Mathematik

Das Tübinger Fass und Keplers Formel

1615 hatte Johannes Kepler einen Weg gefunden, ein Fassvolumen zu berechnen. Jetzt testete Robert Lutz die Formel am Tübinger Fass und – siehe da – sie stimmt!

09.01.2019

Von Christina Häfele & Ernst Seidl

Das Tübinger Fass fasst knapp 84 Kubikmeter. Und so sieht es im Inneren aus – mit der Stützkonstruktion, die ihm einen Teil des Volumens nimmt.Bild: Ulrich Metz / MUT

Das Tübinger Fass fasst knapp 84 Kubikmeter. Und so sieht es im Inneren aus – mit der Stützkonstruktion, die ihm einen Teil des Volumens nimmt.Bild: Ulrich Metz / MUT

Im Jahr 1615 entwickelte der Tübinger Alumnus, Mathematiker und Astronom Johannes Kepler seine „Fassregel“ – eine Formel, mit der das Volumen gekrümmter Hohlräume errechnet werden kann. Der Tübinger Gästeführer und pensionierte Studiendirektor Dr. Robert Lutz wandte nun Keplers Fassregel auf das Tübinger Riesenfass auf Schloss Hohentübingen an – und kam zu einem verblüffenden Ergebnis.

Es war eine ganz alltägliche Situation, die für Johannes Kepler den Anstoß gab, sich mit der Volumenbestimmung von Weinfässern zu beschäftigen. Im Jahr 1613 hatte er nach schweren Schicksalsschlägen in den Jahren zuvor zum zweiten Mal geheiratet und fühlte sich aus diesem Grund – wie er selbst berichtet – verpflichtet, als guter Gatte und Ehemann etliche Fässer Wein anzuschaffen. Dabei beobachtete Kepler, wie ein Weinhändler eine äußerst unzuverlässige Methode zur Bestimmung des Fassvolumens und damit auch des Preises des Weins anwandte.

Damals war es üblich, das Volumen von Fässern mit der Visiermethode zu bestimmen. Dazu wurde eine geeichte Messrute schräg in das Spundloch, also die Öffnung in der Mitte des Fasses, gesteckt, die Länge des Stabteils innerhalb des Fasses gemessen und daraus das Volumen berechnet. Dieses Verfahren berücksichtigte jedoch nicht, dass Fässer unterschiedliche Proportionen haben konnten.

Kepler suchte nach einer allgemeingültigen Methode zur Volumenbestimmung und veröffentlichte seine Ergebnisse 1615 unter dem Titel „Nova stereometria doliorum vinariorum“, also „Neue Stereometrie der Weinfässer“. Das Werk knüpfte zwar an antike Überlegungen zu diesem Thema an, wie etwa diejenigen von Archimedes, wartete dabei aber auch mit entscheidenden und bedeutenden Neuerungen auf. So setzte Kepler als Erster die sogenannte infinitesimale Methode in der Geometrie ein – wandte also den Begriff des unendlich Kleinen an. Im Prinzip dachte sich Kepler ein Fass durch eine unendliche Anzahl von anderen Körpern zusammengesetzt, deren Volumina sich bestimmen ließ.

Keplers Fassregel ist ein Näherungsverfahren, mit dessen Hilfe sich das Volumen von Fässern ohne Kenntnis der Integralrechnung, also der zuverlässigen Berechnung von Volumen, bestimmen lässt. Die Integralrechnung wurde erst am Ende des 17. Jahrhunderts von Leibniz und Newton entwickelt.

Die Keplersche Fassregel besagt, dass ein Fass der Höhe h und der Querschnittsfläche q (an drei Stellen gemessen) etwa folgendes Volumen hat:

Das Tübinger Fass und Keplers Formel

Hierbei ist q(0) die Fläche des Bodens, q(h) des Deckels und q(h/2) die Schnittfläche der Mitte des Fasses; h gibt die Länge beziehungsweise die Höhe des Fasses an.

Eine der Schwierigkeiten bei der Berechnung des Volumens eines Fasses ist dessen spezifische Form: Die Fassdauben sind gewölbt, das heißt ein Fass ist unten schmal, in der Mitte breit und oben wieder schmal.

Keplers Regel geht zunächst von der vereinfachenden Annahme aus, das Fass wäre ein simpler Zylinder, die seitlichen Ränder wären also gerade statt gewölbt. Das Volumen eines solchen Körpers lässt sich besser berechnen, denn hier wären die Querschnittsflächen an jeder Stelle exakt gleich groß. Um aber die Wölbung der Seiten zumindest annäherungsweise zu berücksichtigen, gewichtete Kepler die drei Querschnittsflächen im Verhältnis 1:4:1.

