Pep Guardiolas hyperaktive "Nachspielzeit": Nachhilfeunterricht auf dem Platz für 21-jährigen Senkrechtstarter

Das Kimmich-Phänomen

Ein Fußballspiel kann auch ohne Tore eine spektakuläre Sache sein. Das 0:0 zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern war ein Duell auf hohem Niveau mit einem Hauptdarsteller: Joshua Kimmich.

07.03.2016

Von THOMAS GOTTHARDT

121 Ballkontakte und die beste Passquote im Bayern-Team: Joshua Kimmich, der ehemalige Stuttgarter VfB-Nachwuchsspieler, im Duell mit Marco Reus. Foto: dpa

121 Ballkontakte und die beste Passquote im Bayern-Team: Joshua Kimmich, der ehemalige Stuttgarter VfB-Nachwuchsspieler, im Duell mit Marco Reus. Foto: dpa

Dortmund. Joshua Kimmich ist gerade in einer beneidenswerten bis bemitleidenswerten Situation: Egal, was er macht, er steht im Fokus.

Nach dem 2:2 im Achtelfinale der Champions League bei Juventus Turin, als der 21-jährige Profi des FC Bayern München bei beiden Gegentoren seine Füße mit im Spiel hatte, sprangen ihm seine Teamkollegen zur Seite und sorgen dafür, dass der gebürtige Rottweiler nur ganz kurz den Kopf hängen ließ und sich die Kritik in Grenzen hielt.

Beim 0:0 am Samstagabend in Dortmund machte Joshua Kimmich seine Sache in seinem 16. Bundesliga-Spiel sehr gut, kassierte aber von Bayern-Trainer Pep Guardiola gleich wenige Sekunden nach dem Schlusspfiff noch auf dem Platz einen lupenreinen Anschiss - so schien es jedenfalls zunächst.

Der Anschein ergab sich aus den Umständen, denn Guardiola hatte sich auch Medhi Benatia gestenreich vorgeknöpft. Und wenn Guardiola dieses Gespräch im Nachhin-ein als "Liebeserklärung" an den kurz vor Schluss eingewechselten Marokkaner interpretiert hätte, dann wäre das so ähnlich gewesen, als hätte der Spanier behauptet, der Ball sei eine Scheibe.

Guardiolas Mittelkreis-Ansprache in Richtung Kimmich inklusive Umarmung und Liebkosung entpuppte sich jedenfalls im Laufe des Abends als etwas ungewöhnlich verpacktes dickes, fettes Lob für dessen Auftritt. Es solle doch bitte schön niemand mehr behaupten, Kimmich sei kein Innenverteidiger, deklarierte der Katalane und fuhr fort: "Großes Kompliment an Joshua. Ich liebe diesen Jungen. Er hat Leidenschaft. Er hat absolut alles." Da auch das Objekt der Lobhudelei an dem Gespräch nichts Verwerfliches fand ("Er kritisiert öfters und ist nie zufrieden und will immer das Maximum aus einem rausholen - das finde ich super"), muss es sich wohl so abgespielt haben.

Bundestrainer Joachim Löw, Augenzeuge dieser Partie, wird Guadiolas Worte durchaus als Empfehlung verstanden haben. Kimmich, der aus der Stuttgarter Jugend kommt und den der VfB über den Umweg RB Leipzig hat ziehen lassen, agierte abgeklärt. 121 Ballkontakte, die beste Passquote im Team (94 Prozent) und die zweitbeste Zweikampfbilanz (64 Prozent) standen statistisch zu Buche - ein Fall für das Notizbuch des Bundestrainers. Das war nur eine kleine ungewöhnliche Begebenheit an diesem Abend vor 81 000 Zuschauern im ausverkauften ehemaligen Westfalenstadion. Alleine Guardiolas hyperaktiv gestaltete Nachspielzeit zeugte von dem Druck, unter dem der Bayern-Trainer und wohl auch die Mannschaft vor dem Mega-top-top-Duell gestanden hatte. Der ohnehin immer an der Seitenlinie wild gestikulierende Guardiola gestikulierte dieses Mal noch wilder. Thomas Tuchel, der Dortmunder Coach, ist in dieser Hinsicht bereits in die Fußstapfen seines spanischen Kollegen getreten. Unaufhörlich auf Achse in seiner Zone, nur war dessen Körpersprache insgesamt positiver als die Pep Guardiolas, der doch immer wieder seine Unzufriedenheit darstellte.

Dabei boten die 90 Minuten, auch wenn eben keine Tore gefallen sind, Unterhaltung pur. Und das nicht nur für Taktik-Freaks. Torchancen zwar nicht in Hülle und Fülle, aber wenigstens in solcher Menge, dass beide Torhüter, Manuel Neuer etwas weniger als Roman Bürki, sich auszeichnen konnten. Taktisch agierten beide Teams in den ersten 30 Minuten ähnlich. Fokus auf die Abwehr, zum Teil mit einer Fünfer-Defensivreihe. Aus der Balleroberung schnelle Konter, meistens über die Flügel. Wobei die Münchner den Gegner durch einige misslungene Aktionen, zum Beispiel leistete sich Philipp Lahm in der ersten Halbzeit einige Fehlpässe und Ballverluste, immer wieder zu überfallartigen Offensivattacken einluden.

In den ersten Minuten der zweiten Halbzeit ging es erstmal nicht um Taktik, sondern ums schlichte Überleben. Da, wo der Ball war, kam es in einem überaus fairen Spiel, zu einer Rudelbildung. Der Weg des Balles folgte dem Zufallsprinzip. Bis dann die Münchner den Tabellenzweiten förmlich niedergerungen hatten und dann bis zum Schlusspfiff ihre Dominanz auf den Platz brachten. Nur das Tor fehlte und damit wohl die Entscheidung in der Meisterschaft. Aber es wird auch so reichen.