder Ewald und Helmut aus Bondorf, damals 30 und 27 Jahre alt, mit einem knappen Dutzend Freunden aus der Katholischen Landjugend 1983 das Projekt Zukunft.

„Wir hatten alle zehn Jahre Jugendarbeit hinter uns, einige waren verheiratet und hatten schon Kinder“, erinnert sich Ewald Loschko. „Und alle hatten wir keine Lust auf das herkömmliche Berufs- und Familienleben. Wir wollten gemeinsam etwas machen.“ Der Plan vom Bauernhof wurde rasch verworfen. Bauer sein hätte etwas Widerständiges gehabt zu einer Zeit, da die Bauern ihre Höfe aufgaben und zum Daimler gingen. Aber sie alle kamen ja vom Dorf, sie waren keine Städter, die sich nach dem Ursprünglichen gesehnt hätten, im Gegenteil. Ackerkulturen waren reichlich vorhanden bei uns in der Provinz. Was fehlte war ein Dorfwirtshaus für Junge, eine Kulturkneipe, in der es nicht nur ums Biersaufen ging. In Horb-Nordstetten war die frühere Brauereigaststätte Maier zu haben. Das Haus war riesig, es gab einen Saal und einen Garten, alles ziemlich heruntergekommen, der Eigner mochte nichts mehr investieren und überließ den Idealisten in Latzhosen seinen Laden für eine geringe Pacht.

„Wir waren naiv“, sagt Ewald Loschko, „aber hätten wir das nicht in unserer Naivität angepackt und stattdessen überlegt und Pläne aufgestellt, hätten wir es am Ende wohl bleiben lassen.“ Prinzip Startup 1983: Lasst uns anfangen – diskutieren werden wir später noch genug. Loschko sagt: „Wir sind einfach so drenei g’laufa. Der Eigentümer wusste natürlich, dass er mit uns ins Risiko geht.“

Wobei: So naiv waren sie dann auch wieder nicht. Es existierte zwar kein Businessplan. Helmut Loschko war Sozialpädagoge, hatte aber zuvor das Wirtschaftsgymnasium besucht. Theo Nutz war Finanzbeamter, Walle Sayer, der Dichter, gelernter Bankkaufmann, Ewald Loschko Architekt. Dank ihres Engagements in der katholischen Jugend (KLJB) verfügten sie über gute Kontakte. Die KLJB stellte ihnen ein Darlehen in Höhe von 5000 Mark zur Verfügung, die Vereinsmitglieder gaben zwischen 500 und 1000 Mark dazu. So kamen 12 000 Mark Anschubfinanzierung zusammen. Küche und Klo wurden komplett renoviert, in Eigenleistung der Dielenboden abgezogen, Türen abgeschliffen, Wände gestrichen, die Küche neu ausgestattet… Als an einem Montag im Juli, mitten in der Ferienzeit, um 15 Uhr die Kulturgaststätte Maier eröffnete, wartete schon eine Gruppe Ministranten am Eingang – welch wunderbares Abbild des damals herrschenden Leidensdrucks. Es gab ja nichts, und die Tournee-Disco machte nur an den Wochenenden irgendwo im Umland Station.

Der „Maier“ wurde schnell ein Erfolg. Zwei Wochen nach Eröffnung berichtete die ARD in einem Feature über Lust und Frust der Landjugend unter anderem auch über die Leute vom Projekt Zukunft, programmatischer Titel: „Eigentlich herrscht Ruhe auf dem Land“.

Helmut Loschko, politischer Kopf der Gruppe, schob schon bald Frust. Um den wirtschaftlichen Erfolg war es nie gegangen, jedenfalls nicht ausschließlich. „Wenn das PZ wirklich seine wenigen niedergeschriebenen Ziele offensiv vertreten würde, wären wir bald auch kriminalisiert“, gab Loschko seinen Vereinskollegen in einem der zahllos intern kursierenden Papiere zu bedenken. Der weitere Betrieb des ,Maier“ sei eine politische Fragestellung. „Indem wir als angeblich duales, föderalistisches Aushängeschild herhalten, festigen wir das ungerechte System. Etwas Besseres als den Tod auf Raten im gesellschaftlichen Konsum- und Schönheitsterror werden wir immer finden.“

So klang das damals und dabei waren Minijobs, Dumpinglöhne, Leiharbeit und Hartz IV noch lange kein Thema. Aber wie zu allen Zeiten schuftete man für sein Unternehmen, seinen Traum vom gemeinschaftlichen Projekt. Vier hauptamtliche Mitglieder wohnten im „Maier“ und trieben die Gaststätte um, nach einem Vierteljahr erhielt jeder erstmals 400 Mark Lohn.

