Escape Room · Eine Stunde unter Strom

Das Schönbuchhotel vermietet Zimmer, in denen Gäste rätseln, wo der Schlüssel zur Freiheit steckt

Der Gast aus Zimmer zwei hat eingecheckt. Richtig wohl ist niemand dabei: Seine wahre Identität lässt der Unbekannte im Dunkeln. Stattdessen ordnet „Mister Morph“ ausdrücklich an, das Zimmer nicht zu reinigen. Und: „Der Gast hat ohne unser Wissen eine Alarmanlage installiert“, erklärt Bastian Schenk sachlich. Innerhalb einer Stunde muss sie entschärft werden.

22.04.2017

Von Christine Laudenbach

Der Herr der Rätsel: Spielemacher und erklärter Fan von Live Escape Rooms, Bastian Schenk. Bilder: Metz

Der Herr der Rätsel: Spielemacher und erklärter Fan von Live Escape Rooms, Bastian Schenk. Bilder: Metz

Viel mehr als diese kurze Einführung gibt es nicht als Rüstzeug mit auf den Weg zum Escape Room. Eine kleine Aufmunterung hat der Eventmanager dann aber doch noch, bevor er die Vierertruppe in Morphs Zimmer schiebt und gewissenhaft die Tür hinter ihnen schließt: „Es kann Ihnen nichts passieren.“

00:60:00

Das Spiel beginnt. Der fensterlose Raum wirkt unpersönlich, fast bedrückend. Grauer Teppichboden, weißes Mobiliar. Auf Schreibtisch, Schrank, Regale fällt schummriges Licht. An der Wand hängt eine Jacke. Was sofort ins Auge springt: Die Zeit auf dem Monitor tickt in grellen Ziffern rückwärts. Gegen sie heißt es anzukämpfen – im besten Fall gemeinsam. Um den richtigen Schlüssel für die Alarmanlage zu finden, gilt es versteckte Hinweise aufzustöbern und Codes zu knacken; Ergebnisse zu kombinieren. Der Knackpunkt: Die Arbeit im Team ist gefragt, bei der jeder Einzelne mit seinen Stärken glänzen kann. Dabei seien keineswegs nur die Alpha-Tiere gefragt, sagt Schenk: Stille Beobachter, die sich lange scheinbar nicht am Spiel beteiligten, lieferten oft gar den entscheidenden Hinweis. Sozusagen aus dem Off. Wer wie agiert, beobachten die Teamclou-Spielemacher über zwei Kameras, die das Geschehen live übertragen. Gespeichert werde nicht.

Für die schlichte Einrichtung hat sich Schenk Agentur bewusst entschieden. Viele Anbieter im In- und Ausland arbeiten mit diversem Schnickschnack. Aber: „Deko frisst nur Zeit“, ist auch Hotel-Chef Maik Hörz überzeugt. Gemeinsam mit Bastian Schenk taucht er immer wieder in fremde Escape Rooms ab. Zudem muss der Raum nach dem Spiel immer sorgfältig aufgeräumt werden. Mister Morphs Zimmer ist nach rund fünf Minuten wieder startklar, sprich alle Schlüssel und Rätsel liegen versteckt auf ihrem Platz. Sollten übrigens zwei Gruppen direkt hintereinander in die Teamclou-Arena, empfiehlt Schenk ausdrücklich, nichts auszuplaudern: Wer weiß, was wo zu finden ist, verderbe sich den Spaß.

00:44:34

Nina arbeitet sich tapfer und konzentriert an 50 Puzzleteilen ab. Dennis geht systematisch die zahlreichen Schließfächer durch. Vielleicht lässt sich eines ja einfach so öffnen? Die Zusammenarbeit der zwei Reutlinger mit dem TAGBLATT-Duo klappt gut. Und das, obwohl das Quartett erst fürs Spiel zusammenfand – eine eher ungewöhnliche Variante, wie Schenk bestätigt. Üblicherweise kennen sich die Teilnehmer. Rund 90 Prozent seien Firmenkunden. Meist knobelten zwei bis sechs Kollegen miteinander. Im Anschluss werde dann analysiert: Wie funktioniert das Team? Wer sollte an was arbeiten? Auch mit neuen Varianten liebäugeln Schenk und Hörz: mit Blind Dates beispielsweise, bei dem sich zwei Menschen auf der Suche nach dem Schlüssel zur Freiheit näherkommen sollen.

