Leserbriefe

Damit das Wesentliche bleibt

Beim „Sprachrohr“ gibt es zum neuen Jahr Veränderungen, um die tägliche Seite als Forum der lebendigen Diskussionen erhalten zu können.

01.01.2022

Von Gernot Stegert

WIE MAN das Sprachrohr so richtig zum Funkeln bringt ...  Zeichnung: Sepp Buchegger

WIE MAN das Sprachrohr so richtig zum Funkeln bringt ... Zeichnung: Sepp Buchegger

Noch immer spitzen Leser wie Chefredakteure anderer Zeitungen in Deutschland die Ohren, wenn sie hören: Das SCHWÄBISCHE TAGBLATT in Tübingen wählt Leserbriefe nicht nach Meinung oder Meinungsfreude, Originalität oder Sprachfertigkeit aus. Sondern: Alles wird gedruckt, was auf Papier oder digital geschickt wird. Vorausgesetzt, es erfüllt die formalen und rechtlichen Bedingungen. Bei dieser Tübinger Besonderheit soll es bleiben. Doch dazu kann nicht alles bleiben, wie es ist.

Der Erfolg frisst geradezu seine Kinder. Unsere Leser und Leserinnen haben so viel geschrieben wie nie zuvor. 2019 gab es erstmals über 3000 Briefe. Nach dem Rekord von 3865 Zuschriften im Jahr 2020 übertraf 2021 das Ergebnis noch einmal deutlich. In der Hochzeit, vor allem im September, wussten wir gar nicht mehr, wie wir die Fülle unterbringen sollen. Teilweise reichten drei Leserbrief-Seiten pro Tag nicht mehr. Das ist wunderbar, denn es zeigt, welchen Stellenwert das TAGBLATT als Lokalzeitung in Tübingen und Umgebung weiterhin für die Meinungsbildung hat. Das ist aber auch ein Problem: Der Umfang sprengt die Proportionen zur redaktionellen Berichterstattung und bedeutet viel Arbeit für uns. Denn es ist keineswegs damit getan, das Zugeschickte einfach eins zu eins ins Blatt zu heben.

Die Redaktion muss Adressen prüfen und Bezüge herstellen, kürzen, Abkürzungen ausformulieren, die Rechtschreibung korrigieren, Nachfragen beantworten, Tatsachenbehauptungen überprüfen und oft zurückweisen, was andere Personen zu persönlich angreift (siehe Infobox). Denn die Debatten sollen lebhaft sein, müssen aber im Rahmen dessen bleiben, was uns rechtlich vorgeschrieben wird. Was viele nicht wissen: Eine Zeitung haftet für Falsches – auch in Leserbriefen. Gewiss, auch wir übersehen immer wieder etwas. Das wird dann aber berichtigt. Und manchmal ist die Grenze zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung fließend, wie in diesem Jahr häufig bei der Stadtbahndebatte zu sehen war.

Auch 2022 verspricht, ein an Leserbriefen reiches Jahr zu werden. Dafür werden allein schon das Großthema Corona-Pandemie und der Tübinger Oberbürgermeisterwahlkampf sorgen. Um also nicht doch auswählen zu müssen, sondern weiterhin alle Zuschriften, die die Vorgaben erfüllen, veröffentlichen zu können, hat sich die Redaktion ein bisschen mehr Strenge auferlegt. Das heißt konkret vom 1. Januar an:

Vielschreiber müssen sich zurücknehmen. Von 2022 an sind nicht zwölf, sondern lediglich acht Leserbriefe pro Jahr erlaubt.

Wir werden den lokalen Bezug enger auslegen, auch bei Gedichten.

Wir werden häufiger als in der Vergangenheit Themen abmoderieren, bei denen sich die Argumente und oft auch die Schreibenden wiederholen.

Wir werden kurz oder mit Standardbrief Zuschriften ablehnen und uns auf keine Diskussionen mehr einlassen.

Schließlich noch eine Klarstellung: Manche verbreiten die Mär, wir würden Kritik an unserer eigenen Berichterstattung nicht abdrucken. Wer aber das Jahr über die Leserbriefe im SCHWÄBISCHEN TAGBLATT gründlich liest, wird sich eher fragen: Welche Zeitung lässt so viel Kritik an sich selbst und an ihrem Personal zu? Wir halten uns auch in eigener Sache an unsere Regeln: Meinungsfreiheit ja, aber nein zu falschen Tatsachenbehauptungen oder gar Beleidigungen. So haben wir schon Leserbriefe abgelehnt, die behaupteten, wir würden nach Gutdünken auswählen oder uns kritisierende Zuschriften ablehnen. Denn das ist falsch. Wir müssen uns auch nicht als „willfährige Schreiberlinge“, „Systempresse“ oder ähnliches beschimpfen lassen.

Was Leser und Leserinnen tun können und sollen

Für billigen Füllstoff halten manche die Leserbriefseite. Sie liegen falsch. Denn „Das Sprachrohr der Leser“ kostet uns viel und – da tarifvertraglich bezahlt – teure Arbeitszeit. Wenn sich alle Schreibenden an die Vorgaben halten, reduziert sich der Aufwand. Die Redaktion bittet daher, die blauen Boxen auf jeder Leserbriefseite gründlich zu lesen und die Regeln zu befolgen:

Digital: Am wenigsten Arbeit haben wir mit Leserbriefen über das Internetformular, weil dort alle für uns wichtigen Felder ausgefüllt sind.

Bezug: Benennen Sie klar, auf welchen lokalen Artikel oder auf welche lokale Begebenheit sich der Leserbrief bezieht. Zuschriften zu überregionalen Artikeln und Themen veröffentlichen wir nicht.

Adresse: Geben Sie Ihren Namen und Ihre vollständige Adresse mit E-Mail und Telefonnummer an. Wir veröffentlichen zwar nur den Namen mit Wohnort. Doch müssen wir Kontakt aufnehmen und eine Person identifizieren können. Es gab schon einige Fake-Leserbriefe.

Umfang: Schreiben Sie nicht mehr als die Obergrenze von 1200 Zeichen (inklusive Leerzeichen). Das sind 40 Druckzeilen.

Keine Abkürzungen: Sparen Sie keine Zeilen durch Abkürzungen. Wir schreiben Euro, Millionen und mehr immer aus.

Rechtschreibung: Prüfen Sie Ihren Text vor dem Absenden gründlich auf Rechtschreibung. So viel Mühe muss sein.

Geduld: Oft stehen 40, 50 Leserbriefe in der Warteschlange. Wer schon nach ein oder zwei Tagen nachfragt, wo der Leserbrief bleibt, hält uns eher auf.

Korrekt: Behaupten Sie nur nachprüfbar Richtiges. Falsche Tatsachen dürfen wir nicht veröffentlichen.

Sachlich: Rechtlich und menschlich sind Beleidigungen fehl am Platz. Auch wenn die Grenze unterschiedlich empfunden wird: Oft hilft es, über die eigenen Wortwahl noch mal eine Nacht zu schlafen. Oder sich zu fragen, ob man selbst so bezeichnet werden möchte.