Tübinger Impfstoffhersteller

Frage nach der Zukunft: Curevacs Fehlschlag

Das Tübinger Unternehmen galt im Frühjahr 2020 als große Hoffnung im Kampf gegen Corona. Jetzt stellt sich die Frage nach seiner Zukunft.

16.10.2021

Von Thomas Veitinger

Einblicke ins Labor von Curevac in Tübingen. Dort arbeitet man nun an einem Corona-Impfstoff der zweiten Generation mit laut Unternehmen verbesserter Wirksamkeit. Foto: Curevac

Einblicke ins Labor von Curevac in Tübingen. Dort arbeitet man nun an einem Corona-Impfstoff der zweiten Generation mit laut Unternehmen verbesserter Wirksamkeit. Foto: Curevac

Tübingen. Eine richtig große Überraschung war die Entscheidung nicht: Der Biopharmazeut Curevac hat seinen Covid-19-Impfstoff der ersten Generation aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen. Im Juni war bekannt geworden, dass das Vakzin nur eine Wirksamkeit von 48 Prozent gegen eine Covid-Erkrankung jeglichen Schweregrades und in allen Altersgruppen besitzt. Das Mittel wurde daher nicht mehr in die laufende deutsche Impfkampagne einbezogen.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur ließ jüngst zudem durchblicken, dass mit der Zulassung erst im Frühjahr kommenden Jahres zu rechnen sei. Eine Jahreszeit, in der Impfstoff weniger gefragt sein dürfte. Curevac und sein britischer Partner GlaxoSmithKline (GSK) wollen dann bereits den Impfstoff der zweiten Generation auf den Markt bringen. Dieser zeigt laut GSK-Forschungschef Rino Rappuoli „deutliche Verbesserungen“ im Test im Vergleich zum ersten Impfstoff. Gleichzeitig werde an modifizierten Vakzinen geforscht, etwa gegen die Delta-Variante.

Franz-Werner Haas ist optimistisch. Die Erkenntnisse und aufgebauten Infrastrukturen werden genutzt, um Ressourcen für die „fortschrittlichen Impfstoffe der zweiten Generation zu bündeln“, sagte Curevacs Vorstandschef. Während die Konkurrenten Biontech und Moderna eine Wirksamkeit von 94 und 95 Prozent erreichen und im Dezember 2020 mit der Auslieferung ihres Impfstoffs begonnen hatten, hoffen die Tübinger nun auf eine Zulassung im Jahr 2022. Es könnte aber auch 2023 werden.

Die Rücknahme des Zulassungsantrags wirkt sich auch auf andere Unternehmen aus. Auch Wacker Chemie und das Schweizer Unternehmen Celnic wollten in diesem Jahr 100 beziehungsweise 50 Millionen Impfstoffdosen herstellen: Curevac hat die Verträge innerhalb der dafür möglichen Frist gekündigt. Bereits produzierter Impfstoff wird nach den Angaben von Haas vernichtet. Um wie viel Dosen es sich dabei handelt, wollte der Vorstandschef nicht sagen.

Für Wacker habe die Curevac-Entscheidung 2021 „keinen wesentlichen Einfluss auf die Umsatz- und Ergebnisentwicklung“, sagt Geschäftsbereichsleiterin Susanne Leonhartsberger. Es ändere nichts an den mittelfristigen Zielen. Das Unternehmen sei zuversichtlich, freiwerdenden Kapazitäten für andere Kunden zur Verfügung zu stellen.

Der Druck auf Curevac wächst jedoch. Der Biberacher Pharmakonzerne Boehringer Ingelheim hatte im Juni die Zusammenarbeit in einer Lungekrebs-Kooperation beendet. Auch eine Vereinbarung mit dem US-Konzern Eli Lilly wurde gelöst. Verträge mit dem Laupheimer Pharmadienstleister Rentschler Biopharma und dem Pharmakonzern Novartis sind nicht betroffen. Auch eine Allianz mit dem Pharmariesen Bayer besteht nach wie vor.

Großaktionär Dietmar Hopp, der über die Beteiligungsgesellschaft Dievinie Hopp Biotech Anteile hält, dürfte über die Entwicklung alles andere als begeistert sein. Nicht nur sein Renommee litt durch den Rückzug. Der Aktienkurs von Curevac lag im Dezember 2020 bei fast 120 Euro – derzeit bei rund 40 Euro.

Hohe Fördergelder erhalten

Der Staat ist über die Aufbaubank KfW mit 300 Millionen Euro bei Curevac eingestiegen und hält 16 Prozent. 196 Millionen Euro flossen aus dem Wissenschaftsministerium. Mit der Bundesregierung sei man im Gespräch, sagte Haas. Zu weiteren Verträgen oder möglichen Rückzahlungen sagte der Vorstandschef nichts: „Das wäre verfrüht.“ In den nächsten Wochen und Monaten werde weitere Transparenz geschaffen, sagte eine Unternehmenssprecherin. Curevac prüfe, inwieweit eingegangene Verpflichtungen auch auf die Impfstoffkandidaten der zweiten Generation übertragen werden können.

Für den Bund der Steuerzahler war die „überraschende Beteiligung des Staates an Curevac von Anfang an mit Fragezeichen für die Steuerzahler versehen, weil eine bloße Staatsbeteiligung kein Garant für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung ist.“ Der Staat sei nicht der bessere Unternehmer – und der Steuerzahler darf nicht für politische Abenteuer herhalten“, sagte Präsident Reiner Holznagel.

Ein Vorvertrag mit der Europäischen Kommission endet ebenfalls. Haas geht aber nicht davon aus, dass die Vorauszahlungen von 450 Millionen Euro zurückgezahlt werden müssen. Das Geld sei eine Investition auf die Entwicklung des Impfstoffs gewesen und keine Vorauszahlung auf zu liefernde Dosen, sagte Haas in einem Gespräch. Die EU hatte 225 Millionen Dosen geordert. Einnahmeausfälle bedeutet das für Curevac in jedem Fall.

Durch Börsengang und Vorleistungen sitzt Curevac noch auf viel Geld: Am Ende des ersten Halbjahres 2021 lagen die Zahlungsmittel bei 1,36 Milliarden Euro. Ein Teil davon sind aber Vorauszahlungen von GlaxoSmithKline für den Impfstoff der zweiten Generation.