Der entscheidende Hinweis, soviel ist nach knapp 15 Minuten jedenfalls dem Team Tübingen-Reutlingen klar, lässt sich nur über Umwege finden. Dass in jeder der vielen verschlossenen Kassetten ein Schlüssel oder wenigstens ein wichtiges Helferlein schlummert, liegt nahe. Aber was soll mit den bunten Smarties auf dem Schreibtisch passieren? Aufessen? Oder den Zahlenkolonnen an der Wand? Auswendig lernen?

00:38:17

Die Schlösser des silbernen Aktenkoffers sind und bleiben zu. Wenigstens ist mittlerweile das Puzzle komplett, auch wenn dessen Botschaft nicht unbedingt den entscheidenden Durchbruch liefert. Die Spielemacher haben ein Einsehen. Wenn sie über die Kameras registrieren, dass es stockt im Escape Room, schicken sie via Monitor ein Zeichen – und bringen die etwas resignierte Truppe damit wieder auf Touren. Plötzlich läuft’s. Nach mehreren Fehlversuchen lässt sich jetzt sogar der Tresor öffnen. Im Innern: ein Schlüssel (was sonst?). Nur wofür? An die Alarmanlage passt er nicht.

00:19:14

Zeit für eine Bilanz: „Was ist noch zu?“, fragt Dennis. Immer noch der Koffer und zwei Schlösser. Gut, dass nicht auch noch mit dem Nachbar-Zimmer kommuniziert werde muss. Im nächst höheren Level wird der Nebenraum mitgebucht und gemeinsam mit einem zweiten Team der Weg nach draußen entschlüsselt.

Das Angebot der Event-Agentur im Pliezhäuser Schönbuchhotel kommt gut an. 30 bis 60 Anmeldungen können Bastian Schenk und sein Partner Moritz Bordt monatlich verbuchen. In den beiden Escape Rooms sei zwar „alles computergesteuert“, sagt Schenk, gespielt wird „aber tatsächlich live“. Die beiden 32 Jahre alten Unternehmer haben sich bei Teamclou bewusst „gegen die virtuelle Brille entschieden“ – auf die viele andere Anbieter setzen. Als vor einigen Jahren die Spielidee vom Computerbereich in real existierende Escape Rooms schwappte, fanden Schenk und Bordt „den Grundgedanken, vom virtuellen Spiel zurückzufinden“, gut. Ebenfalls aus virtuellen Sphären (und aus Varianten vor allem im Ausland) speist sich ein Vorurteil, das den beiden Eventmanagern zu schaffen macht: „Die Leute haben Angst.“

Aus Mister Morphs Zimmer sei bislang noch jeder von alleine wieder herausgekommen, sagt Schenk – beziehungsweise fast jeder, korrigiert Hörz. Eine Junggesellenabschiedstruppe habe tatsächlich – trotz 20 Tipps vom Spielemacher – einmal versagt. Und dabei sei kein Alkohol im Spiel gewesen, betont er.

Dass die Smarties aufgegessen wurden, sei hingegen schon öfter passiert – obwohl dies, so viel sei verraten, nicht ihre Mission ist.

00:04:11

Ein lauter Rumms – und plötzlich ist alles ganz einfach. Die Tür geht auf, die Uhr bleibt stehen. Der Code ist tatsächlich geknackt – Mister Morph ist längst über alle Berge.

Die Tür zur Freiheit.

Die Tür zur Freiheit.

Gästezimmer zum Spielen: Escape Rooms in Hotels

Der Hype um Live Escape Rooms boomt weltweit. Seinen Ursprung hat das „reale Abenteuerspiel“ in Japan und den USA. Nach Europa schwappte die Idee 2011 über Ungarn, wo sich Spieler aus Budapester Ruinenkellern in die Freiheit rätseln mussten.

2013 kopierten erstmals deutsche Anbieter in München und Berlin die Idee. Das erste deutsche Hotel mit Live Escape Räumen steht in Pliezhausen:  Ende 2015 nahm Hotelier Maik Hörz gemeinsam mit der Agentur B&S Event die beiden Spielräume im Schönbuchhotel in Betrieb.

Sie investierten rund 40000 Euro und modelten ungenutzte Sanitärräume um. Von dem Angebot im Hotel profitieren unter der Woche besonders Tagungsgäste und Firmenkunden. Privatgäste checken meist am Wochenende im Escape Room ein.
Eine Stunde Teamclou-Spiel kostet bei zwei bis sechs Personen knapp 100 Euro. Für beide Räume – inklusive Teambuilding-Elementen – werden rund 416 Euro berechnet (12 Personen).

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Erstellt:
22.04.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 03sec
zuletzt aktualisiert: 22.04.2017, 01:00 Uhr

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