Herzschlag im Bass

Das Minetti Quartett spielt auf dem Vielklang-Festival in der Alten Anatomie

Minetti? Ja, der Charakterdarsteller Bernhard Minetti, dem Thomas Bernhard ein eigenes, gleichnamiges Theaterstück auf den Leib geschrieben hat. Zur Musik kam Minetti hier als Hommage an Thomas Bernhard: Der dekonstruktivistische Dramatiker lebte bis zu seinem Tod 23 Jahre lang in Obernathal nahe dem Geburtsort Ohlsdorf der beiden Quartett-Geigerinnen Maria Ehmer und Anna Knopp.

04.08.2016

Von Achim Stricker

Tübingen. Ein junges, aufstrebendes Ensemble, das mit Pianist Till Fellner oder Klarinettist Martin Fröst konzertiert. Gegründet wurde es tatsächlich schon 2003 an der Wiener Universität für Musik und ist in Wien beheimatet, seit 2011 in der aktuellen Besetzung mit Bratscher Milan Milojicic.

Ein deutlich vom Cello her geprägter Ensembleklang: Cellist Leonhard Roczek – energetischer Motor und gestalterischer Herzschlag des Quartetts – hat alles achtsam im Blick und im Ohr, gibt Impulse, atmet die Phrasen der anderen mit, stimmt seine Farb- und Tongebung sensibel auf den Gesamtklang ab.

Vielklang-Intendant Felix Thiedemann hat das weltweit gefragte Ensemble nach Tübingen geholt. Rund 110 Zuhörer waren am Dienstag im steil ansteigenden Großen Hörsaal der Alten Anatomie. Dämmrig verdunkelt, mit Sonnenblumen in einer Bodenvase und einer heimelig warm leuchtenden Stehlampe im Halbkreis der Notenständer milderte sich auch der Anblick des gekachelten Anatomiesaals etwas.

Joseph Haydns „Sonnenquartett“ f-moll op. 20/5 hatte eine geradezu Beethovensche Größe und Würde. Mit der Saalakustik kamen die Vier problemlos zurecht, ihr Klang war so substanzreich wie transparent. Ein geschmackvoll kultivierter, tragfähiger Klang, weder romantisch überhöht noch neusachlich ausgedünnt. Eine kontinuierliche Entwicklung von Farben und Spannungen, die auch über Pausen hinweg trug. Die vier Partien griffen symbiotisch ineinander, wobei das Cello gestalterisch der rote Faden blieb, der sich durchs gesamte Programm zog: mit dem stärksten und variabelsten Ausdruck, dem packendsten und zugleich differenziertesten Zugriff.

Die Qualitäten des Ensembles zeigten sich am deutlichsten in Haydns Finale, einer gelehrten Doppelfuge: ein graphisch feingezeichnetes kontrapunktisches Gefüge, der Schlussakkord mit geeintem Bogenstrich wie auf einem einzigen Instrument. Gleich begeisterter Beifallsjubel.

Claude Debussys Quartett g-moll op. 10 wirkte so natürlich wie diesseitig, vorwärtsdrängend expressionistisch, dafür aber auch ohne süßliches Parfum. Grandios das Scherzo mit seinen komplex gegenläufigen Rhythmen, den flirrenden Tremoli im dreifachen Pianissimo und perfektem Pizzicato: voll und rund und hell. Auch sehr schön und nicht zu gläsern das Andantino, ein Serenaden-Intermezzo mit Mondstrahl-Akkorden und höhensicherer erster Violine.

Bei Ludwig van Beethovens Es-Dur-Quartett op. 127 hätte die Primgeige gestalterisch präsenter und auffälliger hervortreten dürfen, vor allem im Adagio. Rhythmisch und metrisch präzise, gefielen die gekonnt organischen Tempowechsel und die plastischen Forte-piano-Kontraste des Ensembles. Bemerkenswert derb und urwüchsig die volksmusikantischen Anklänge im Finale. Die aufgeräumt charmante Zugabe war die g-moll-Canzonetta aus Mendelssohns Quartett op. 12.