Arbeitsmarkt

Corona wirft Inklusion zurück

Menschen mit Behinderungen arbeiten oft in Branchen, die vom Lockdown betroffen sind. Vor allem in Baden-Württemberg steigt darum die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe.

04.12.2020

Von SIMONE DÜRMUTH

Menschen mit Behinderungen fällt es oft deutlich schwerer, einen neuen Job zu finden. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Menschen mit Behinderungen fällt es oft deutlich schwerer, einen neuen Job zu finden. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Um vier Jahre seien ihre Bemühungen um die Inklusion behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt zurückgeworfen worden, berichtet die Aktion Mensch aus einer gemeinsamen Studie mit dem Handelsblatt Research Institute (HRI). „Seit 2013 verbesserte sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung fast stetig“, erklärte HRI-Präsident Bert Rürup. Doch Corona habe die Erfolge der letzten Jahre in kürzester Zeit zunichte gemacht. „Allein von März bis April erhöhte sich die Zahl arbeitsloser Menschen mit Schwerbehinderung um mehr als 10 000.“

Grund dafür: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Im Schnitt um 13 Prozent hat die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten im Vergleich zu Oktober 2019 zugenommen. Bayern ist hier trauriger erster mit 19,1 Prozent, in Hamburg stiegen die Zahlen um 18,9 Prozent, und Baden-Württemberg belegt mit einem Zuwachs um 16,4 Prozent den dritten Platz.

Warum es im Süden relativ viele Menschen trifft? Die Studie stellt fest, dass es hier eine Überlagerung der coronabedingten Konjunkturkrise mit der seit Jahren bestehenden Strukturkrise gibt, die vor allem die Automobil- und ihre Zulieferindustrie trifft.

Außerdem gebe es in Baden-Württemberg relativ viele Inklusionsbetriebe, erklärt Simone Fischer, die bei der Stadt Stuttgart als Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen arbeitet und die selbst Kleinwüchsig ist. „Dort arbeiten überproportional Menschen mit Behinderung. Diese gemeinnützigen Betriebe sind in Branchen angesiedelt, die stark unter den Umsatzeinbußen infolge der Corona-Pandemie leiden.“ Also zum Beispiel in der Gastronomie, im Catering oder in der Hotellerie. Diese Betriebe waren und sind in besonderem Maße vom Lockdown im März und dem Teil-Lockdown im November sowie von den Beschränkungen des Wirtschaftslebens betroffen.

Zwar steigt die Arbeitslosigkeit unter den Schwerbehinderten etwas langsamer als im bundesdeutschen Durchschnitt, doch sie stellt die Menschen auch vor besondere Herausforderungen. „Haben Menschen mit Behinderung ihren Arbeitsplatz erst einmal verloren, finden sie sehr viel schwerer in den ersten Arbeitsmarkt zurück als Menschen ohne Behinderung“, erklärt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. Das zeigt sich unter anderem daran, dass Personen mit einer Schwerbehinderung in Baden-Württemberg schon bisher mehr als 100 Tage länger nach einem neuen Job suchen müssen, als Menschen ohne Beeinträchtigung.

„Für schwerbehinderte Arbeitnehmer haben eine adäquate Beschäftigung und eine geregelte Tagesstruktur einen wichtigen Stellenwert. Sie definieren sich oft mehr über ihre Beschäftigung“, sagt Fischer. Außerdem seien Menschen mit Behinderungen stärker von ihrem Jobs abhängig, da sie selten große Rücklagen haben und damit auch stärker von Armut bedroht seien.

Der Sozialverband VdK befürchtet, dass die Entwicklung sich weiter fortsetzen wird. „Bisher fängt das Kurzarbeitergeld noch einiges ab und der besondere Kündigungsschutz sorgt für eine zeitliche Verzögerung“, erklärt die Vorsitzende Verena Bentele. Sie sieht Beschäftigte mit Vorerkrankungen auch Benachteiligt, wenn es um die Verlagerung der Arbiet ins Homeoffice geht – vielen fehlten zu Hause die technischen Voraussetzungen für barrierefreies Arbeiten.

Arbeitsminister Hubertus Heil will gesetzlich helfen. Firmen, die gegen die Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderung verstoßen, sollen von 2022 an eine deutlich erhöhte Ausgleichsabgabe mehr bezahlen. (mit dpa)

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Erstellt:
04.12.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 32sec
zuletzt aktualisiert: 04.12.2020, 06:00 Uhr

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