In eigener Sache

„Das Archiv“ verabschiedet sich vom TAGBLATT

Die TAGBLATT-Dokumentarin Frauke Mammel geht nach 32 Jahren in den Ruhestand. Nur sie weiß genau, wo was zu finden ist.

31.10.2020

Von Christiane Schweizer

Mit Ordnern, Zeitungsstapeln, Rechner und Telefon – Frauke Mammel in ihrem Archiv. Bild: Ulrich Metz

Mit Ordnern, Zeitungsstapeln, Rechner und Telefon – Frauke Mammel in ihrem Archiv. Bild: Ulrich Metz

„Archiv Mammel“ tönte es mit fester und auffordernder Stimme aus dem Telefon all jener Leser, die in den vergangenen Jahren die Nummer des TAGBLATT-Archivs gewählt haben. Und ganz gleich, ob die Anrufer einen einzelnen Zeitungsartikel der vergangenen Wochen suchten, ein ganzes Dossier benötigten oder Interesse an Geburtstagsseiten aus unserem Mikrofilmarchiv äußerten, Frauke Mammel fragte kundig nach, bis sie die verschiedenen Wünsche erfasst hatte, und machte sich dann mit großem Eifer auf die Suche, so lange, bis sie das Gewünschte gefunden hatte.

Diese Stimme werden unsere Leser beim TAGBLATT nicht mehr hören, denn die 65-Jährige, die im Laufe der Jahrzehnte innerhalb und außerhalb der Redaktion „das Archiv“ geworden war, geht nach über 32 Jahren in den Ruhestand. Sie hinterlässt eine gewaltige Lücke, denn keiner in der Redaktion verfügt über ihr phänomenales Wissen darüber, wo was zu finden ist.

Dabei hat die in Löchgau bei Ludwigsburg Aufgewachsene nie Dokumentations- oder Archivwesen studiert. Kunstgeschichte und Empirische Kulturwissenschaft waren ihre Fächer, mit denen sie nach ihrem Abitur in Ludwigsburg an der Universität Tübingen startete. Wie in den 70er und 80er Jahren nicht unüblich, studierte Mammel mehr interessens- als abschlussorientiert. Daneben arbeitete sie in zahlreichen Jobs. Einer davon war bei der Tübinger Außenstelle des Landesdenkmalamtes, wo sie mit den Aufgaben Bibliothek und Dokumentation betraut war. So gestaltete sich der Umstieg ins TAGBLATT-Archiv im Frühjahr 1988 problemlos.

Arbeitswerkzeuge der Archivarinnen waren damals noch Schere und Klebstoff. Die Zeitungsartikel wurden täglich ausgeschnitten, auf Papierbögen geklebt, vervielfältigt und nach einer selbstentwickelten Systematik in Leitz-Ordnern abgeheftet. Dieses „Alt-Archiv“ wurde Mitte 1998 durch die elektronische Archivierung abgelöst, ist aber unverzichtbar für Recherchen, die in diese Zeit zurückreichen.

Ob bei der elektronischen oder der konventionellen Suche im Papierarchiv, bei Mammel konnte man quasi zuschauen, wie ihr Gehirn zu arbeiten begann, sobald sie mit einem Auftrag konfrontiert wurde. Dann sprudelte es aus ihr heraus, in welchem Zusammenhang das Ereignis stehe, wer daran beteiligt war und wie die Geschichte weiterging. Sie suchte mit einem eigenen Recherche-Instinkt und mit großer Hartnäckigkeit, die sie nie aufgeben ließ.

Das archivierte Vergangene war bei ihr nicht staubig und alt, sondern höchst lebendig und aktuell. Davon profitierten viele: die Mitarbeiter des Verlags genauso wie Leser, die mit vagen Angaben nach etwas suchten, Autoren von Sonderveröffentlichungen und Büchern sowie Ausstellungsmacher. Dabei zeigte sie, wie gut sie mitdenkend helfen kann, zuverlässig liefert und auch keine Scheu hat, ihre eigene Meinung zu äußern. Das Bild der Archivmaus, die im Keller ihr graues Dasein fristet, passt überhaupt nicht. Mammels herzhaftes Niesen, meist begleitet durch ein kräftig ausgesprochenes „Jawoll“, war weit in die Redaktionsflure zu hören.

Gelassenheit und Großzügigkeit sind weitere Eigenschaften, die hier erwähnt werden sollen. Ungeduld, Ärger oder Frustration, das hat man bei Mammel nie erlebt. Schlecht reden über Benutzer oder lästern über Kollegen? Fehlanzeige. Vielleicht liegt das daran, dass die im Jahr 1955 Geborene genau in der Mitte von fünf Geschwistern aufwuchs, und aus dieser Konstellation heraus lernte, Ruhe zu bewahren und sich rauszuhalten, wenn oberhalb und unterhalb von ihr die Geschwisterkonflikte tobten. Außerdem muss der Vater, ein „Volksschulleher“, sehr gutmütig gewesen sein. Wenn eines der Kinder den Teller nicht leer essen wollte, machte er keinen Ärger, sondern erbot sich, „komm gib es mir, ich ess’ es auf“.

Die Ideen sprudelten bei Mammel auch abseits von Rechercheaufträgen, denn sie pflegt viele Hobbys. Brauchte man einen Rat in Richtung „Was koche ich aus nur drei Zutaten?“, „Was kann ich aus einem alten Kleidungsstück nähen“ oder „Wie verwandle ich einen Bürostuhl in einen Couchtisch?“ war sie blitzschnell mit kreativen Vorschlägen zur Stelle. Dass es ein lebenswertes Leben außerhalb der Arbeit gibt, erfuhr man auch, wenn Mammel einen abwesenden Kollegen am Telefon entschuldigte: „Der ist im Urlaub, der Glückliche“.

Wir werden unsere Kollegin vermissen und wünschen ihr für ihren Dauerurlaub alles Glück dieser Welt.

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Erstellt:
31.10.2020, 06:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 31.10.2020, 06:30 Uhr

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