Verkehr

Deutsche Bahn: Corona trägt nur Teilschuld

Für Bahn-Chef Richard Lutz steht an diesem Mittwoch die Vertragsverlängerung an. Die Konzernführung ist wegen des Schuldenbergs unter Druck.

24.03.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Die Corona-Krise hat dem Bahnkonzern zugesetzt. Er muss nun die Weichen für die Zukunft stellen. Foto: Sven Hoppe/dpa

Die Corona-Krise hat dem Bahnkonzern zugesetzt. Er muss nun die Weichen für die Zukunft stellen. Foto: Sven Hoppe/dpa

Berlin. Als Richard Lutz vor vier Jahren Vorsitzender der Deutschen Bahn wurde, schien der richtige Mann für den Aufbruch in ein neues Schienenzeitalter gefunden worden zu sein. Lutz kommt aus einer Eisenbahnerfamilie, kennt den Konzern so gut wie kaum einer. Die Ansprüche waren monströs. In der Aufsichtsratssitzung an diesem Mittwoch wird über seine Vertragsverlängerung entschieden. Es gilt so gut wie sicher: Lutz soll weitermachen. Das gefällt nicht allen.

Corona hat bei der Bahn zugeschlagen. Der Staatskonzern ließ Züge nahezu unverändert weiterfahren. Dabei waren ICEs und ICs teils nur zu 10?Prozent ausgelastet. Deshalb schleppt die Bahn ein riesiges Corona-Defizit mit sich herum. Der Schuldenberg ist auf 32 Milliarden Euro gewachsen und könnte bald die Verschuldungsgrenze von 35?Milliarden Euro übersteigen.

Doch Corona ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kritiker der Konzernführung beklagen Managementfehler und greifen auch die Bundesregierung an, die das System Schiene auf die Deutsche Bahn beschränkt, statt die Konkurrenten in den Blick zu nehmen. Für Lutz könnte es deshalb trotz Vertragsverlängerung ungemütlich werden.

Eine dieser Stimmen ist der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky. Der Chef der kleineren der beiden Bahn-Gewerkschaften?– die andere ist die EVG?– ist den Bahn-Managern schon lange ein Dorn im Auge. In diesen Tagen nervt er Personalvorstand Martin Seiler ganz besonders. Die Bahn muss das Tarifeinheitsgesetz durchsetzen, die GDL weigert sich mitzuspielen und hat Tarifforderungen aufgestellt, die Seiler als „unbezahlbar“ bezeichnet. „Wir sind in der größten wirtschaftlichen Krise des Unternehmens, und die GDL verhält sich unsolidarisch“, sagt Seiler.

Weselsky geht es aber um mehr als Forderungen. Es geht ihm ums Prinzip. Sein Hauptvorwurf: Während am Personal gespart wird, stopft sich das Führungspersonal die Taschen voll. Probleme, die schon lange bestünden, würden unter dem Corona-Deckmantel verschleiert. Statt sich auf das Geschäft in Deutschland zu konzentrieren, „vergnüge sich die Bahn am anderen Ende der Welt“, sagt Weselsky. „Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Die Deutsche Bahn will die Auseinandersetzung und sie bekommt sie.“ Der Konflikt könnte für die Bahn problematisch werden, da sie mit den Personaleinsparungen einen Teil des Corona-Schadens abfedern will.

Die EVG hat sich mit der Bahn auf einen moderaten Lohnzuwachs von 1,5 Prozent geeinigt. Im Gegenzug haben die Top-Manager auf Boni verzichtet. Doch diese Einsparungen reichen nicht aus. Die Bahn ist auf Hilfe vom Bund angewiesen. Die Bundesregierung hat finanzielle Unterstützung zugesichert, denn sie ist wiederum auf die Bahn angewiesen: ohne ein gut funktionierendes Schienennetz keine CO2-Reduktion und damit kein Erreichen der Klimaziele.

Fünf Milliarden Euro will die Bundesregierung durch eine Erhöhung des Eigenkapitals beisteuern. Den Bahn-Konkurrenten schmeckt dieses Vorgehen nicht. Sie beschweren sich, dass die fünf Milliarden Eigenkapitalerhöhung lediglich dem Staatskonzern zugutekommen, nicht aber das System Schiene profitiere.

„Wenn nur der Marktführer Geld vom Staat bekommen und alle anderen nicht, ist das eine Wettbewerbsverzerrung“, klagt der Chef des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), Ludolf Kerkeling. Die in seinem Verband organisierten Güterbahnen konkurrieren auf der Schiene mit der DB-Tochter Cargo. Auch die EU-Kommission sieht Wettbewerbsnachteile und hat den finanziellen Zuschuss gestoppt.

Doch was passiert, wenn das Geld nicht fließt? Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will sich dazu nicht äußern. Es laufen Gespräche in Brüssel, teilte er zuletzt mit.

Während Bahnchef Lutz versucht, den Corona-Schaden und die angehäuften Schulden so gering wie möglich zu halten, wird an anderer Stelle schon am Umbau des Konzerns geschraubt. Grüne und FDP wollen das Bahngeschäft reformieren. So sollen die Bereiche der Bahnhöfe, Serviceeinheiten und das Netz in einer eigenen Gesellschaft aufgehen, die unabhängig von der Bahn in Bundeseigentum agiert und keine Gewinne erzielen muss.

Sollten die Grünen vom Herbst an regieren und das Verkehrsministerium besetzen, könnten große Veränderungen anstehen. Möglicherweise auch für Lutz.