Tübingen · Politischer Film

Das Erbe der Sonnenblumen

Die Regisseurin Yue Fu stellte in Tübingen ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „Our Youth in Taiwan“ vor.

18.06.2019

Von Dorothee Hermann

Yue Fu. Bild: Dorothee Hermann

Yue Fu. Bild: Dorothee Hermann

Yue Fu ist eine ungewöhnliche Filmemacherin. Sie interessiert sich dafür, was soziale Bewegungen und die Zivilgesellschaft in einem erdrückenden politischen Umfeld bewirken. Aktuell findet die 37-Jährige die Massenproteste in Hongkong gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz an China sehr ermutigend. Dass zwei Millionen Menschen auf die Straße gehen, habe sie noch nie erlebt, sagte Yue Fu am Montagabend im nahezu vollbesetzten Kino Arsenal, wo sie ihre Dokumentation „Our Youth in Taiwan“ über die Sonnenblumen-Bewegung in Taiwan 2014 präsentierte. Mitgastgeber waren die Uni Tübingen, das European Research Center on Contemporary Taiwan und das Overseas Center der Chiang-Chingkuo-Stiftung für internationalen akademischen Austausch.

Ihren Film, mit dem sie derzeit durch Europa tourt (nächste Station nach Tübingen ist London), versteht Fu als Plattform für die Zivilgesellschaft in China, Taiwan und Hongkong. Sie ist überzeugt, dass eine breite Demokratisierung erst dann in Gang kommt, wenn der Widerstand sich nicht mehr auf bestimmte Anlässe beschränkt, sondern allgegenwärtig und unausweichlich wird, beispielsweise auch in Form von Streiks bei der Arbeit, sagte sie.

Die Zivilgesellschaft in Hongkong sei vielleicht schon reifer als die in Taiwan, meinte Fu, denn sie funktioniere auch ohne Führungspersönlichkeiten. Das muss sie auch: „Weil die alle schon im Gefängnis sitzen.“

Der Film folgt zwei Protagonisten der Sonnenblumen-Bewegung durch die aufregenden Tage 2014, als die Protestierenden sogar das Parlamentsgebäude in Taipeh besetzten: Der eine ist der Soziologiestudent Chen Wei-Ting, geboren 1990 in Taiwan, der damals auch aufgrund seines „Fuck the government“-T-Shirts bekannt wurde. Cai Boyi, geboren 1992, kam vom chinesischen Festland zum Studium nach Taipeh. Ausgerechnet sie als Chinesin wurde Vorsitzende der ersten taiwanesischen Studierendenvereinigung.

Die von Studierenden angeführten Sonnenblumen-Proteste richteten sich vor allem gegen ein Handelsabkommen mit China, aber auch gegen Zwangsenteignungen, Fusionen von Medienunternehmen mit chinesischen Firmen und illegale Bauprojekte. Auch für Naturschutz setzten sie sich ein. Die Aktivisten erinnerten öffentlich an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. „Wir zeigen, dass sich jemand daran erinnert. Dass sich Menschen interessieren für die Menschenrechte in China“, sagt Cai Boyi im Film.

Anfangs setzte die Filmemacherin große Hoffnungen in die beiden Protagonisten. Sie stellte sich vor, Menschen aus China, Taiwan und Hongkong würden sich zusammentun und etwas gegen die chinesische Politik unternehmen. Aber letztlich habe sich nichts verändert, und als die beiden scheiterten, fühlte die Filmemacherin sich machtlos. Sie habe eigene Erwartungen auf andere projiziert, meinte sie. Chen Wei-Ting fiel wegen sexueller Belästigung auf. Cai Boyi konzentrierte nicht mehr auf die Politik, sondern ganz auf ihr Studium.

Ein Tübinger Zuschauer, der 2017/2018 selbst ein Studienjahr in Taipeh verbrachte, hat dort nichts von der Sonnenblumen-Bewegung gehört. Dazu sagte Fu: „Es ist erst fünf Jahre her, aber es fühlt sich an wie ein historisches Ereignis.“ Dafür gebe es viele Gründe: etwa den Regierungswechsel in Taiwan. Die Medienlandschaft sei zu einem unbestimmbaren Grad von chinesischem Kapital beeinflusst, was eine Pro-China-Berichterstattung begünstige. Und: „Für die junge Generation von heute sind soziale Bewegungen nicht mehr so im Trend.“ Ihren Film versteht sie in dieser Situation als Erinnerung und Ermutigung. Immerhin trug ihr die Doku den renommierten Golden Horse Award des wichtigsten Filmfestivals Taiwans ein.

Als Fu nach der Preisverleihung die Hoffnung äußerte, Taiwan werde eines Tages als unabhängiges Land wahrgenommen, wurde sie von chinesischen Film-Websites aus der Liste der Gewinner gelöscht. Probleme als Filmemacherin hat sie deshalb nicht: „Weil ich nicht auf chinesische Geldgeber angewiesen bin.“

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Erstellt:
18.06.2019, 23:12 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 18.06.2019, 23:12 Uhr

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