Einschätzung zur Wahl

Albrecht von Lucke: „Das Ende der schwarzen Republik“

Der Politologe Albrecht von Lucke sieht in der Selbstüberschätzung der CDU einen Grund für ihr Abschneiden.

27.09.2021

Von STEFAN KEGEL

Der Berliner Politologe Albrecht von Lucke Foto: Albrecht von Lucke

Der Berliner Politologe Albrecht von Lucke Foto: Albrecht von Lucke

Berlin. Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke ordnet das Wahlergebnis als historische Niederlage der Union ein. Den zweiten großen Wahlverlierer verortet er allerdings woanders.

Herr von Lucke, was machen Sie aus diesem knappen Wahlergebnis?

Das vernichtende Ergebnis der CDU/CSU sticht natürlich heraus. Es ist das mit Abstand schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Union und damit eine historische Niederlage.

Inwiefern?

Wir erleben das Ende der schwarzen Republik, in der seit 16 Jahren alles um die Union kreiste. Diese Scholz-Wahl als männliche Merkel ist aber von den Verlierern entschieden worden. Denn noch vor einem Jahr wäre dieses Ergebnis undenkbar gewesen, weil die Union über 20 Prozent vor der SPD lag. CDU/CSU haben ein weit besseres Ergebnis selbst verspielt – und das Gleiche gilt für die Grünen. Im Kern ist die SPD ein Profiteur des historischen Versagens zweier Parteien, die alle Möglichkeiten hatten, es unter sich auszumachen.

Kann es damit zu tun gehabt haben, dass vielen Leuten erst spät klar geworden ist, dass Angela Merkel gar nicht mehr antritt?

Absolut. In diesem Punkt ist die Rechnung von Olaf Scholz aufgegangen. Letztlich war diese Strategie, auf das Vakuum nach Merkel zu setzen, auch die einzige Chance für die SPD. Aber für dieses Comeback der SPD brauchte es zwei Voraussetzungen.

Welche?

Zum einen die Fehler von Annalena Baerbock ...

... deren Partei im Frühjahr noch 25 Prozent prognostiziert wurden.

Sie hat sich mit ihrem geschönten Lebenslauf, den Plagiaten in ihrem Buch und den zu spät gemeldeten Nebeneinkünften schon frühzeitig selbst aus dem Rennen um die Kanzlerschaft genommen. Und zum anderen brauchte es das Versagen der Union, die auf den weit stärkeren Kandidaten, nämlich Markus Söder, leichtfertig verzichtet hat. Hätte sie das nicht getan, hätte sie die Wahl meines Erachtens klar gewonnen. Er ist nach wie vor der populärste Politiker und hätte die Union – ohne Lachen in der Flut – locker über 30 Prozent gebracht. Und eine Kandidatur von Söder hätte einen weiteren entscheidenden Vorteil gehabt, dass nämlich ein Söder niemals einen Söder gegen sich gehabt hätte.

Sie meinen das dauernde Querschießen Söders gegen Laschet.

Genau. Wer einen Söder in den eigenen Reihen hat, braucht keinen Feind. Laschets gewaltige Hypothek war bis zum Schluss ein Markus Söder als Antipode, der kein gutes Haar an ihm gelassen und sich nie wirklich offensiv an seine Seite gestellt hat.

Trägt Markus Söder also eine Mitschuld für das schlechte Abschneiden seiner CSU in Bayern?

Aber sicher. Die CSU bundesweit bei fünf Prozent – da wird sich der Parteichef nach der Wahl harten Auseinandersetzungen mit der CDU, aber auch in der eigenen Partei gegenübersehen. Denn er hat Laschet und damit die ganze Union systematisch kaputtgemacht.

Hat auch die CDU als Partei Fehler gemacht?

Unbedingt. Verantwortlich für das Scheitern war auch die absolute Selbstüberschätzung der CDU. Ihre Rechnung – wir gewinnen sowieso als Kanzlerpartei, ganz egal, wen wir aufstellen – ist nicht aufgegangen. Der Kipppunkt war Laschets Lachen in der Flutkatastrophe. Von diesem Bild hat er sich nie wieder erholt.

Stattdessen gab es Rückenwind für die SPD...

So ist es, ab da begann der Aufstieg des Olaf Scholz. Es war also im Ergebnis eine Wiedererweckung der SPD von fremder Hand. Dabei ist die SPD nach über 20 Jahren an der Regierung personell ausgezehrt. Olaf Scholz war das letzte Aufgebot, aber genau das hat ironischerweise zur Geschlossenheit der Partei geführt.

Erwarten Sie jetzt langwierige Koalitionsverhandlungen?

Wegen des Kopf-an-Kopf-Ergebnisses wird es jedenfalls zu Verhandlungen über die Ampelkoalition als auch über Jamaika kommen. Aber wegen des Absturzes der Union und der Gewinne der SPD spricht viel für die Ampel. Die Grünen werden in jedem Fall die zweitstärkste Kraft sein – und sind trotzdem der zweite Verlierer dieser Wahl.

Warum?

Gemessen an ihren Chancen sind die weniger als 15 Prozent der Grünen ein sehr schwaches Ergebnis. Und sie werden es in jedem der beiden möglichen Bündnisse, ob Ampel oder Jamaika, schwer haben, ihrem Versprechen einer ökologischen Erneuerung gerecht zu werden. Denn Union wie SPD sind eher strukturkonservativ, wie auch die Mehrheit der Bevölkerung, und die FDP steht sowieso klar für Wirtschaftswachstum. Die Anhänger der Grünen und vor allem Fridays for Future dürften daher von der nächsten Regierung ziemlich enttäuscht sein. Stefan Kegel

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Erstellt:
27.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 27.09.2021, 06:00 Uhr

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