Tübingen · Hiphop

„Chimperator“: Von Koffern voller Geld und Meetings mit Jay-Z

Vor 20 Jahren gründete der Tübinger Sebastian Schweizer die Plattenfirma Chimperator, weil ihn und seine Rap-Crew damals keiner wollte. Nach vielen Jahren mit den Orsons und vier Nummer-1-Alben mit Superstar Cro ist das Label ganz oben angekommen.

17.01.2020

Von Lorenzo Zimmer

„Die Orsons“ waren die Vorboten des Erfolgs, mit dem Signing des Shooting-Stars Cro gelang dem Hiphoplabel Chimperator in den 2010er Jahren der Durchbruch. Labelchef Sebastian Schweizer kommt aus Tübingen – und macht bei der Arbeit gerne mal eine Liege-Pause. Bild: Delia Baum

„Die Orsons“ waren die Vorboten des Erfolgs, mit dem Signing des Shooting-Stars Cro gelang dem Hiphoplabel Chimperator in den 2010er Jahren der Durchbruch. Labelchef Sebastian Schweizer kommt aus Tübingen – und macht bei der Arbeit gerne mal eine Liege-Pause. Bild: Delia Baum

Baby, mach dir bitte nie mehr Sorgen um Geld, gib mir nur deine Hand, ich kauf dir morgen die Welt.“ Als Sebastian Schweizer diese Zeilen aus dem heute landesweit bekannten Nummer-1-Hit „Ein Mal um die Welt“ des Rappers Cro zum ersten Mal hört, ist das Lied kostenlos zu hören. Und Schweizer ist einer der ersten überhaupt, denn Cro ist damals ein Nobody. Vom Kumpel eines Kumpels wird der Tübinger auf die Myspace-Seite des Panda-Rappers gelotst.

Die Musik-Plattform Myspace liegt Anfang der 2010er Jahre im Sterben. Schweizer, geboren und aufgewachsen in Tübingen, betreibt damals bereits seit zehn Jahren ein eigenes Musiklabel, das aus seinem Hobby heraus entstanden ist. „Ich wusste sofort, was ich da höre“, sagt er rückblickend. Er hört einen Hit. Jenen Hit, der ihn unter anderen zum gemachten Mann machen würde.

Als Sebastian Andrej Schweizer zum TAGBLATT-Interview bereit das Café in der Tübinger Altstadt betritt, blickt er auf sein Handy, studiert die Push-up-Meldungen verschiedener Chat-Apps. Gestresst? „Es geht. Jetzt, wenn ich in der Heimat bin, ist es wirklich okay.“ Nicht oft, aber doch gelegentlich werde die Rotation der sich schnell um sich selbst drehenden Musikwelt ein bisschen langsamer: „Eine Ruhe, die ich sehr schätze“, sagt der dreifache Vater Schweizer, der mit seiner Freundin und dem jüngsten Sohn in Berlin lebt. Zum Interview kommt er gerade von einem Brettspielnachmittag mit der Familie: Schweizer wirkt geerdet, bestellt einen doppelten Espresso und stellt sein Telefon auf lautlos.

Seine Erfolgsgeschichte beginnt auf den Halfpipes und an den Skateboard-Spots, die in Tübingen in den frühen 90er-Jahren angesagt sind. Der heute 42-Jährige kommt zu Beginn seiner Pubertät vom Skaten zur Punk-Musik, später in Berührung mit Hiphop. Deutsche Rap-Pioniere wie Advanced Chemistry sind die Helden seiner Jugend, Probleme mit der Schule und einem allzu gerade verlaufenden Lebensweg ergeben sich früh. Zuerst besucht Schweizer die Tübinger Waldorfschule: Nach Erfahrungen mit „zweifelhafter Pädagogik – sowas wie den Mund mit Seife auswaschen oder in der Ecke stehen“, beantragen seine Eltern einen Schulwechsel.

Auch Besuche an der Aischbach-, der Geschwister-Scholl-Schule und dem Kepler-Gymnasium lassen Schweizer eher verzweifeln, als aufs Abitur büffeln. So dass sich am Ende seiner Jugend, in der er viele Stunden mit seiner Hiphop-Crew „Hölderlines“ im Keller des Epple-Hauses verbringt, eine wohl letzte Chance auf einen höheren Schulabschluss ergibt: Das Berufskolleg für Technik und Medien in Stuttgart schließt Schweizer im Alter von 19 Jahren mit dem Fachabitur ab.