Wie im richtigen Leben, setzte sich auch im „Maier“ in Nordstetten der graue Pragmatismus durch. Gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten wie in den Hinterhöfen von Berlin-Kreuzberg wäre in dem mehrstöckig verwinkelten Gebäude leicht umsetzbar gewesen. Im Erdgeschoss sollte eine Schreinerei entstehen, Maschinen und Holz waren schon da; die Erzieherinnen im Team wollten einen alternativen Kindergarten aufziehen – beides kam nicht zustande. Dafür boomte sieben Jahre lang die Kulturkneipe, der „Maier“ wurde zu einer Marke weit über die Region hinaus. Und es endete mit einem Knall – Kapitalismus und Privatismus können gnadenlos sein: Der Eigentümer verkaufte das Haus. Aber, und das ist die Pointe: Als sie fertig waren mit dem „Maier“, war das PZ so groß und zugkräftig geworden, dass es sich Gerhard Polt und die Biermösl Blosn in die Stadthalle nach Horb holen konnte.

Der Rest ist schnell erzählt. Das Projekt Zukunft kam zur Untermiete parterre in einem privaten Wohnhaus in Horb unter – ein Provisorium, das letztlich genauso lange währte wie die wie im Rausch verflogenen „Maier“-Jahre. In Erinnerung ist die „Talhaus“-Phase als bleierne Zeit, als ein Ausharren im engen Tal, der schattigen Altstadt. Das Projekt Zukunft hätte sich wohl leise aufgelöst, wenn sich nicht Mitte der Neunziger auch Horb politisch bewegt und der neue junge OB Michael Theurer – auch er als Sozialliberaler mit Pfeife und Pullunder im „Maier“ sozialisiert – das Kulturzentrum im alten Nonnenkloster durchgeboxt hätte. „Mit einem Mal hatten wir wieder eine Perspektive“, sagt Ewald Loschko. „Dort wollten wir rein!“

Sie kamen rein und sind seit 1999 im Kloster zu Hause. Die Kneipe hatten sie anfangs verpachtet, mittlerweile betreiben sie sie wieder selbst. Die Küche ist biozertifiziert. In Tübingen, sagt Loschko, wäre das ein Selbstgänger, in Horb geht es auch, aber halt moderat. Die Helfer um Walle Sayer leben von dem was die Kneipe abwirft. Das Kulturprogramm ist hochprofessionell und zu 95 Prozent ehrenamtlich organisiert.

Reich geworden sind sie nicht, aber das war ja auch nicht der Plan. „Sie wertschätzen uns, sind froh, dass es uns gibt“, sagt Ewald Loschko. Aber wenn es um Zuschüsse für die Kultur geht, ist die Stadt schwäbisch. Um eine Erhöhung wird bei den Haushaltsverhandlungen erbittert gestritten, am Ende gibt es nichts, aller wohlmeinender Worte zum Trotz. Man will nicht Mainstream sein und bekommt dann auch kühl bescheinigt, dass man randständig ist, obschon man an jedem Wochenende Programm macht und das Publikum von weither anzieht. Als das PZ anfing, bewilligte der Gemeinderat 300 Mark fürs Kinderprogramm. Pro Jahr. Inzwischen gesteht die Stadt dem PZ jährlich 18 500 Euro zu. Die städtische Marketing-Maßnahme „Ritterspiele“ verbrät an einem einzigen Wochenende im Jahr 16 000 Euro Zuschuss. Politisch ist auch im 34. Jahr nichts in Ordnung.

Bleibt die Frage nach der Zukunft. Von dem Dutzend an Gründungsmitgliedern ist ein Quartett übrig geblieben. Die Loschkos sind 63 und 59 Jahre alt; ihre Kinder, selbst längst erwachsen, helfen bei Veranstaltungen aus, haben aber mit Projektarbeit nichts am Hut. Wie das so ist mit den eigenen Kindern. Der Versuch, den Jugendgemeinderat in Horb anzugraben läuft. Dabei wissen die Loschkos: Die müssen von selbst kommen. Die paar pro Jahrgang, die nicht einverstanden sind oder die einfach eine Kneipe suchen, in der sie unter ihresgleichen sind, wird es immer geben.

Da war er 28 und noch kein deutscher Kabarettstar:Claus von Wagner im Januar 2006 im Kloster.

Da war er 28 und noch kein deutscher Kabarettstar: Claus von Wagner im Januar 2006 im Kloster.

Da war die Kunst noch weit weg:das Horber Kloster 1910 (hinten; obendie Ansicht heute), davor das später abgebrochene Sudhaus (mit rauchendem Kamin) am Malz- und Gärkellergebäude,das heute Künstlerhaus ist.

Da war die Kunst noch weit weg:
das Horber Kloster 1910 (hinten; oben
die Ansicht heute), davor das später abgebrochene Sudhaus (mit rauchendem Kamin) am Malz- und Gärkellergebäude,
das heute Künstlerhaus ist.

Das System kann uns mal

Das System kann uns mal

Die Kneipeim Kloster betreiben die Projekt-Zukunft-Leute selbst.Die Küche ist übrigens biozertifiziert.

Die Kneipe im Kloster betreiben die Projekt-Zukunft-Leute selbst.
Die Küche ist übrigens biozertifiziert.

Zum Artikel

Erstellt:
23.06.2017, 08:30 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 50sec
zuletzt aktualisiert: 23.06.2017, 08:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!