Schweigen würde nicht helfen

Can Dündar beim Tübinger Podium über Pressefreiheit

Der türkische Journalist Can Dündar kämpft im Exil für demokratische Verhältnisse in seiner Heimat. Angst kennt er dabei nicht.

18.06.2017

Von Uschi Hahn

Die Szene ist atemraubend: Ein Mann richtet eine Pistole auf einen schmächtig wirkenden Mittfünfziger mit grauen Haaren und Bart. Eine Frau greift nach dem Arm, der die Pistole hält. Der Mann, auf den die Waffe gerichtet ist, wird von seinem Begleiter gedeckt. Ein Schuss ist zu hören. Dann wird der Attentäter vom zweiten Begleiter des nur knapp dem Tod entgangenen Mannes überwältigt.

Das von einer Überwachungskamera aufgezeichnete Attentat vor einem türkischen Gerichtsgebäude ist Teil des ZDF-Dokumentarfilms über die Türkei zwischen Demokratie und Diktatur, der am Samstagabend im Tübinger Kino Museum lief. Der Mann, dem am 6. Mai 2016 die Kugel galt, sitzt in der ersten Reihe: Can Dündar, 56, Journalist, vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich wegen Spionage angezeigt. In der Türkei droht ihm lebenslange Haft. Seit knapp einem Jahr lebt er im deutschen Exil in Berlin.

Dündar war am Samstag zu einer Podiumsdebatte über Pressefreiheit in Nahost nach Tübingen gekommen. Der Film sollte als Diskussions-Basis dienen. Als das Licht nach der Vorführung wieder anging, erwähnte Dündar die beklemmende Szene mit keinem Wort. Stattdessen bedankte er sich für die Doku, in der auch der türkische Staatspräsident immer wieder im Großformat gezeigt wurde, mit einem Lachen. Es sei „schön, Erdogan endlich wiedersehen zu dürfen“, übersetzte Dündars Dolmetscher und Kollege bei der deutsch-türkischen Internetplattform „Özgürüz“ Recai Hallaç. So viel Galgenhumor muss sein.

Auch in Deutschland kann sich Dündar seines Lebens nicht sicher sein. Zu öffentlichen Veranstaltungen wie der am Samstag begleiten ihn Personenschützer. Sie saßen auch noch spät abends am Nebentisch, als Dündar mit den Veranstaltern - unter anderem die Buchhandlung Osiander, das Welt-Ethos-Institut und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit - noch einen Drink im Straßencafé nahm.

Beim Frühstück am Sonntagmorgen wirkt Dündar müde. Am Vortag kam er aus Paris, wo er sich mit einem kürzlich aus türkischer Haft entlassenen Journalisten getroffen hatte. In zwei Stunden geht sein Flug zurück nach Berlin. Doch die Zeit für das Gespräch mit der Lokalzeitung nimmt sich der international renommierte, mit etlichen Preisen ausgezeichnete Publizist. Statt im Business-Outfit vom Abend zuvor sitzt er in grauem T-Shirt und verwaschenem Leinenhemd auf dem Hotelbalkon und blinzelt unter einem zerzausten Haarschopf in die Sonne.

In seiner Mischung aus Lässigkeit und Konzentration wirkt der 56-Jährige verletzlich. Man denkt unwillkürlich an die Attentatsszene aus dem Film. Führt sich vor Augen, wie vehement er im Exil weiter die Verhältnisse in der Türkei als „islamische Diktatur“ anprangert. Hat er denn keine Angst?

Dündar überlegt kurz. Wenn jemand eine Pistole auf einen richte, sagt er auf Englisch, könnten zwei Dinge mit einem geschehen: „Entweder du fühlst dich stark und unverwundbar, oder du fühlst dich schwach und gelähmt vor Furcht.“ Er hat sich entschieden: „Ich habe keine Angst.“

Auch wenn er mit seinen Veröffentlichungen und Statements nicht nur sich selbst in Gefahr bringt. Seine Frau, sie war es, die ihm bei dem Attentat das Leben rettete, kann die Türkei nicht verlassen. Ihr Reisepass wurde eingezogen. Sie sei eine Art Geisel, sagt Dündar. Der 22 Jahre alte Sohn lebt zwar in London. Doch im Zweifelsfall ist auch er nicht unerreichbar für die türkischen Sicherheitskräfte. „Ich riskiere ihr Leben, weil ich zu viel rede“, gibt Can Dündar zu. Doch seine Familie sei einverstanden, dass er die Opposition aus dem Exil heraus unterstützt, ihr eine Internet-Plattform gibt, die, obwohl in der Türkei gesperrt, dort „Hunderttausende erreicht“.

Verstummen wird er nicht. „Schweigen würde nicht helfen“, davon ist Dündar überzeugt: „Ich bin Journalist und tue meinen Job.“ Dass er seine Familie damit gefährdet, macht ihn „zornig“. Ein Zorn, der ihn antreibt. Es gehe schließlich auch um die Zukunft seines Sohnes. „Ich will nicht, dass er eines Tages in einer faschistischen islamischen Diktatur lebt.“ Deshalb kämpft der Journalist auch im Exil für sein Land. „Ich verteidige die Pressefreiheit.“

In der Türkei sitzen an die 150 seiner Kollegen im Gefängnis. Der Vorsitzende von Amnesty International in der Türkei ist wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Tausende Wissenschaftler, Juristen und andere Staatsbeamte haben Berufsverbot. Dennoch ist Can Dündar optimistisch, dass sich bald etwas ändert. „Pessimistisch zu sein, ist nicht hilfreich“, sagt er.

Zu seiner Hoffnung trägt auch bei, dass sich die größte Oppositionspartei, die CHP, mit ihrem Marsch für Gerechtigkeit jetzt endlich auf die Straße wagt. Anlass ist die Verurteilung jenes CHP-Abgeordneten zu 25 Jahren Haft, der Dündars Zeitung „Cumhuriyet“ das belastende Material über den Waffenschmuggel zugespielt hatte. „Die einzige Möglichkeit ist zu kämpfen“, findet Can Dündar, „mit Worten und mit Aktionen.“

Nach Verurteilung und Attentat seit 2016 im Exil

Can Dündar wurde 1961 in Ankara geboren. Er studierte Journalismus in Ankara und London und promovierte in Politikwissenschaften an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara.

Der Journalist, Dokumentarfilmer und TV-Moderator wurde Im November 2015 als Chefredakteur von „Cumhuriyet“ der Spionage angeklagt und verhaftet, weil die Erdogan-kritische Zeitung die Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes nach Syrien aufdeckte. Nach drei Monaten Einzelhaft kam Dündar frei. Im April wurde Dündar in erster Instanz zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Während er vor dem Gerichtsgebäude auf das Urteil wartete, wurde auf ihn geschossen. Seine Frau und ein Begleiter retteten ihm das Leben.

Seit Juli 2016 lebt Dündar in Deutschland im Exil. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne in der Wochenzeitung „Die Zeit“ und gründete Anfang 2017 die zweisprachige journalistische Internetplattform „Özgürüz“ (Wir sind frei).