Staatsoper

Champagner online

Historisch, musikalisch berauschend, als Livestream-Event: Die Stuttgarter widmen sich einen halben Tag lang der „Ariadne auf Naxos“. Und Harald Schmidt gibt seinen humvorvollen Senf dazu.

13.04.2021

Von JÜRGEN KANOLD

Das Stuttgarter Opernhaus, ehemals das Große Haus der Königlichen Hoftheater von 1912. Foto: Matthias Baus

Das Stuttgarter Opernhaus, ehemals das Große Haus der Königlichen Hoftheater von 1912. Foto: Matthias Baus

Stuttgart. Nein, er mochte Stuttgart nicht, „das abgelegenste Nest auf Gottes Erdboden“. Dem Dichter und Ästheten Hugo Edler von Hofmannsthal war die Stadt auch viel zu proletarisch. Beim Sozialen höre bei ihm der Spaß auf, teilte der Librettist dem Komponisten Richard Strauss in einem Brief empört mit. Schon der Gedanke, an einem Festbankett teilnehmen und „in der Intimität von Zeitungsschmierern und Stuttgarter Spießbürgern“ zubringen zu müssen, „die Ihnen und mir beim Champagner das Du antragen“, entsetzte den Wiener.

Dabei hatte Strauss für die Uraufführung des neuen, nach dem „Rosenkavalier“ jetzt sehr kammermusikalischen Gemeinschaftswerks „Ariadne auf Naxos“ eine „Elite-Extra-Fest-Besetzung“ organisiert. Denn die Stuttgarter wollten es am 25. Oktober 1912 aus gegebenem Anlass krachen lassen: Schließlich galt es, das Kleine Haus der neuen Königlichen Hoftheater am Schlossgarten zu eröffnen. Der Architekt Max Littmann hatte die seinerzeit funktional modernste Doppelbühne gebaut: ein Großes Haus für die großen Dramen, ob für Wagner oder Schiller, mit repräsentativen Räumen – und eben ein Kleines Haus für die Spielopern und die Kammerschauspiele.

Ein Kapitel Theatergeschichte

Superstar Max Reinhardt kam aus Berlin angereist und führte Regie: erst Molières „Der Bürger als Edelmann“, zu der Strauss eine Schauspielmusik geschaffen hatte, dann, nach einem verbindenden Zwischentext, der Einakter „Ariadne auf Naxos“. Ein Großereignis, ein Kapitel Operngeschichte. Aber wer an diese Uraufführung erinnert, rührt auch an eine Stuttgarter Wunde. Denn 1944 wurde das Kleine Haus in einer Bombennacht komplett zerstört (und 1996 durch einen Neubau Hans Volkarts ersetzt). Nur das Große Haus, das heutige Opernhaus, der Littmannbau, steht noch, aber in zunehmend maroder Schönheit; er müsste längst generalsaniert werden.

Jetzt am Sonntag aber wurde beim „Ariadne-Tag“ der Staatsoper noch anderer Schmerz bewusst: Generalmusikdirektor Cornelius Meister dirigierte nur eine konzertante Aufführung des Werks, und zwar auswärts im Ludwigsburger Forum, nur als Livestream; die Staatstheater sind seit November geschlossen. „Auf der Suche nach der verlorenen Nähe“ war das Online-Event deshalb mehrdeutig überschrieben. Ein erfolgreicher Versuch, das Opernpublikum nicht zu verlieren. Mit Instagram-Interviews, Youtube-Extras, Chats und einer Premieren-Party im virtuellen Foyer. Und Harald Schmidt übernahm nicht nur die Sprechrolle des Haushofmeisters, sondern las in Bestform sarkastisch kommentierend aus dem Briefwechsel von Strauss und Hofmannsthal – eine köstliche Comedy.

Es begann mit einem spannenden Rückblick auf 1912. Meister und das hervorragende Staatsorchester stellten die Orchestersuite „Der Bürger als Edelmann“ vor: tatsächlich bürgerlicher Strauss, Seligkeit und auch Walzerschmäh, aber eine sehr französisch-barock die Molière-Zeit nachempfindende Schauspielmusik. Da war Strauss neoklassizistisch seiner Zeit voraus und hinterher.

Dann „Ariadne auf Naxos“, und zwar in der zweiten Fassung von 1916. Es war nämlich so gewesen, dass die Stuttgarter Uraufführung 1912 gar nicht so gut beim Publikum angekommen war, das entweder nur Schauspiel oder nur Oper bevorzugt hätte. Deshalb entkoppelten Strauss/Hofmannsthal das Ganze, stellten der „Ariadne“ aber ein gesungenes Vorspiel voran. Eine Art Backstage-Story: Ein reicher Mann hat bei einem Talent eine Unterhaltung zwischen Essen und Feuerwerk bestellt, aber eine Tragödie erhalten. Weshalb er noch was Lustiges, dargeboten von Zerbinetta und ihrer Truppe, fordert. Und die Stücke sollen gleichzeitig aufgeführt werden. Der Komponist (bestens: Claudia Mahnke) ist entsetzt, die Primadonna heult auf, aber alle sind sie korrumpierbar, wobei Zerbinetta (nicht der ganz große Koloraturenwahnsinn: Beate Ritter) den Komponisten so becirct, dass er alle Schmähungen vergisst. So ist das dann auch bei Ariadne (Simone Schneider) in der folgenden Oper in der Oper: Sie gibt sich dem Schmerz hin, erwartet den Tod, aber dann weckt bei ihr Bacchus (unerschütterlicher Heldentenor: Stefan Vinke) neue Lebenslust. Die Liebe siegt über die Kunst.

Die „Ariadne“ ist in der Pandemie die Strauss-Oper der Stunde, weil der Komponist eine Partitur für nur 36 Musiker geschrieben hat. Cornelius Meister zeigte akribisch-geschmeidig mit einem starken Ensemble, wie berauschend trotzdem Klang entfaltet werden kann. Tradition – eine schöne Stuttgarter Pflicht und Kür. Jetzt ohne Festbankett. Champagnerflaschen musste das Online-Publikum im Bedarfsfall zu Hause köpfen.

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Erstellt:
13.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 13.04.2021, 06:00 Uhr

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