Tübingen

Das Landesamt verharrt im Kalten Krieg

Kommentar: Der Verfassungsschutz beobachtet den Altkommunisten Gerhard Bialas

23.08.2019

Von ran

Die Beharrlichkeit, mit der sich der Landesverfassungsschutz der Überwachung des Tübinger Altkommunisten Gerhard Bialas widmet, mutete schon immer merkwürdig an. Der frühere Gärtnermeister im Botanischen Garten der Universität und Hobbyimker ist einer der beliebtesten Tübinger Kommunalpolitiker. Bis 2005 gehörte er drei Jahrzehnte dem Gemeinderat und zwei Jahrzehnte zusätzlich dem Kreistag an. Als er bei der Kommunalwahl Ende Mai dieses Jahres mehr symbolisch auf dem letzten Listenplatz der Linken kandidierte, hievten ihn gut 6000 Stimmen hoch auf Platz 10. Es hat nicht viel gefehlt, und der Senior wäre ungewollt wieder Stadtrat geworden.

Stolz auf seine Überzeugung

Gerhard Bialas ist nun 88 Jahre alt, und der Landesverfassungsschutz dokumentiert noch immer, was bei der Beobachtung der DKP an Informationen über ihn abfällt. Das dürfte kein allzu schwieriges Unterfangen sein. Es genügt eine Schere, um die Leserbriefe des agilen Rentners aus dem TAGBLATT auszuschneiden – oder die elektronische Suchfunktion auf unserer Homepage. Mit seiner politischen Überzeugung hielt Gerhard Bialas nie hinter dem Berg. Er ist stolz darauf, zu den ältesten noch lebenden Mitgliedern der 1956 verbotenen KPD zu gehören. Bei den 1. Mai-Kundgebungen auf dem Tübinger Marktplatz bietet er mit seiner Frau Christa bis heute regelmäßig rote Nelken an.

Vielleicht erklärt sich das anhaltende Interesse des Landesverfassungsschutzes an Bialas einfach durch einen ebenfalls gealterten Mitarbeiter, der beschäftigt werden muss. Vielleicht aber auch damit, dass es so viel schwerer wäre, statt an Bialas an Islamisten oder gewaltbereiten Neonazis dranzubleiben. Eher aber wohl durch eine offenbar unveränderliche Sicht der Sicherheitsbehörden: Der Feind steht links – dort, wo das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage gestellt und Umverteilung gefordert wird.

Hoher Aufwand

Um das zu begründen, bedient sich der Verfassungsschutz folgender, auf seiner Homepage nachzulesender Argumentation: Eigentlich schreibe das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschafts- und Sozialordnung vor. Sein Kernbestand, die freiheitliche demokratische Grundordnung, werde jedoch nicht zur Disposition gestellt. Linksextremisten wollten nicht nur das Wirtschaftssystem vollständig umgestalten, sondern auch die freiheitliche Demokratie beseitigen. An ihrer Stelle solle eine „klassenlose“ Gesellschaft errichtet werden, „entweder im Rahmen einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung oder durch die Einführung der Anarchie“.

Daher macht sich offenbar linksextremistischer Umtriebe verdächtig, wer auch immer die Profitgier etwa bei Rüstungsgeschäften oder die Ausbeutung von Mensch und Natur hinterfragt.

Doch weshalb kapriziert sich der Verfassungsschutz ausgerechnet auf die DKP? Das Landesamt rechnet ihr in Baden-Württemberg weniger als 500 Mitglieder zu – mit sinkender Tendenz. Sollte die DKP überhaupt je eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewesen sein: Seit dem Untergang der DDR ist sie es gewiss nicht mehr.

„Trotz der Niederlage des ‚real existierenden Sozialismus‘ orientiert sich die DKP weitgehend unverändert am klassischen Marxismus-Leninismus ehemals sowjetischer Prägung“, heißt es dennoch auf der Homepage des Innenministeriums. Selbst wenn das angesichts der vom Verfassungsschutz dokumentierten Richtungsauseinandersetzungen in der Partei zuträfe: Rechtfertigt das den hohen Aufwand, sie im Auge zu behalten?

Offenbar ging das Ende des Kalten Krieges am Verfassungsschutz vorbei. Im Fall Bialas läuft er Gefahr, sich mit der Beobachtung zweier eiserner Hochzeiter an die Neunzig zu blamieren.