Bieringen · Gastronomie

Corona steht nicht im Vertrag

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist der Bieringer Landgasthof Kaiser geschlossen. Mit einer Betriebsschließungsversicherung wollte Inhaber Simon Albus vorsorgen.

11.05.2020

Von Martin Zimmermann

Gastwirt Simon Albus (links) und Koch Davor Slutaj bereiten den Außenbereich des Landgasthofs „Kaiser“ für die Wiedereröffnung vor und rücken Tische und Stühle gemäß den neuen Abstandsregeln zurecht. Bild: Martin Zimmermann

Gastwirt Simon Albus (links) und Koch Davor Slutaj bereiten den Außenbereich des Landgasthofs „Kaiser“ für die Wiedereröffnung vor und rücken Tische und Stühle gemäß den neuen Abstandsregeln zurecht. Bild: Martin Zimmermann

Der Bieringer Gastwirt Simon Albus ist einer von vielen Gastronomen, die eine Betriebsschließungsversicherung (BSV) abgeschlossen haben und sich nun im Stich gelassen fühlen, weil die Versicherung nur eine Kulanzsumme zahlen will. Albus schloss den Vertrag bei der Württembergischen Versicherung ab, als er den „Landgasthof Kaiser“ vor zehn Jahren übernahm. Doch die Württembergische will – ebenso wie viele andere großen Versicherer – nur eine Kulanzsumme von 15 Prozent der entgangenen Einnahmen über höchstens 30 Tage bezahlen. Für Albus sind das 2000 Euro.

Die Versicherer berufen sich darauf, dass Covid-19 in den Verträgen nicht genannt und eine prophylaktische Schließung aller Gastronomiebetriebe zur Pandemieeindämmung in den Verträgen nicht vorgesehen sei. Der Bieringer Gastwirt ist empört: „Man bezahlt jahrelang brav seine Beiträge, um genau so einen Fall abzusichern – und dann bezahlt die Versicherung nicht.“ Wenn die Versicherungen unbürokratisch bezahlen würden, so Albus, dann würde das Versicherungsgeld vielen Gastronomen durch die Krise helfen und die Versicherungen würden an den Summen nicht pleite gehen.

Laut Daniel Ohl, Pressesprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Baden-Württemberg, sind etliche Gastronomen in Baden-Württemberg betroffen. Ohl berichtet, dass die großen Versicherungen den Gastronomen zunächst gar nichts zahlen wollten. Nach Verhandlungen mit dem bayrischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erklärten sie sich jedoch bereit, den versicherten Gastronomen 15 Prozent der Verdienstausfälle wegen Covid-19 zu zahlen. Staatliche Beihilfen werden mit den Versicherungssummen verrechnet.

Die bayrische Lösung bieten die Versicherer jetzt bundesweit an. Der Dehoga-Landesverband gibt keine Empfehlung dazu ab. Er informiert nur über die Möglichkeit, dass es die Kulanzsummen gibt. Alternativ könne sich jeder Gastwirt einen Anwalt nehmen und den Rechtsweg beschreiten. Eine Sammelklage oder ein Musterprozess durch den Berufsverband sei aber nicht möglich, so Dehoga-Sprecher Ohl. „Die 15-Prozent-Lösung, die in Bayern gefunden wurde, kann eine Option sein – vor allem für Betriebe, bei denen der Faktor Zeit eine große Rolle spielt.“ Es gebe aber auch Betriebe, die versuchen, ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Weil dies letztlich eine unternehmerische Entscheidung sei, die vor dem Hintergrund ganz individueller Vertragskonstellationen getroffen werden müsse, „geben wir als Verband keine allgemeine Empfehlung, sondern zeigen unseren Mitgliedern die vorhandenen Optionen auf“, so Ohl.

Albus hat seine Entscheidung schon getroffen und das Versicherungsangebot zähneknirschend angenommen. „Ich weiß, eigentlich sollte ich mein Recht einklagen, aber ich brauche derzeit jeden Euro um meine Mitarbeiter zu bezahlen und habe keine Nerven für einen langen und teuren Prozess mit ungewissem Ausgang“, sagt er.

Stattdessen versucht Albus seine Verluste zu minimieren, indem er einen Abholservice eingerichtet hat. „Mir war einfach wichtig, dass ich meine Mitarbeiter weiterbeschäftigen kann.“ Von der Resonanz, mit der das Angebot angenommen wurde, war Albus überrascht. „Am ersten Tag, als wir das gemacht haben, war die Nachfrage so groß, da ging es hier drunter und drüber“, berichtet er. Das war an einem Donnerstag. Er habe zwei zusätzliche Mitarbeiter einstellen müssen; einen, der das Essen einpackt und eine, die am Telefon die Bestellungen annimmt.

Inzwischen habe der Abhol-Boom etwas nachgelassen. „Wir waren eines der ersten Restaurants, das auf Abholservice umgestellt hatte.“ Inzwischen haben andere nachgezogen. „Das merken wir natürlich.“

Bis zu 14 Essen pro Viertelstunde werden sonntags abgeholt, erzählt Albus. Die Essen werden wie an einem Bankschalter durch ein Loch in einer Plexiglasscheibe ausgegeben. Die Gaststube ist zu einem Wartezimmer umgestaltet. Auf dem Boden sind Wartezonen mit Klebeband markiert, um die Leute auf Abstand zu halten. In jeder Wartezone steht ein Stuhl, damit die Gäste im Sitzen auf ihr Essen warten können.

Die Speisen werden in kompostierbaren Verpackungen ausgegeben. „Glücklicherweise war ich kurz vor der Krise auf einer Gastronomiemesse, wo das präsentiert wurde“, sagt Albus. Er überlegt, ob er den Abholservice beibehalten soll, wenn die Krise vorbei ist. „Das Problem ist eigentlich nur: Wenn es bei uns wieder normal läuft, dann haben wir sonntags eigentlich keine Kapazitäten mehr, um noch nebenher einen Abholservice zu betreiben.“

In einer Woche darf Albus wohl wieder im Außenbereich seines Landgasthofs Gäste bewirten und stellt derzeit alle Tische so um, dass die Abstandsregeln eingehalten werden.

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Erstellt:
11.05.2020, 06:18 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 11.05.2020, 06:18 Uhr

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