Tübingen

Corona-Semestler und noch nie betretene Uni Gebäude

Viel zu viele Studentinnen und Studenten in einem viel zu überfüllten Hörsaal, die Augen noch müde um acht Uhr morgens. Solche Bilder hatte ich im Kopf. Bilder von neuen Freundschaften und lauten Studentenpartys sah ich während meiner Schulzeit vor meinem inneren Auge, wenn ich ans Studium dachte.

24.04.2021

Von Hannah Krämer über die fehlende Anerkennung für Studenten.

Oft genug musste ich mir Beschwerden über Studenten anhören, die doch wohl nichts anderes als Party und Unfug im Kopf haben. Doch bei mir ist alles still. Bereits das zweite Semester verbringe ich in den vier Wänden meines Neun-Quadratmeter-Zimmers. Cabin-Fever habe ich schon längst hinter mir gelassen. Man gewöhnt sich dran: Online-Lehre! Denn als Geisteswissenschaftlerin habe ich keine Freikarte für Uni-Präsenz. Nach einem Semester kann ich nun aber auch die kleinen Namen auf Zoom den Bildern meiner Kommilitonen zuordnen, die so unwirklich erscheinen. Es ist nicht einfach, auf Abstand Freundschaften zu schließen oder sich zurechtzufinden im Chaos des Online-Studiums, ohne mal den Nebensitzer zu fragen.

Warum ich für mein Studium in einer so unsicheren Zeit in eine WG nach Tübingen gezogen bin? Zuhause zu wohnen würde doch Geld sparen. Einfache Antwort: Damit es sich echter anfühlt. Nach meinem „Coronaabi“ weitere Monate nur zuhause im Kinderzimmer vor dem Laptop sitzen? Das würde sich anfühlen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Hier kann ich zumindest die Uni-Luft vor der Neuen Aula schnuppern, die ich noch nie betreten habe.

Auf Social Media sehe ich Posts, die dazu aufrufen, Studentenpartys wieder zuzulassen. Das Klischee stört mich. Doch hinter den Hashtags steckt so viel mehr. Es ist ein leiser Ausruf der Gruppe, die in den letzten Monaten zu oft vernachlässigt wurde. Die sind alt genug, um zu wissen, wie man sich verantwortungsvoll verhält und selbst lernt. Ja. Doch darum geht es nicht. Bei dem Hashtag geht es um Anerkennung und Respekt. Anerkennung dafür, dass ich mein 18. Lebensjahr drinnen verbringen musste, mein Abiball ausfiel, und Respekt dafür, dass ich nun studiere, ohne je ein Unigebäude von innen gesehen zu haben.

Wir alle sind uns bewusst, dass es uns noch ziemlich gut geht. Immerhin darf ich studieren. Trotzdem wäre es erfrischend, wenn man, statt nur Klischees zu beschimpfen, seine Aufmerksamkeit mal auf die Corona-Semestler richten könnte.

Studentinnen und Studenten, die in der normalerweise aufregendsten Phase ihres Lebens auf still gestellt wurden. Mir fehlen Erfahrungen, die für andere in meinem Alter immer normal waren, auch wenn es nur die müde Vorlesung um acht Uhr morgens wäre.

Ich würde sie gerne besuchen, anstatt darauf zu warten, ins nächste neunzigminütige Zoom-Meeting reingelassen zu werden, nur um danach ein weiteres anzuklicken und mich zu wundern, dass ich – um Himmelswillen – schon im zweiten Semester bin. Man gewöhnt sich dran.

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Erstellt:
24.04.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 24.04.2021, 01:00 Uhr

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