Der Rettungsdienst hilft notfalls am Telefon

Das DRK betont: Bei Ersticken unbedingt sofort die 112 anrufen

Wenn jemand zu ersticken droht, kann der Rettungsdienst auch per Telefon helfen. Darauf wiesen gestern, ergänzend zu unserem Interview mit Prof. Hans-Peter Zenner, Vertreter des Tübinger DRK hin.

12.08.2016

Von uja

Symbolbild: pattilabelle - fotolia.com

Symbolbild: pattilabelle - fotolia.com

Tübingen. Wie gestern im TAGBLATT zu lesen war, empfiehlt der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist des Tübinger Universitätsklinikums, auf jeden Fall den Rettungsdienst zu alarmieren, wenn jemand sich bedrohlich an einem Speiserest verschluckt. Vor dem Anruf allerdings solle man sich laut Hans-Peter Zenner lieber auf die Erste Hilfe konzentrieren, da der Rettungsdienst, wenn jemand gar nicht mehr atmen könne, zu viel Zeit für die Anfahrt brauche. Dies gelte aber nur, wenn man als Helfer allein ist, erläuterte Zenner gestern dem TAGBLATT.

Auch der Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) rät allen, die unverhofft in eine Extremsituation geraten, „als allererstes den Oberkörper eines Erstickenden nach vorne zu beugen und ihm fünf Schläge zwischen die Schulterblätter zu geben“. Laut Rainer Wizenmann, dem Leiter des Tübinger Rettungsdienstes, solle man dann aber, wenn das nicht zum Erfolg führt, so schnell wie möglich zum Telefon greifen und die 112 wählen. Denn: „Wir können den Anrufern auch am Telefon sehr gut weiter helfen.“

Die Leute in der Leitstelle seien so geschult, dass sie, während sie einen Rettungswagen in Marsch setzen, einem Anrufer schon sehr präzise Anweisungen geben können, was zu tun ist. „Das kann bis zur Herzdruckmassage gehen.“ Wizenmann betont, dass seine Mitarbeiter auch berücksichtigen, „dass da draußen in der Notsituation eine furchtbare Aufregung herrscht“. Die Erfolge der telefonischen Reanimation seien soeben erst in einer Studie bestätigt worden.

Durch eine Herzdruckmassage, die auch ein Laie mit Hilfe des Rettungsdienstes gut ausüben könne, ist es nach Wizenmanns Erfahrung sogar möglich, einen Menschen, der praktisch nicht mehr atmet, länger als drei Minuten am Leben zu halten. Der Rettungsdienst brauche im Tübinger Stadtgebiet im Schnitt sieben Minuten, um sein Ziel zu erreichen, im Kreis sind es in 95 Prozent der Fälle höchstens 15 Minuten. Es bestünden deshalb, so jedenfalls die Einschätzung des Rettungsdienstleiters, durchaus realistische Chancen, dass ein Notarzt jemanden vor dem Ersticken retten kann.

Dies ist auch die Ansicht der Tübinger Notärztin Lisa Federle und des Lehrbeauftragen für Erste Hilfe-Programme in Baden-Württemberg, Martin Gneiting. Beide haben sich gestern bei uns gemeldet. Der langjährige DRK-Rettungsdienstler verweist auf die Empfehlungen des „European Resuscitation Council“ (ERC). Auch sie sähen vor, sofort einen Rettungsdienst anzurufen, wenn die Schläge auf den Rücken nicht weiterhelfen. Und zwar bevor die zweite Maßnahme angegangen wird, das sogenannte „Heimlich-Manöver“.

Dabei umfasse der Helfer – im Idealfall mit telefonischer Anleitung eines Rettungsdienstlers – von hinten den Oberbauch des Patienten, und zwar (deutlich unterhalb der Brustwarzen) zwischen dem Ende des Brustbeins und dem Nabel. Mit der einen Hand bilde der Helfer eine Faust, umfasse sie dann mit der anderen Hand und ziehe beide Hände ruckartig nach hinten und nach oben. Dadurch wird die Lunge zusammengepresst und der Fremdkörper im Idealfall hinausgedrückt.

Federle und Gneiting betonten, dass der Rettungsdienst einen Menschen auch mit Erfolg reanimieren könne, wenn er schon klinisch tot sei: „Wenn in seinem Blut noch Sauerstoff ist, kann man ihn zurückholen.“ Die beiden Fachleute betonten, dass es nur äußerst selten vorkomme, dass die Luftröhre komplett verschlossen sei. „Fast immer kriegen die doch noch ein bisschen Luft.“

Federle bekam gestern einige Anrufe von besorgten Patienten, die Angst hatten, dass sie bei Atemnot in drei Minuten tot sein könnten. Diese Zahl hatte Hans-Peter Zenner dem TAGBLATT in dem Gespräch genannt. Sie bezog sich allerdings auf eine Situation, in der die Betroffenen keinerlei Luft mehr bekommen. Eine Einschätzung, die Martin Gneiting durchaus bestätigt: „Nach drei Minuten ganz ohne Luft sind Patienten in der Regel klinisch tot.“ Allerdings könnten Rettungsdienst und Ersthelfer mit gezielter Reanimation die Zeit so weit verlängern, dass es realistische Überlebenschancen gibt.

Insgesamt ist die Angst, dass man selbst oder ein Angehöriger an einem Speiserest in der Luftröhre sterben könne, zwar sehr groß, sie steht aber in keinem Verhältnis zur realen Gefahr. Weder Lisa Federle noch Rainer Wizenmann können sich an einen Fall in ihrer gesamten Berufslaufbahn erinnern, bei dem jemand unmittelbar an einem Speiserest in der Luftröhre erstickte. Und Wizenmann ist immerhin schon seit 41 Jahren im Rettungsdienst tätig.

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Erstellt:
12.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 12.08.2016, 01:00 Uhr

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