Zuvor hat er noch über eine Ausbildung zum Grafikdesigner nachgedacht, doch seine „sehr gut mit Graffiti gefüllte Bewerbungsmappe“ wird sang- und klanglos abgelehnt. Um eigene Musik zu vertreiben und sich selbst ein Auge für neue Künstler zu beweisen, gründet Schweizer damals mit Freunden aus seiner Hölderline-Crew das Musiklabel Chimperator. Zunächst als Hobbyprojekt. Wie es dazu kam? „Ja, das frage ich mich auch oft“, sagt Schweizer, nippt am Espresso und schmunzelt. „Wir haben Musik gemacht, niemand wollte uns, keiner kannte uns.“ Da habe er gedacht: „Ihr seid alle blöd, machen wir es selber.“

Eine Punktlandung auf Platz 100

Schweizer und seine Crew bleiben als Musiker erfolglos. Doch der Tübinger beginnt, sich einzulesen: Was ist ein Vertrieb, was ist ein Verlag, wie geht das? „Ich habe das alles aufgesogen.“ Er findet Gefallen daran, sich um „den Hintergrund“ zu kümmern. Eine Entscheidung, die Früchte trägt: Nach Jahren in der Bedeutungslosigkeit heuern 2005 die in der Szene als geniale Freestyler bekannten Stuttgarter Rapper Maeckes und Plan B bei Chimperator an.

Später unterschreiben auch deren Crew-Kollegen Kaas und Tua. Heute sind die vier bekannt als die Orsons – und nicht mehr nur der Rap-Öffentlichkeit ein Begriff. Kaas‘ erstes eigenes Album gibt dem Label 2009 den nächsten Aufwind – und holt die erste Chartplatzierung für Schweizers Plattenfirma. „Eine Punktlandung auf Platz 100“, so der Tübinger.

Die Hip-Hop-Gruppe „Die Orsons“ drehte in der Tübinger Paul-Horn-Arena ihr neues Video zum Song „Grille“. Bild: Chimperator/Monica Menez

Die Hip-Hop-Gruppe „Die Orsons“ drehte in der Tübinger Paul-Horn-Arena ihr neues Video zum Song „Grille“. Bild: Chimperator/Monica Menez

Und dann kommt das Jahr 2011. Schweizer entdeckt Cro, nimmt ihn aufs Label. Wobei sich das nicht so leicht gestaltet: „Uns war nach dem Hören sofort klar, dass wir den Typen möglichst schnell finden müssen.“ Doch Cro, der heute in der Öffentlichkeit eine Pandamaske trägt, auch um sich seine Privatsphäre zu bewahren, ist schon damals kontaktscheu. Auf seinem Profil finden sich keine Fotos, keine Kontaktadresse, keine Telefonnummern. „Wir haben ihm erstmal auf Myspace eine Nachricht geschrieben“, sagt Schweizer. Eine Antwort kam nie.

„Ach, das findet ihr krass?“

Über einen Künstler seines Labels, den Reutlinger Rapper Kaas, kommt dann Kontakt zustande. „Wir haben ihm gesagt: Twitter mal, ob den jemand kennt.“ Natürlich habe man nicht zu laut rufen wollen: „Wir hatten Angst, dass ihn uns jemand wegschnappt.“ Auf den Tweet von Kaas hin meldet sich Cro bei dem mittlerweile in der Szene durchaus angesagten Label Chimperator. „Kurz darauf stand ein gutaussehender Typ bei uns im Büro“, so Schweizer.

„Er war eher so drauf: Ach, das findet ihr krass? Ja, okay, dann komme ich aufs Label“, sagt Schweizer. Er erinnert sich bis heute sehr gut an die bald folgende Veröffentlichung von Cros erster Single „Easy“ auf Youtube – am 23. November 2011. 61 Millionen Klicks hat das Video heute. Für Musik, die auf den deutschen Sprachraum begrenzt ist, eine beträchtliche Summe. „Easy“ wird über Nacht zu Cros erstem Megahit. Und zum ersten größeren Erfolg des Labels Chimperator.