Das Metzinger Ingenieurbüro für Hausforschung unter Federführung von Hans-Jürgen Bleyer hat sich neben der dendrochronologischen Altersbestimmung 2017 auch intensiv mit der Geometrie des Weinfasses im Keller von Schloss Hohentübingen befasst. Darum stehen die wesentlichen Daten zur Berechnung des Volumens nach Kepler zur Verfügung: Der Durchmesser an beiden Enden beträgt 3,76 Meter, in der Mitte 4,34 Meter und die Länge beläuft sich auf 6,32 Meter. Dies sind die für die Volumenberechnung relevanten Innenmaße. Die Fläche eines Kreises, also die Querschnittsfläche q des Fasses, kann man mit der Formel q = p x Radius² berechnen. Vom Durchmesser zum Radius kommt man mit Radius = Durchmesser/2. Daraus folgt q = p x Durchmesser²/4. Das Volumen eines Zylinders lässt sich ebenfalls berechnen: V = Länge x Querschnittsfläche.

Mit diesen Formeln und der Gewichtung 1:4:1 ergibt sich die Keplersche Fassregel, in die sich die Messdaten und die Konstante p (p 3,14) einsetzen lassen: V = 6,32 x (1 x 3,14 x 3,76² / 4 + 4 x 3,14 x 4,34² / 4 + 1 x 3,14 x 3,76² / 4) / 6 = 6,32 m x 13,56 m² = 85,70 m³.

Das „Große Fass“ im Tübinger Schlosskeller wurde 1549 hergestellt. Die Datierung entspricht nicht nur dem neuen dendrochronologischen Gutachten von Hans-Jürgen Bleyer, sondern sie entspricht exakt dem Eintrag in einem Rechnungsbuch der Jahre 1549/50, das Dr. Edgar Bierende vom Museum der Universität Tübingen MUT im Landesarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart mit der Signatur A 256, Bd. 34, entdeckte. Dort wird von der Zahlung an Meister Simon Binder, dem Erbauer des Riesenfasses, für das Tübinger Exemplar berichtet.

Schenkt man den zeitgenössischen Quellen Glauben, so wurde das Fass mit 286 Württembergischen Eimern befüllt. Ein Württembergischer Eimer ist ein altes Hohlmaß und entspricht 293,3 Litern. Bei der Berechnung des Fassungsvermögens des Fasses nach diesen Angaben kommt man auf 293,3 Liter x 286 = 83 883,8 Liter, was knapp 84 Kubikmetern entspricht.

Betrachtet man nun das Innere des Fasses, so ist festzustellen, dass sich etwa in dessen Mitte eine Stützkonstruktion aus sich kreuzenden Balken befindet. Diese Konstruktion soll verhindern, dass die etwa 6,8 Meter langen Fassdauben im Falle der Austrocknung sich lockern und durchhängen oder aber beim Spannen der äußeren Fassringe die Fassdauben aufgrund ihrer Länge nach innen gedrückt werden. Und diese Konstruktion hat natürlich auch ein gewisses Volumen, das vom errechneten Gesamtvolumen abzuziehen ist. Ohne diese Stützkonstruktion hätte man mehr Wein einfüllen können, der Wert wäre also größer als 84 m³ gewesen. Die Keplersche Fassregel liefert somit ein wirklich exzellentes Ergebnis, wie der Tübinger Dr. Robert Lutz errechnete.

Diesen Beitrag verfassten MUT Mitarbeiterin Christina Häfele und ErnstSeidl, Direktor des MUT

Das Riesenfass im Keller von Schloss Hohentübingen ist zwar nicht das größte, aber wahrscheinlich das älteste Riesenfass der Welt. Hier geht's zum Vollbild des 360-Grad-Panorama.

Wie sich das Fass besichtigen lässt

Das Tübinger Riesenfass ist in diesem Winter noch bis zum 15. März im Keller von Schloss Hohentübingen mit Sonderführungen des MUT für individuelle Besucher wie auch für Gruppen zu besichtigen. Individuelle Führungszeiten: Mittwoch und Donnerstag um 16 Uhr; Freitag, Samstag und Sonntag 14 und 15 Uhr. Kosten pro Person betragen: 3 Euro zzgl. Eintritt (5, 3 oder 0 Euro); für die Gruppe Erwachsener: 50 Euro zzgl. Eintritt; Gruppe Schüler: 50 Euro inklusive Eintritt. Tickets bei www.fassticket.de oder an der Kasse des MUT. Zudem können Gruppenführungen zu anderen Uhrzeiten gebucht werden, Telefon 07071/2977579, E-Mail: museum@uni-tuebingen.de .

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Erstellt:
09.01.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 16sec
zuletzt aktualisiert: 09.01.2019, 01:00 Uhr

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