Tübingen · Universität

Das Fremde verstehen

Einer der bedeutendsten Phänomenologen: Der Philosoph Bernhard Waldenfels erhält in diesem Jahr den Leopold-Lucas-Preis der Universität Tübingen.

08.04.2021

Von ST

Der Dr.-Leopold-Lucas-Preis der Universität Tübingen geht in diesem Jahr an den Philosophen Bernhard Waldenfels. Das Vergabekomitee würdigt damit sein Werk, das die Bedingungen und Möglichkeiten des Verstehens von Fremdem auslotet. Der mit 50 000 Euro dotierte Preis wird jährlich von der Evangelisch-Theologischen Fakultät verliehen. Die Preisverleihung wird, wie schon im Vorjahr, wegen der Corona-Pandemie auf das kommende Jahr verschoben. 2022 werden dann drei Preisträger geehrt.

Der 87 Jahre alte Bernhard Waldenfels ist emeritierter Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er gehört zu den bedeutendsten Autoren im Bereich der zeitgenössischen Phänomenologie. Sein Werk, das mehr als 20 Bände umfasst, widmet sich hauptsächlich der Entwicklung einer „Phänomenologie des Fremden“. Waldenfels gelingt es nach Ansicht der Jury, die „Kategorie“ der Alterität, also des kulturellen Andersseins, durch die Perspektive der Fremdheit neu zu lesen. „Er stellt sich der Herausforderung, einen phänomenologischen Diskurs zu entwickeln, mit dem sich erfassen lässt, inwiefern sich das Fremde im instabilen und pluralistischen Terrain der Erfahrung auf eine authentische Weise offenbart und dadurch erkennbar bleibt.“

Im Werk des Philosophen spielt die jüdische zeitgenössische Philosophie eine besondere Rolle. Sie führte ihn zur Bedeutung des „radikalen Gesprächs“: Dieses bezieht das Fremde als eigenen Faktor des Verstehens ein. Aus dieser Perspektive des Fremden hat sich Waldenfels‘ Philosophie im Zeichen eines Dialogs zwischen philosophischen Traditionen Europas entwickel.

Der Leopold-Lucas-Preis ist der wichtigste Preis der Tübinger Uni und zeichnet Menschen aus, deren Werk die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern fördert und die sich um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. Der Preis wurde 1972 zum Gedenken an den jüdischen Rabbiner Dr. Leopold Lucas gestiftet, der 1943 in Theresienstadt als Opfer des NS-Staates starb.