Doch auch als die Klickzahlen durch die Decke schießen, kann Schweizer diesen Erfolg nicht realisieren. Plötzlich steht eine immens wichtige Entscheidung an. Der zukünftige Erfolg von Cro gilt zu diesem Zeitpunkt als abzusehen, seine Musik kommt an. Mit Schweizer muss er entscheiden: Als kleines Label alleine weitermachen, unerfahren mit den Maßstäben, in denen ab sofort gedacht werden muss oder doch ein Major-Label um Hilfe bitten? „Wir haben uns entschieden, mal mit allen zu reden“, sagt Schweizer. Wie die Gespräche verliefen? Der 42-Jährige lächelt, als er die Frage hört. „Die Gespräche liefen alle nach einem ähnliche Muster ab. Dieses Muster sah ungefähr so aus: ,Hier ist der Koffer, hier müssen Sie unterschreiben.‘“

Zu Jay-Z nach New York

Von Treffen zu Treffen sei der Druck der Industrie auf ihn und seinen Shootingstar gestiegen. „Ein Manager eines sehr großen Labels hat gesagt: ,Also wenn ihr wollt, können wir sofort zusammen nach New York fliegen und Jay-Z treffen.‘“ Am Ende der Lockrufe kann auch ein Anruf des US-amerikanischen Chefs der Warner Music Group Schweizer und Cro nicht umstimmen. Die Newcomer fühlen sich geschmeichelt – und lehnen ab. Sie entscheiden sich für die Eigenregie. Goldrichtig aus heutiger Sicht: „Wir hätten auf die Schnelle vielleicht mehr bekommen, aber auf lange Sicht haben wir so deutlich mehr verdient.“

Mit seinem Label Chimperator höchst erfolgreich: Sebastian Andrej Schweizer. Foto: Delia Baum

Mit seinem Label Chimperator höchst erfolgreich: Sebastian Andrej Schweizer. Foto: Delia Baum

Einige Wochen nach der Entscheidung folgt der Moment, in dem Schweizer dann doch noch realisiert, was ihm mit seinem Label gelungen ist. Als kleiner Junge besuchte er ein Konzert des weltbekannten David Hasselhoff in der Schleyerhalle – mit Tausenden anderen. Als der Labelchef 2012 mit seinem neuen Künstler Cro die Schleyerhalle mit 12000 Konzertbesuchern genauso vollmacht, ist für ihn ein Traum erfüllt: „Das war der Moment, wo klar war: Okay, krass, wir haben‘s geschafft.“ Als Schweizer mit seinen Kollegen und Freunden in die Augen Tausender hinter der Absperrung blickt, seien „aus den virtuellen Klickzahlen echte Menschen geworden“. Bis heute scheint ihn der Gedanke daran, etwas ungläubig zurückzulassen. Doch heute ist Cros Debütalbum „Raop“, auf dem auch die Titel „Easy“ und „Einmal um die Welt“ zu finden sind, mit einer verkauften Stückzahl von über 500000 das erfolgreichste deutsche Rapalbum.

Mittlerweile veröffentlicht Cro seine Platten ohne Chimperator, steht nach den vier gemeinsamen und sehr erfolgreichen Alben seit Juli 2018 nicht mehr bei dem Stuttgarter Label unter Vertrag. „Man hat sich auseinandergelebt und das ist auch ganz normal.“ An Arbeit mangelt es Schweizer deshalb nicht: Neben den Orsons und den Soloprojekten dieser vier Jungs stehen bei dem Label die Rapper Brett, Shuko, Vona, Weekend und OG Keemo unter Vertrag.

Hinzu kommt die Arbeit für die hauseigene Booking-Agentur. Und für den Traum, die cleveren Schachzüge wie die Zusammenarbeit mit den Orsons oder die Entdeckung Cros eines Tages zu wiederholen. Vor einigen Monaten wäre es fast so weit gewesen: Schweizer war am Ludwigshafener Rapper Apache 207 dran. Vor dessen Durchbruch, der mittlerweile mit Hilfe des Labels „TwoSides“ gelang. Es wird vom Rapper Bausa betrieben: „Er war einfach schneller als wir, wir kamen zu spät.“ Ins sprichwörtliche Boxhorn jagen lassen will sich der Tübinger davon nicht: „Es wäre schon schön, der Industrie zu beweisen, dass die Sache mit Cro kein reines Glück war.“

Über das Label

Chimperator Productions ist ein Independent-Label aus Stuttgart. Es ist vorrangig im Hiphop-Genre tätig und wurde im Jahr 1999 von Sebastian Schweizer, Christian Schädle und Steffen Wendelstein gegründet. Als Vertrieb für eigene Musik der Gründer begann das Label klein und machte sich durch die Signings der Freestyle-Legenden Maeckes und Plan B zunehmend einen Namen in der Szene. Mit der Veröffentlichung von Cros erstem Album „Raop“ gelang Chimperator der Durchbruch in den Mainstream.

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Erstellt:
17.01.2020, 17:54 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 43sec
zuletzt aktualisiert: 17.01.2020, 17:54 Uhr

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